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Stromnetz unter Druck: Droht im Winter der Wärmepumpen-Blackout?

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Das Laden von E-Autos dürfte die Versorgungsnetze kaum in die Knie zwingen
Veröffentlicht:27.09.2022, 18:30

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Wallboxen für Elektroautos und Wärmepumpen boomen. Doch laut einer repräsentativen Umfragen des Civey-Instituts ist mehr als die Hälfte der Bürger (53 Prozent) darum besorgt, dass die Mehrlast das Stromnetz während der Energiekrise überbeanspruchen könnte.

Drohen im Winter tatsächlich großflächige Stromausfälle, sogenannte Blackouts? „Dass uns der Strom ausgeht und wir eine komplette Überlastung bekommen, glaube ich auf keinen Fall“, gibt Armin Jöchle , Geschäftsführer von Jöchle Elektrotechnik aus Baindt im Landkreis Ravensburg, Entwarnung. Seine Firma hat in den vergangenen Jahren zahllose Wallboxen im Raum Oberschwaben montiert.

Der Elektrotechnikmeister begründet seine Einschätzung so: Der vom Netzbetreiber bereitgestellte Stromanschluss gibt die maximale Leistung vor, die in einem Haus an Strom abgerufen werden kann. Die Problematik des Mehrverbrauchs durch Elektromobilität werde vor Ort durch eine dynamische Lastregelung gelöst.

Diese leite nur so viel Strom an die Wallbox, wie neben dem Haushaltsverbrauch übrigbleibt. Außerdem gebe der Netzbetreiber vor, wie belastbar das Stromnetz im gesamten Verbund ist. Bei Beachtung der Vorgaben sei eine Überlastung der Netze kein Thema.

Tagelang ohne Strom

Nur weil sich Nachbarn Wärmepumpen zugelegt haben und nun auch noch ihre Elektroautos laden wollen, geht in Deutschland also nicht gleich das Licht aus. Damit es zu einem Blackout kommt, muss fast immer die Netzeinspeisung durch Großkraftwerke in Schieflage kommen, erklärt Dominik Möst , Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dresden. Während lokale Stromunterbrechungen meist von kurzer Dauer sind, können Blackouts das Netz für mehrere Stunden oder gar Tage lahmlegen.

Im Januar des vergangenen Jahres hat eine Umspannungsanlage in Kroatien beinahe eine solche Kettenreaktion losgetreten. Über sie flossen große Mengen Strom von Südosteuropa nach Mitteleuropa. Als die Anlage an ihre Grenzen kam, schaltete sie durch einen Schutzmechanismus automatisch ab. Dies resultierte in einem Kaskadeneffekt, bei dem weitere Anlagen überlastet vom Netz gingen.

Der Worst Case konnte nur abgewendet werden, indem von sogenannten Lastabwurfskapazitäten Gebrauch gemacht wurde. Damit, erklärt Dominik Möst, ist die kontrollierte Netzabtrennung von Großverbrauchern gemeint – auch „Brownout“ genannt. Vor allem Industriebetriebe haben entsprechende Verträge und drosseln in Notfallsituationen ihren Stromverbrauch. Im Gegenzug erhalten sie eine finanzielle Entschädigung.

Stresstest zeigt Mängel auf

Die Bundesnetzagentur verzeichnete im Jahr 2020 deutschlandweit insgesamt 162 224 Stromausfälle in 868 Stromnetzen. Über die Spanne des gesamten Jahres hatten Verbraucher im Durchschnitt für 10,73 Minuten keinen Strom. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erfassung im Jahr 2006. Die Bundesnetzagentur attestierte der Versorgungssicherheit in Deutschland auf dieser Basis ein „konstant hohes Niveau“.

Um einen aktuellen Pegelstand einzuholen, setzte das Wirtschaftsministerium das deutsche Stromnetz jüngst einem Stresstest aus. Am 5. September teilte das Ministerium seine Befunde mit: „Eine stundenweise krisenhafte Situation im Stromsystem im Winter 2022/23 ist zwar sehr unwahrscheinlich, kann aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sicherte der Öffentlichkeit zu, eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Netzsicherheit umzusetzen. Dazu zählt etwa die Marktrückkehr der Kohlekraftwerke.

Ich denke, dass vor allem die Grüne Partei Schwierigkeiten hat, diese Kernenergiekraftwerke nochmal zu verlängern.

Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft

Die Miller OHG beliefert rund 2000 Haushalte zwischen Schwendi und Ochsenhausen mit Strom. Geschäftsführer Stephan Miller blickt skeptisch auf das Krisenmanagement der Bundesregierung. Kohlekraftwerke könnten einen Teil der Gasverstromung ersetzen.

Debatte um Atomkraftwerke offen führen

Doch hier ist es die Logistik, die Miller Kopfzerbrechen bereitet – etwa wenn niedrige Wasserstände in Rhein und Donau die Transportschiffe aufhalten. Miller hält einen Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke als „nicht verzichtbaren Baustein“, um die Versorgungssicherheit in den kommenden Monaten zu garantieren. Grundsätzlich trage er den Atomausstieg mit. Doch nun, wo Verbraucher eine Vervielfachung des Strompreises befürchten müssen, sei nicht der richtige Zeitpunkt.

Energiewirtschaftsprofessor Dominik Möst teilt diese Auffassung. „Der Fehler war, dass man sich in den letzten Jahren beim Erdgasbezug wohlwissend des Konfliktes mit der Krim noch weiter in Abhängigkeit begeben hat und auch nicht geschaut hat, was Alternativen sein könnten.“ Die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern, könnte nach seiner Auffassung einen Teil der Gasverstromung ersetzen. Gleichzeitig ließe sich so die Gasnachfrage reduzieren.

Von der Politik fordert er eine offene Debatte um den Weiterbetrieb der Atommeiler – ohne ideologische Vorbehalte. „Ich denke, dass vor allem die Grüne Partei Schwierigkeiten hat, diese Kernenergiekraftwerke nochmal zu verlängern“, bewertet er den Stand der Verhandlungen.