Ungewöhnlicher Traumberuf
Wie der Zufall diese Ulmerin zur Bestatterin machte
Ulm / Lesedauer: 6 min

Philip Hertle
Der Himmel ist grau über dem Neuen Friedhof auf dem Ulmer Michelsberg, Schnee bedeckt die Gräber. Der Boden ist nass, matschig. Julia Ungerer sitzt morgens schon früh in ihrem Bagger. Morgen steht hier eine Bestattung an, für die das Grab erst noch ausgehoben werden muss.
Dass die 24–jährige Bestatterin heute in einem Beruf arbeitet, in dem sie dem Tod tagtäglich ins Auge blickt, hat sie vor ein paar Jahren selbst noch nicht gedacht. Wie ein Zufall im Studium die junge Frau zu ihrem Traumberuf brachte.
Morgen steht eine Beerdigung an
„Das Grab wird ungefähr 1,70 Meter tief“, erklärt Ungerer und muss gegen den Baggerlärm ankämpfen, der gar nicht so recht zur vermuteten Stille und Bedächtigkeit eines Friedhofs passen mag. Neben dem immer tiefer werdenden Grab steht ein großer Erdcontainer bereit, in den die Bestatterin Schaufel um Schaufel baggert.
Nach der Beerdigung und nachdem der Sarg am nächsten Tag in das neu entstandene Grab abgelassen wurde, wird das Grab damit wieder verschlossen. Der Neue Friedhof, auf dem am nächsten Tag die Beerdigung stattfindet, ist der Hauptfriedhof der Stadt Ulm. Daneben gibt es noch elf weitere städtische Friedhöfe im Stadtgebiet.
Tausche Schreibtisch gegen Baggerschaufel
Dass Julia Ungerer in ihrem Arbeitsalltag nun unter anderem Gräber aushebt, war so nicht unbedingt absehbar. „Über Umwege“ sei sie zum Beruf der Bestatterin gekommen, sagt sie.
Der Plan sah anders aus: „Mit einem guten Abi geht man studieren“, sagt sie. Der Klassiker, weshalb sie sich für das Fach „Informationsmanagement und Unternehmenskommunikation“ an der Hochschule Neu–Ulm einschrieb.
Ihre Noten waren so gut, dass sie für ihre Leistungen sogar mit einem Stipendium bedacht wurde. „Es war aber schnell klar, dass es nichts für mich ist“, sagt sie. „Trotzdem habe ich aber ganze fünf Semester durchgehalten.“ Ein Bürojob sei nichts für sie gewesen. „Ich wollte eine Ausbildung im Handwerk machen.“
Und doch hat sie ihr Studium indirekt zu ihrem jetzigen Beruf gebracht. Ihr Stipendiengeber veranstaltete eine Tagung in Kassel. Zum Thema „Tod und Sterben in unserer Gesellschaft“ sprach dort ausgerechnet ein Bestatter über seinen Arbeitsalltag. Wie der Zufall so wollte, entdeckte sie die Stellenanzeige der Stadt Ulm zur Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. „Da war mir sofort klar: Das ist meine Stelle.“
Ausgezeichnete Leistungen auch auf dem neuen Gebiet
Und mit den guten Leistungen ging es dort nahtlos weiter. Zum Abschluss ihrer Ausbildung im vergangenen Jahr wurde Ungerer gar zur Landessiegerin beim Wettbewerb „Profis leisten was“, einem Wettbewerb des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.
Julia UngererIch nehme ganz selten irgendwelche Bilder mit nach Hause.
Das Studium war nun Geschichte, das Erstaunen darüber war in ihrem Umfeld natürlich groß. „Aber was bringt es mir, wenn ich es kann, mich das Studium aber überhaupt nicht interessiert?“, sagt sie.
Derweil nimmt das Grab Gestalt an. Julia Ungerers Kollege, der immer einen Teil der Erde mit dem Radlader wegfährt, gibt noch Hinweise, wo sie mit dem Bagger nachbessern muss, damit die gewünschte Tiefe erreicht wird. Nach ein bisschen Handarbeit mit dem Spaten ist es dann geschafft. Dann kann die stabilisierende Verschalung ins Grab.
