Gut abgemischt
Wie Liebherr Fahrgestelle und Trommeln zu Betonmischern verheiratet
Bad Schussenried / Lesedauer: 8 min

Schnurgerade aufgereiht stehen sieben Lastwagenfahrgestelle hintereinander in der Montagelinie. Noch sind die beiden Stahlträger mit den großen Rädern hinter dem Fahrhäuschen leer – an der Stelle, an der sich später Beton in einer Trommel drehen soll, befinden sich zu dem Zeitpunkt nur schwarze Kabelbinder und geriffelte Rohre, die ins Nichts führen.
Alles beginnt mit einem Gestell
Vor dem ersten Fahrzeug schlingt Moritz Hirschburger routiniert ein lila Trägerband um eine 20 Kilo schwere Stange. Mit der Schlinge befestigt er die Stange an einem Kran, der diese mit einem leisen Surren hochhebt und dann langsam auf ein Gestell sinken lässt. Der 25-Jährige schiebt es dann ein paar Meter weiter hinter den Lastwagen, bringt die Stange auf die richtige Höhe und montiert sie an der dafür vorgesehenen Halterung.
Sie soll später verhindern, dass Fahrzeuge oder Menschen bei einem Unfall unter den Betonmischer geraten. Ein Blick auf die elektronische Zeitanzeige neben dem Arbeitsplatz zeigt Hirschburger, dass er noch 83 Minuten hat, bis er mit seinen Arbeitsschritten fertig sein sollte, die das nackte Fahrgestell ein wenig mehr in einen funktionierenden Betonmischer verwandeln.
Neues Werk in Bulgarien
Zusammen mit 80 Kollegen arbeitet der junge Schlosser bei Liebherr Mischtechnik in der Montagelinie für Fahrmischer, wie die Fahrzeuge offiziell heißen, die baufertigen Beton in ihren sich drehenden Trommeln zu Baustellen bringen.
Noch bis vor wenigen Monaten arbeitete er im Trommelbau, doch den Fachbereich hat das zur Liebherr-Gruppe und im oberschwäbischen Bad Schussenried beheimatete Unternehmen in das neue Werk in Bulgarien ausgelagert, zusammen mit dem Arbeitsbereich Rahmenbau.
Stahlbau als Leidenschaft
Seit neun Jahren arbeitet der junge Mann bei Liebherr. Ein Bürojob war für Hirschburger nie eine Alternative. „Ich wollte mit meinen Händen arbeiten und sehen, wie etwas durch meine Arbeit entsteht“, erinnert er sich. Ganz bewusst habe er sich für den Beruf des Schlossers und für einen Job in der Industrie entschieden.
„Ich wollte in der Region bleiben und gutes Geld verdienen“, sagt er weiter. Von seinem Heimatort Ebersbach-Musbach sind es nur ein paar Kilometer bis zum Werk. Der Beruf seines Vaters, der gelernter Schreiner ist, habe ihn zwar auch interessiert.
Aber die Entscheidung, bei Liebherr im Stahlbau zu arbeiten, habe ich nie bereut.
Abwechslungsreiche Arbeit
Direkt nach der Ausbildung fängt er im Trommelbau in Bad Schussenried an. Seine Aufgaben: das Rohmaterial schweißen, am Laser zuschneiden und biegen – Arbeiten, die nun die Kollegen in Bulgarien übernehmen. Stattdessen arbeitet Hirschburger nun abwechselnd in einer der ersten drei Arbeitsstationen der neuen Montagelinie.
Die Kunden bringen uns ganz unterschiedliche Fahrzeugtypen, da muss man sich schon auskennen.
„Dadurch, dass wir nicht immer an der gleichen Station arbeiten, wird einem nicht langweilig“, erklärt er, während er nebenher die angebrachten Schrauben überprüft und die Wasserwaage auflegt. Abwechslung bringe der Job auch dadurch, dass die Lastwagengestelle sich stark unterscheiden. „Die Kunden bringen uns ganz unterschiedliche Fahrzeugtypen, da muss man sich schon auskennen“, erklärt der 25-Jährige.
Enges Zeitfenster für Produktion
Der größte Unterschied zu früher ist, dass jeder Arbeiter das Fahrzeug nur einen kleines Stück des Wegs begleitet. Maximal 106 Minuten bleibt das Lastwagengestell an einer Station, danach geht es weiter in der Montagelinie. Auch an diesem Tag. Die Zeit ist um, einer der Mechaniker springt in die Fahrerkabine, lässt den Lastwagen an.

