Elektroschrott
Fahrender Elektroschrott ohne Reichweite? Experte kontert Kritik am Elektro-Auto
Ulm / Lesedauer: 5 min

Elektroautos sind teuer, brauchen eine Ewigkeit zum Laden und sind in ihrer Herstellung alles andere als nachhaltig – kurzum „fahrender Elektroschrott“. Mit Argumenten wie diesen wird der Professor für Festkörperchemie, Maximilian Fichtner, häufig konfrontiert.
Am Helmholtz Institut Ulm erforscht er mit seinem Team die Batterietechnologien von morgen. „Viele Argumente sind mal richtig gewesen“, sagt Fichtner. Doch inzwischen stehe die Elektromobilität kurz davor, den Antrieb durch Verbrennungsmotoren in praktisch allen Belangen zu übertreffen.
In der Industrie stehe bereits die nächste Generation von Batterien in den Startlöchern. Durch kompaktere Bauweise ermöglichen sie Reichweiten von mehr als 1000 Kilometern. Drei große Hersteller haben angekündigt, solche Batterien schon im kommenden Jahr auf den Markt zu bringen. Die Industrie arbeite außerdem daran, zusätzliche Batterien in tragenden Karosserieteilen unterzubringen.
Maximilian Fichtner, Direktor Helmholtz Institut UlmMan kann vorhersagen, dass das Ende der Fahnenstange bei etwa 1700 Kilometern Reichweite erreicht sein wird.
Von Weiterentwicklungen in der Batteriechemie erwartet Fichtner, dass die Speicherdichten um weitere 20 bis 30 Prozent ansteigen werden. „Man kann vorhersagen, dass das Ende der Fahnenstange bei etwa 1700 Kilometern Reichweite erreicht sein wird“, sagt der Batterieforscher.

Fichtner hält jedoch bereits die aktuelle Generation von Elektroautos für alltagstauglich. Die Zeiten schmerzhaft kurzer Reichweiten seien längst vorbei. „Als erstes hatte ich einen BMW i3 . Der hatte im Sommer 230 Kilometer Reichweite, im Winter vielleicht 150, und das hat genervt“, gesteht er ein.
Sein nächstes Fahrzeug, ein Opel Ampera, habe dann bereits 400 Kilometer geschafft. „Da habe ich dann einmal die Woche geladen und gut war’s.“ Zwar sind die Reichweiten noch nicht auf dem Stand von Verbrennern. Aber „nach drei Stunden Fahrt mal 20 Minuten Pause zu machen, finde ich nicht so weit weg von einer vernünftigen Reiseart.“
Eine Million Kilometer Lebensdauer
Gleichzeitig sei die Lebensdauer der Batterien deutlich angestiegen. Früher sei nach rund 150 000 gefahrenen Kilometern Schluss gewesen. Heutige Elektroautos könnten etwa 2000-mal komplett vollgeladen werden, bevor die Kapazität auf unter 80 Prozent des ursprünglichen Werts abfällt.

Bei einem Fahrzeug mit 500 Kilometern Reichweite würde dies rechnerisch einer Million Kilometern entsprechen. „Das ist also deutlich mehr, als ein Verbrenner zu liefern in der Lage ist“, schlussfolgert Fichtner.
Die Anschaffungskosten eines Elektroautos sind nach wie vor höher als die eines Verbrenners. Allerdings würden sich die laufenden Kosten auf einen Bruchteil summieren. Statt rund 1400 beweglichen Teilen besitzt ein E-Auto nur etwa 40. „Ich fahre jetzt seit sechs Jahren elektrisch. Ich war praktisch außer zum Reifen wechseln nie in der Werkstatt“, berichtet Fichtner.
Umstrittene Ökobilanz
Neben Fragen der Alltagstauglichkeit stehen E-Autos häufig für die Rohstoffe in der Kritik, die für die Herstellung der Batterien benötigt werden. Kobalt besitzt einen besonders schlechten Ruf in Hinblick auf Umweltauswirkungen und Arbeitsbedingungen. Allerdings sei der Anteil des Schwermetalls in E-Auto-Batterien seit den 2000er-Jahren kontinuierlich gesunken.
In modernen Fahrzeugbatterien seien maximal zehn Prozent Kobaltoxid enthalten. Tesla gab im Frühjahr bekannt, zukünftig beim Großteil seiner Fahrzeuge gänzlich auf Kobalt sowie auf Nickel verzichten zu wollen. Stattdessen will der US-Konzern in 75 Prozent seiner Flotte Batterien auf Eisenbasis verbauen.
Fälle von Kinderarbeit beim Abbau von Kobalt, etwa in Südamerika, habe die Politik nach Fichtners Meinung durchaus ernst genommen. Infolge des Lieferkettengesetzes darf nur noch Kobalt aus zertifizierten Minen nach Europa eingeführt werden. Bei diesen handele es sich in der Regel um staatliche Betriebe mit kontrollierten Arbeitsbedingungen.
Immer mehr Kobalt auf dem heimischen Markt stamme zudem aus Recycling oder werde in europäischen Ländern wie Finnland abgebaut. „Kinderarbeit gibt es noch. Aber dieses Kobalt findet sich eher in chinesischer Billigelektronik. In Elektrofahrzeugen in Europa und den USA findet man das nicht mehr.“
Umweltfreundlicher und günstiger
Für die Zukunft setzt Maximilian Fichtner große Hoffnung in die Natrium-Ionen-Batterie. Sie kommt gänzlich ohne Lithium, Kobalt, Nickel und Kupfer aus. Natriumvorkommen gibt es hingegen „in praktisch unendlichen Mengen“, erklärt der Batterieforscher.
Das mache Natrium-Ionen-Batterien umweltfreundlicher und günstiger. Ein Wermutstropfen liegt hingegen in der Speicherdichte. Fichtner erwartet, dass sie nicht dieselben Reichweiten wie Lithium-Ionen-Batterien erreichen werden.
Ihren ersten kommerziellen Einsatz fanden Lithium-Ionen-Batterien bereits in den 1990er-Jahren. Damals verbaute sie der Elektronikkonzern Sony in Camcordern. Drei Jahrzehnte später zählt Maximilian Fichtner die Lithium-Ionen-Batterie noch lange nicht zum alten Eisen. Der Chemiker nimmt an, dass die Natrium-Ionen-Batterie sie auf dem Markt ergänzen, aber nicht ersetzen wird.
In vielen Bereichen könne die Natrium-Ionen-Batterie aber eine ressourcenschonende und kostensparende Alternative sein. Etwa für Fahrzeuge, die nicht vorrangig für die Langstrecke genutzt werden. Oder im stationären Bereich als Energiespeicher für Haushalte oder Solarparks. Fichtner hält es für realistisch, dass bis zu einem möglichen Verbrenner-Verbot 2035 alle Voraussetzungen für die Großserienproduktion von Natrium-Ionen-Batterien geschaffen sein können.