Religiöser Hintergrund bei Bestattungen wird immer unwichtiger
Erdbestattungen wie diese kommen heute aber gar nicht mehr so häufig vor. „Hier gibt es deutlich mehr Urnenbestattungen“, sagt Ungerer. Bei dieser Bestattungsart findet vorher eine Feuerbestattung im Krematorium statt. Vor rund 30 Jahren waren laut Berechnungen des Vereins Aeternitas noch weniger als ein Drittel aller Bestattungen in Deutschland Feuerbestattungen.
Mittlerweile liegt der Anteil bei rund 70 Prozent. Auch der religiöse Hintergrund wird immer weniger wichtig: Der Anteil kirchlicher Bestattungen ist laut Verbraucherinitiative Bestattungskultur im Jahr 2020 erstmals unter den Wert von 50 Prozent gesunken. Noch im Jahr 2000 machte der Anteil evangelisch oder katholisch begleiteter Beisetzungen noch 71,5 Prozent aus.
Julia Ungerer ist Allrounderin beim Bestattungsdienst
Die Vorarbeit vor der eigentlichen Bestattung macht der stadteigene Bestattungsdienst, den Ungerer wochenweise übernimmt.
Julia UngererDer Verstorbene wird gewaschen, die Haare gekämmt und er wird angezogen.
Um den Angehörigen das letzte Bild des Verstorbenen so friedlich wie möglich zu gestalten, gehöre es auch in manchen Fällen auch dazu, dass die Augen des Verstorbenen noch verschlossen werden müssen. „Die Vorstellung aus den Filmen, dass man einmal über die Augen streift, ist völlig unrealistisch“, klärt Ungerer auf. Man könne diese aber ganz vorsichtig mit unauffälligen sogenannten Lidhaken schließen.
Das Thema Tod ist für viele Menschen ein Tabu — obgleich sich jeder früher oder später damit auseinandersetzen muss. „Es muss aber nicht jeder Bestatter werden und es so hautnah miterleben“, so Ungerer, die von sich sagt, dass ihr besonderer Job sie nach getaner Arbeit nicht negativ beschäftigt. „Wenn ich daheim bin, ist Feierabend. Ich nehme ganz selten irgendwelche Bilder mit nach Hause“, sagt sie. „Es gibt natürlich immer krasse Situationen, über die man reden muss“, sagt sie.
So erlebte sie den ersten Verstorbenen
Die erste Begegnung mit einem Verstorbenen, mit dem Ungerer in ihrer Ausbildung zu tun hatte, beschreibt sie als „schwierig“ — drogen– und alkoholabhängig sei der verwahrloste Mann im Freien verstorben. „Es war kein schöner Anblick“, erinnert sie sich, „aber es war trotzdem ein Mensch.“ Ein Mensch, der gestorben ist, wie andere auch. „Der Tod gehört zum Leben“, so Ungerer, „diese Erkenntnis kam dann ziemlich schnell.“
Ob sie mit ihren 24 Jahren für sich selbst auch schon geplant hat, wie sie einmal bestattet werden möchte? „Momentan wünsche ich mir eine Erdbestattung — ganz klassisch im Sarg. Für den Abschied der Angehörigen ist das ein schöneres und ausdrucksstärkeres Bild“, so Ungerer. „Aber das ist noch nicht in Stein gemeißelt.“
Anzahl der Sterbefälle steigt
Aufgrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Anzahl älterer Menschen rechnet das Statistische Bundesamt mit einer jährlich steigenden Anzahl der Sterbefälle in Deutschland. 2022 sind demnach hierzulande rund 1,06 Millionen Menschen gestorben, das sind 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr.
Das Statistikamt erklärt diesen Anstieg unter anderem nach wie vor mit der Corona–Pandemie und den Hitzerekorden im Sommer. Zeitgleich steigt auch der Umsatz im Bestattungsgewerbe. Lag er im Jahr 2010 noch bei rund 1,56 Milliarden Euro, belief er sich 2020 schon auf knapp 2,3 Milliarden Euro. 27.081 Personen waren laut aktuellem Sterbereport im Jahr 2018 in der Branche tätig, lediglich 1701 davon weiblich. (phe)