Ist der Boom vorbei
Firmen in der Region fürchten Auftragsmangel
Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

Thomas Hagenbucher
Keine sonderlich guten Aussichten für die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie: „Die Lage trübt sich überall ein ‐ und die Firmen sehen auch keine schnelle Besserung“, sagte am Montag Südwestmetall-Vorsitzender Joachim Schulz bei der Vorstellung der aktuellen Mitgliederbefragung des Arbeitgeberverbands in Stuttgart.
Die Erholung in China laufe deutlich langsamer als erhofft und in Europa hapere es an Investitionen. „Das Bild gibt Anlass zur Sorge, zumal unsere Industrie nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell vor großen Herausforderungen steht“, erläuterte Schulz weiter.
Neben der Rezession machen dem Verband, der knapp 680 Unternehmen der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie vertritt, auch die gestiegenen Kosten Sorgen. Die Energie- und Materialkosten liegen laut Schulz noch „deutlich höher“ als vor Corona. Dazu kommt der stattliche Tarifabschluss in der Branche.
Aktuell könnten viele Betriebe zwar noch einen relativ hohen Auftragsbestand abbauen ‐ bei den Neuaufträgen sieht es laut der Umfrage jedoch schon deutlich schlechter aus. Mehr als die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent) rechnet bis zum Jahresende mit einem Auftragsmangel. „Es geht nicht allen Firmen schlecht ‐ aber immer mehr haben Probleme“, bringt es der Arbeitgebervertreter auf den Punkt.
„Ein klares Alarmsignal“
Laut der Umfrage berichten die Unternehmen mehrheitlich von Rückgängen bei Umsatz, Produktion und vor allem bei den Auftragseingängen. Bei zwei Drittel der Betriebe haben sich die Auftragseingänge schon in diesem Jahr gegenüber 2022 verschlechtert. „Ein klares Alarmsignal“, sagte Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta.
„Auch beim mittelfristigen Blick nach vorne zeigen alle Erwartungen eher eine Abwärtstendenz“, so Barta weiter. So rechnen Firmen im zweiten Halbjahr 2023 mit einer geringeren Produktion, für 2024 dann auch mit weniger Umsatz. Wie hoch diese Rückgänge ausfallen könnten, wollte der Hauptgeschäftsführer gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ allerdings nicht prognostizieren. Dies sei schwer zu sagen und in der jetzigen Umfrage auch nicht abgefragt worden.
Des Weiteren planen die Unternehmen für das kommende Jahr im Saldo auch mit weniger Personal und geringeren Investitionen in Deutschland. Rund 40 Prozent der Betriebe wollen Personal abbauen ‐ den Großteil davon durch natürliche Fluktuation, sechs Prozent aber auch durch weiterreichende Maßnahmen ‐ etwa Abfindungen ‐ und drei Prozent sogar durch Entlassungen.
Bürokratie liegt „wie Mehltau über dem Land“
Im Hinblick auf den Strukturwandel in der Branche macht Schulz aber auch Mut. „Unsere Industrie ist stark und bringt alle Voraussetzungen mit, diese Herausforderungen zu meistern“, sagte der Vorsitzende.
„Unsere Unternehmen haben hervorragend ausgebildete, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, innovative Produkte mit Weltruf und hinreichend Kreativität, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen“, ist Schulz überzeugt. „Wir sehen aber noch erheblichen Handlungsbedarf im Bemühen der Politik, Innovationen und wirtschaftlichen Erfolg zu ermöglichen.“
Dabei nennt er die üblichen Felder, in denen sich zu wenig tue und mehr Unterstützung durch die Politik notwendig sei: die Fachkräftesicherung, strukturelle Reformen in den Systemen der sozialen Sicherung sowie Bürokratieabbau und schnellere Verfahren. Gerade das Thema Bürokratieabbau werde bereits seit vielen Jahren auf allen Ebenen diskutiert ‐, ohne dass sich etwas tue. Die Bürokratie liege „wie Mehltau über dem Land“, kritisierte Schulz.
Joachim SchulzWir brauchen hier ein Umdenken in der Politik.
Diese sollte ihren Leistungsnachweis nicht mehr darin suchen, immer weiter neue Gesetze und Regelungen zu schaffen, sondern darin, Vorgaben wieder abzubauen und Spielräume zu ermöglichen. Man beteilige sich als Südwestmetall gerne an Aktivitäten wie der „Entlastungsallianz“ der Landesregierung oder auch dem „Deutschlandpakt“ von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Das muss dann aber auch Ergebnisse bringen“, forderte Schulz.
Industriestrompreis „ordnungspolitisch schwierig“
Drängendes Problem bleibt laut Südwestmetall das Thema Energie. So berichten fast 90 Prozent der Firmen von gestiegenen Kosten in 2022, knapp die Hälfte der Unternehmen hatte Steigerungen von mehr als 50 Prozent zu verkraften. In diesem Jahr seien die Kosten zwar für das Gros der Unternehmen wieder gesunken, allerdings nicht in dem Maße, wie sie im Vorjahr gestiegen waren. Weiterhin berichtet mehr als ein Drittel der Firmen von weiter steigenden Energiepreisen.
Entsprechend sieht Schulz hier großen Handlungsbedarf: „Vor allem energieintensive Bereiche sind kaum noch wettbewerbsfähig am Standort Deutschland. Auch drohen uns Zukunftsinvestitionen verlorenzugehen, wenn beispielsweise andere Länder Ansiedlungen von stromintensiven Batteriefabriken mit Strompreisen weit unter den deutschen ködern.“
Der nun auf dem Tisch liegende Vorschlag eines Industriestrompreises sei zwar „ordnungspolitisch schwierig“ und auch nur befristet als Brückenhilfe denkbar, so Schulz: „Am Ende muss aber eine spürbare Entlastung dieser Wirtschaftsbereiche stehen, die die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt.“ Die genaue Ausgestaltung sei dann Sache der Politik.
IG Metall schießt „weit über das Ziel hinaus“
Angesichts der kritischen Gesamtlage und der Corona-Nachwehen steigt bereits die Zahl der Insolvenzen im Land. Ganz unabhängig von solchen Worst-Case-Szenarien gibt es laut Schulz aber schon heute viele Unternehmen, deren Ergebnisse deutlich zurückgingen. Gerade im Hinblick auf die notwendigen Investitionen der Branche in die Elektro-Mobilität und den Klimaschutz sei dies sehr problematisch.
Die Frage, ob denn auch die Arbeitnehmerseite den Ernst der Lage erkannt habe, beantwortete Hauptgeschäftsführer Barta mit einem vielsagenden Lächeln und fügte dann an: „Wir machen die Erfahrung, dass die Belegschaften in den jeweiligen Betrieben vor Ort die Situation sehr klar sehen und durchaus auch großes Verständnis für die Belange der Arbeitgeber mitbringen.“
Doch Forderungen wie jüngst die der IG Metall in der nordwestdeutschen Stahlindustrie „schießen weit über das Ziel hinaus“. Die Gewerkschaft verlangt dort inmitten der Rezession und Strukturkrise 8,5 Prozent mehr Geld und eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 32 Stunden ‐ bei vollem Entgeltausgleich. So etwas dürfte die Aussichten der Branche sicher nicht verbessern.