Der Motor heult für einen kurzen Moment auf, dann fährt das Fahrzeug zwei Meter weiter. Sobald das Fahrzeug steht, klettert der nächste Mitarbeiter in das Fahrerhaus, setzt sich auf den Fahrersitz und nimmt ein Bündel bunter dünner Kabel in die rechte Hand. Er schaut sich jedes einzelne an, sortiert sie nach ihrer Funktion und schließt sie an.
Die Arbeiten am Fahrmischer
Die elektrischen Arbeiten am Fahrmischer, berichtet Martin Richter , sind sehr zeitintensiv. Richter ist seit November Leiter des Produktionsbereichs Fahrmischer. Daher ist die Montage der Elektrik in drei Arbeitseinheiten eingeteilt. Für jede haben die Mitarbeiter jeweils 106 Minuten Zeit.
Während der junge Mann in der Fahrerkabine weiter die Kabel zuordnet, arbeiten seine Kollegen in der Elektrik an weiteren Fahrzeugen. Einer zieht den Hauptkabelbaum ein, der andere setzt die Relais und Sicherungen. Bis auf das Radio, aus dem Rockmusik tönt, und das Sirren eines Akkubohrers ist bei dieser Arbeit kaum ein Geräusch zu hören.
Geschichte des Unternehmens
Seit 1954 stellt Liebherr am Standort Bad Schussenried Produkte für den Bereich Betontechnik her. Das erste Produkt war ein simples Baustellengerät, ein Umkehrmischer für Beton. Diese Betonmischmaschine entleert sich, indem die Trommel immer wieder die Richtung ändert.
1958 wurde der erste Mischturm produziert. Zuvor hatte man in Deutschland Beton stets auf den Baustellen zusammengemischt. Nun begannen die Bauunternehmen, den Beton in den Mischtürmen am Heimatstandort selbst herzustellen und an die Baustellen auszuliefern.
1967 baute Liebherr daher die ersten Fahrmischer, mit denen der Beton auf die Baustellen gefahren werden konnte. 2013 kamen die Betonpumpen hinzu.

In einem anderen Teil der Halle stehen unterdessen mehrere Mischtrommeln bereit. Sie kommen auf direktem Wege aus dem Werk in Bulgarien. Der Grundgedanke der neuen Arbeitsteilung ist, dass in Osteuropa künftig die einfachen und energieintensiven Arbeiten verrichtet werden.
„In Deutschland wie bisher die große Fertigungstiefe zu fahren, ist zu schwierig geworden“, erklärt Klaus Eckert, Leiter der Verkaufsförderung am Standort. Nur indem dieser Teil der Arbeiten ausgelagert – und damit die Kosten gesenkt – wurden, bleibe die Sparte zukunftsfähig.
Auf Fehlersuche
Die Produktionslinie in diesem Teil der Halle ist anders aufgebaut: In den Boden sind mehrere Reihen große Rollen eingelassen, die als Gleise fungieren. Auf diesen Gleisen fahren Transportgestelle, sogenannte Skids, die 1800 Kilo schweren Mischtrommeln hin- und her.
Die Rohlinge sehen alle gleich aus. Sie haben einen Ein- und Auslauftrichter, über den das Fahrzeug befüllt oder entleert wird, sowie eine Auslaufschütte. Je nach Wunsch können die Mischtrommeln zwischen fünf und 15 Kubikmeter Beton aufnehmen.

Bevor die Techniker die Trommel in den gewünschten Farben lackierten, untersuchen sie den Rohling auf Fehler. Sind diese ausgemerzt, wird die Oberfläche angeschliffen, damit der Lack besser hält. Auf einem Skid fährt die Trommel in eine Kammer.
Der mit einer Schleifmaschine ausgestattete Arbeiter, der das stählerne Ei für das Auftragen des Lacks vorbereitet, erinnert in seinem Anzug an einen Astronaut im Mars-Einsatz. Er trägt eine klobige Haube, die mit einem dicken Schlauch an ein Absaugsystem angeschlossen ist.
Farbe kommt ins Spiel
Danach geht es auf Rollen zuerst auf einen Platz in der Außenhalle, wo alle Teile der Trommel abgeklebt werden, die nicht in dieser Farbe lackiert werden sollen, und dann in die Lackierkabine. Der Vorgang wiederholt sich so oft, bis alle Farben aufgetragen sind. Während sich manche Kunden einfach weiße oder schwarze Fahrmischer wünschen, bestellen andere gerade oder quere Streifen in blau, rot, grün. Lackiert wird, was der Kunde wünscht und zahlt.

Nachdem Techniker die Trommel mit Wasserleitungen und Hydraulikpumpen versehen haben, kommt es zur Hochzeit: Die beiden Produktionslinien werden zusammengeführt, indem die lackierte Trommel mit einem Portalkran quer durch die Halle geschwenkt und auf den präparierten Lastwagenunterbau herabgelassen wird.
Mechaniker Sebastian Laub hält in der rechten Hand das Steuerungsgerät, während er mit der linken nach der Trommel greift und sie ausrichtet. Langsam lässt er sie Stück für Stück ab und kontrolliert, dass die beiden Teile genau übereinander liegen. Jedes Mal, wenn er den Steuerknopf drückt, knackst es in dem Gerät. Dann ist es geschafft: Die Trommel sitzt auf dem Rahmen und macht aus einem Fahrgestell einen Betonmischer.
Am Ende steht die Abnahme
Bevor die Kunden mit ihren Betonmischern vom Hof fahren, geht das Fahrzeug noch zur Endabnahme – und bei Mängeln zurück zu jenem Produktionsbereich, in dem der Fehler behoben werden kann. „Das sind dann die Momente, in denen ich ein Fahrzeug auf einmal wiedertreffe, das bei mir noch völlig nackt dastand“, erzählt Moritz Hirschburger. Dann sieht der Schlosser, was aus dem Gestell geworden ist, an dem er zwei Tage zuvor 106 Minuten lang herumgeschaubt hat. Oder etwas kürzer, wenn er schnell gewesen ist.