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Rechtspopulisten

Wie eng ist die AfD mit der Südwest-Wirtschaft?

Ravensburg / Lesedauer: 8 min

Fraktionschefin Alice Weidel lobt ihre Kontakte in die Chefetagen. Doch nicht wenige Wirtschaftsvertreter und Ökonomen sehen in der Partei eine Gefahr für den Standort Deutschland.
Veröffentlicht:02.10.2023, 17:47

Von:
  • Thomas Hagenbucher
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Die AfD pflegt sehr gute Kontakte in die Wirtschaft ‐ auch im Süden der Republik. Dies behauptete zumindest jüngst Alice Weidel, Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland, im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.

Wirtschaftsvertreter und Ökonomen äußern sich diesbezüglich deutlich zurückhaltender. Viele sehen die rechtspopulistische Partei und ihre Positionen eher als Gefahr und einen Nachteil für den Standort Deutschland an.

ZF wendet sich nicht an die AfD

Weidel sagt in dem Interview, dass sich Industrieverbände nicht öffentlich zur AfD bekennen wollten, fügt aber auch hinzu: „Informell kommen immer mehr Familienunternehmen, auch die großen, auf mich zu, weil sie der Meinung sind, dass wir die einzige Partei sind, die die Probleme unseres Landes noch in den Griff bekommen kann.“

Die AfD-Politikerin betont, dass sich vermehrt Firmen ‐ auch in ihrem Wahlkreis am Bodensee ‐ an sie wendeten, um Unterstützung für ihre Anliegen zu bekommen. Der Friedrichshafener Zulieferer ZF sei zwar nicht dabei, so Weidel, „aber viele andere, deren Namen ich natürlich nicht erwähne, um sie vor Angriffen zu schützen“. Eine Nähe zur AfD könne immer noch negative Reflexe auslösen, begründet die Politikerin.

„Kenne keine Unternehmer, die Kontakte zur AfD pflegen“

Doch ist es tatsächlich so, dass die rechtspopulistische Partei über so viele intensive Kontakte in die Südwest-Wirtschaft verfügt und sich nur niemand öffentlich dazu bekennen will?

„Wir sind über viele Verbände und Kooperationen mit Unternehmern im Austausch. Ich kenne keine Unternehmerinnen und keine Unternehmer, die Kontakte zur AfD pflegen“, sagt Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Tettnanger Outdoor-Spezialisten Vaude. Bei ihr habe sich auch noch niemand von der AfD gemeldet, versichert sie gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“.

Von Dewitz erregte jüngst mit einem viel beachteten Gastbeitrag im „Manager Magazin“ Aufsehen, in dem sie an die Verantwortung der eigenen „Manager-Zunft“ appellierte, den Standort Deutschland zukunftsfähig zu erhalten. In dem Text sieht die schwäbische Familienunternehmerin ‐ zumindest indirekt ‐ auch bei Wirtschaftsvertretern und Unternehmenslenkern eine Mitverantwortung für den zunehmenden Zulauf der rechtspopulistischen Partei.

Die Verunsicherung in der Wirtschaft sei angesichts der extremen Herausforderungen zwar nachvollziehbar und es sei wichtig, dass die wirtschaftliche Perspektive gehört wird. Sie halte es aber „schlicht für unprofessionell, zu jammern, zu schimpfen und die Politik zum Sündenbock zu machen“. Das befördere eine massive demokratische Vertrauenskrise. Stattdessen fordert sie Ehrlichkeit, was notwendige Veränderungen angeht.

„Bedenklich für die Demokratie und den Standort Deutschland“

Die AfD sei „sehr bedenklich“ ‐ nicht nur für die Demokratie, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland, so von Dewitz. „Wir machen uns damit zunehmend unattraktiv für ausländische Fach- und Arbeitskräfte“, konstatiert die gebürtige Albstädterin. Laut Parteiprogramm wolle die AfD den Euro abschaffen und habe eine grundsätzlich negative Haltung gegenüber der EU und internationalen Handelsabkommen.

Aber gerade der Südwesten sei „ganz stark auf möglichst freien Handel, Technologieaustausch, freie Reisemöglichkeiten und die aufwandlose Rekrutierung von Arbeitskräften aus Europa angewiesen“.

Daneben leugne die AfD den „durch Menschen verursachten Klimawandel“. Die daraus geforderten Maßnahmen, wie die Beendigung der Dekarbonisierung oder die Aufhebung des Klimaschutzplans der Bundesregierung, würden für drastische Fehlinvestitionen sorgen, die Deutschland im internationalen Wettbewerb stark zurückwerfen würden, ist Vaude-Chefin von Dewitz überzeugt.

Eine Politik, die die Probleme unserer Zeit gar nicht anerkenne, schaffe keine wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um Lösungen dafür zu finden. Dies sei definitiv nicht im Sinne der Wirtschaft.

Unternehmer aus Baden-Württemberg lehnen Politik wie die der AfD ab

Die Wirtschaftsverbände im Land äußern sich zum Thema AfD erwartungsgemäß etwas diplomatischer ‐ aber ebenfalls klar. So lässt Christian O. Erbe, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), auf Anfrage mitteilen: „Der BWIHK ist, wie die IHKs in den Regionen, parteipolitisch neutral und hat auch kein allgemeinpolitisches Mandat.“

Man fördere die gewerbliche Wirtschaft und vertrete sachlich und inhaltsorientiert das Gesamtinteresse der Wirtschaft. Der Sprecher von gut 650.000 Unternehmen aus nahezu allen Branchen im Südwesten fügt aber auch unmissverständlich hinzu: „Die IHK-Organisation ist dabei Recht und Verfassung verpflichtet, insbesondere auch rechtsstaatlichen Prinzipen.“

Noch deutlich klarer bezieht Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Stellung: „Wir stehen zu unserer Verfassung, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur Vielfalt in der Gesellschaft. Daher lehnen wir eine Politik wie die der AfD ab, die radikalisiert und unserer Werteordnung entgegensteht.“

Für die Unternehmen seien politische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Werteorientierung sehr wichtig. „Wir erwarten von politischen Akteuren, dass sie verantwortungsvoll und mit Lösungen agieren, die diesen Grundsätzen entsprechen. Für die Wirtschaft ist klar: Hass und Hetze haben in unserer Gesellschaft nichts zu suchen“, sagt Barta weiter, der auch Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall ist.

Widerspruch zu solidarischen Grundsätzen der IG Metall

Neben Fragen der politischen Stabilität sei eine „liberale und weltoffene Grundhaltung“ auch wichtig mit Blick auf die Gewinnung von ausländischen Fach- und Arbeitskräften sowie bei Ansiedlungen ausländischer Unternehmen in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln gibt es in „AfD-Hochburgen“ ‐ etwa im Osten ‐ bereits heute Schwierigkeiten, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.

Die IG Metall, in der Tarifpolitik der naturgemäße Gegenspieler von Südwestmetall, stößt beim Thema AfD genau ins gleiche Horn. „Dass wir als IG Metall ein äußerst kritisches Verhältnis zur AfD haben, ist allgemein bekannt und kein Geheimnis“, sagt Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. „Dies liegt vor allem an den politischen Ansichten einer Partei, die zumindest in Teilen als rechtsextremistisch gilt und die im Widerspruch zu unseren solidarischen Grundsätzen und Wertvorstellungen steht.“

Hinzu komme, dass der wirtschaftliche Erfolg der baden-württembergischen Kernindustrien ein Ergebnis globaler und weltoffener Zusammenarbeit sei. Besonders enge Kontakte der AfD zur Wirtschaft in der Region sind dem Arbeitnehmervertreter nicht bekannt.

Anfrage an AfD bleibt unbeantwortet

Eine Anfrage an die AfD selbst ‐ sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene ‐ blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet. Gefragt wurde, mit wie vielen Unternehmen die Partei im Südwesten regelmäßig im Austausch steht und was dabei besprochen wird. Auch die Bitte um die Herstellung eines Kontakts zu einem Unternehmen mit AfD-Beziehungen blieb ohne Rückmeldung.

Recht eindeutig äußern sich dagegen führende Ökonomen, die der Partei überwiegend kaum Wirtschaftskompetenz zuschreiben. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm erklärte jüngst dem „Handelsblatt“: „Ich sehe da wirklich sehr wenig Potenzial für etwas, was man tatsächlich wirtschaftspolitische Agenda nennen könnte.“ Grimm hält es zudem für schwierig, die einzelnen Punkte der AfD-Programmatik unabhängig davon zu bewerten, dass sich in der Partei extreme Kräfte sammelten. „Das allein macht ein Erstarken der AfD zu einem negativen Standortfaktor, es schafft Unsicherheit“, sagt sie.

Politik „voll von Widersprüchen“

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnet die AfD-Wirtschaftspolitik als „voll von Widersprüchen“. „Die AfD will stärker als jede andere Partei Spitzenverdiener und Hochvermögende steuerlich entlasten und Menschen mit mittleren und geringen Einkommen damit deutlich stärker belasten“, erklärt Fratzscher. Dies bedeute im Endeffekt eine starke Umverteilung von Arm zu Reich.

Für den Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap ist die AfD zwar „primär eine populistische Partei mit ausländerfeindlichen Zügen“, jedoch sei „nicht alles falsch, was die AfD sagt, nur weil es die AfD sagt“, fügt er ebenfalls hinzu.

Als Beispiele nennt der Forscher: Bürokratieabbau, die Senkung der Stromsteuer, eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie den schnelleren Ausbau der digitalen Infrastruktur. Allerdings sei Haucap skeptisch, wie ernst es die AfD mit diesen Forderungen tatsächlich meine, da ihre Kernkompetenz Populismus sei.

Nichts im AfD-Programm, „was gut für die deutsche Wirtschaft wäre“

Auch wenn die Partei 2013 von dem Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gegründet worden ist, sieht Politologe und Extremismusforscher Marcel Lewandowsky die AfD nicht als eine „Wirtschaftspartei“ an. Sie werde vor allem wegen ihrer gesellschaftspolitischen Positionen gewählt, insbesondere in der Migrationspolitik.

Der Münchner Wirtschaftsprofessor Andreas Haufler hat die Partei und ihre Positionen genauer untersucht. Sein Fazit: „Ich konnte in dem Programm der AfD nichts entdecken, was gut für die deutsche Wirtschaft wäre“, sagt Haufler. „Im Gegenteil sogar: Was die AfD vorhat, würde vieles noch schlimmer machen“ ‐ gerade im Hinblick auf den bevorstehenden massiven Arbeits- und Fachkräftemangel.

Vor diesem Hintergrund dürfte es zumindest mehr als fraglich sein, ob sich die AfD tatsächlich einer so großen Beliebtheit in den Chefetagen des Südwestens erfreut ‐ ober ob Alice Weidel mit ihren Aussagen eher blufft.