Gundelsweiler

Rohe Kräfte, silbernes Metall: Bei RRPS entstehen schwere Motoren

Friedrichshafen / Lesedauer: 7 min

Rolls-Royce Power System gehört zu den weltweit führenden Herstellern von schweren Motoren. Und doch muss man sich bis 2030 komplett neu erfinden.
Veröffentlicht:08.07.2022, 19:30

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Die silberglänzende Kurbelwelle scheint über dem Motorblock zu schweben. An grüngrauen Stricken hängend, lässt ein Deckenkran sie langsam ins Innere des so sonderbar geformten, gegossenen Metallkörpers gleiten. „Die Kurbelwelle ist das Herz, und ihre Vereinigung mit dem Motorblock ist die Geburt des Motors“, sagt der für die Montage verantwortliche Meister Uwe Gundelsweiler.

Die Mitarbeiter des aus Salem am Bodensee stammenden Motorenspezialisten drücken die Kurbelwelle in die richtige Position. Die Werker tragen Handschuhe, weil alle Teile ohne Öle konserviert sind und in dem Moment rosten würden, in dem man sie mit schwitzigen Händen anfasst und berührt. „Beim Einbau der Welle, der Triebwerksmontage, ist größte Sorgfalt gefragt, denn im Anschluss wird der Motor irgendwann geschlossen und man kommt an nichts mehr ran“, erläutert der 56-Jährige weiter.

Motoren sind die wichtigsten Produkte fürs Unternehmen

Was in den Hallen von Werk 2 unter den kritischen Augen Uwe Gundelsweilers nach und nach entsteht, ist ein Motor der 4000er-Reihe, den mit Abstand wichtigsten Produkten des traditionsreichen Motorenherstellers Rolls-Royce Power Systems (RRPS) aus Friedrichshafen am Bodensee. Wenn Gundelsweiler in der Montage unterwegs ist und über seine Arbeit spricht, kann er den Stolz, auf das, was er und seine 180 Kollegen in der 4000er-Produktion schaffen, nicht verbergen. „Im Motorenbau spielen wir Champions League“, sagt der Industriemeister.

Die Namen der Motoren geht auf das Volumen ihrer Zylinder zurück. Jeder Zylinder eines 4000er-Motors hat eine Größe von 4000 Millilitern – es ist der Raum, in dem der Kraftstoff eingespritzt, verdichtet und gezündet wird. Diese Zündung treibt den Kolben zurück – ein Stoß, der über die Kurbelwelle in eine Drehbewegung überführt wird. Die meisten 4000er-Motoren verkauft RRPS für stationäre Anwendungen: Sie erzeugen Strom an nicht ans Netz angeschlossenen Orten oder stellen den Antrieb für Pumpen, die zuverlässig laufen müssen.

Viele Notstromanlagen mit Motoren aus Friedrichshafen

Auch Notstromanlagen für Krankenhäuser, Labore und IT-Systeme stützen sich auf die Motoren aus Friedrichshafen . Nach Angaben von RRPS sichern die Produkte vom Bodensee, die Daten-Center überall auf der Welt mit Energie versorgen, jeden dritten Klick im Internet ab. Die 4000er-Motoren treiben aber auch Fähren, Schleppschiffe und Yachten sowie Lokomotiven und Minenfahrzeuge an.

Der Motorblock, den ein Zulieferer gießt und von RRPS nur noch bearbeitet wird, bevor er in die Werkshalle kommt, fährt nach dem Einbau der Kurbelwelle auf einem Fördersystem zur nächsten Station. Hier werden zuerst Kolben und Pleuel und danach Nockenwelle, Ventile, Zylinderköpfe, Einspritzungen und Kraftstoffleitungen eingebaut und angeschraubt. Gundelsweilers Kollegen bauen in zwei Schichten jeden Tag zehn bis zwölf Motoren – im Jahr ist die Gesamtproduktion vierstellig. Für die Endmontage eines Aggregats sind zwischen 47 und 68 Arbeitsstunden nötig. Ein einzelner Motor hat bis zu 7800 Einzelteile.

Die Affinität zu Motoren war bei mir immer das.

Uwe Gundelsweiler

Einzelteile, die das Leben von Uwe Gundelsweiler aus machen – zumindest das Arbeitsleben des Badeners. Nach seiner Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker in Oberuhldingen am Bodensee bewarb er sich 1981 bei der Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen (MTU), einem Vorgängerunternehmen von RRPS, deren berühmtes Kürzel die heutige Tochter des britischen Triebwerksherstellers Rolls-Royce noch immer als Markennamen weiterführt. „Die Affinität zu Motoren war bei mir immer da“, erzählt Gundelsweiler. Bei der MTU startet er in der Gelenkwellenproduktion, die das Unternehmen damals noch für Mercedes fertigte. „Aber ich habe mich immer an den richtigen Motoren orientiert“, erläutert er.

Werkerin bei der Endmontage: Ein Motor aus der 4000er-Reihe hat bis zu 7800 Einzelteile. (Foto: Felix Kästle/Schwäbische.de)

Es folgte der Wechsel auf den Prüfstand, wo die richtigen Motoren zumindest schon einmal vor der Auslieferung geprüft werden. Danach die Weiterbildung zum Industriemeister, bevor der Mechaniker nach Stationen am Entwicklungsprüfstand und der Reparaturmontage die Meisterstelle für den Aufbau einer neuen Motorenreihe übernahm: In Nussdorf am Bodensee begann das Unternehmen 2009, Motoren der Baureihe 1600 zu bauen. Das Besondere: Es sollte eine lernende Fabrik sein: Der Motorenhersteller hatte das Ziel, die vom Kaizen-Prinzip, was auf Japanisch so viel wie andauernde Verbesserung heißt und das der japanischen Autobauer Toyota bekannt gemacht hat, inspirierte Methode der Fließfertigung zu testen. „Wir wollten die japanischen Lehren für die MTU nutzbar machen“, erinnert sich Gundelsweiler.

Die Baureihe 4000 fasziniert

Erfahrungen, die den Motorspezialisten zuerst nach Norwegen und nicht zuletzt als Meister wieder zurück an den Bodensee und in die Produktion der wichtigsten Motoren von RRPS brachten. Nach der Komplettübernahme der MTU durch Rolls-Royce sendet der Konzern den Salemer wegen seiner Kenntnisse in der Fließfertigung im Jahr 2015 nach Bergen zur Tochter Bergen Engines, bevor die Chefs Gundelsweiler 2018 fragen, was ihn in Friedrichshafen denn reizen würde. Lange überlegen muss da er nicht: „Die Baureihe 4000 als verantwortlicher Meister, die wichtigste Meisterstelle in der MTU.“

Die Methoden, die Uwe Gundelsweiler in Nussdorf bei den 1600er-Motoren und in Norwegen ausprobiert hat, haben auch ihre Spuren in der 4000er-Produktion hinterlassen. An vielen Stationen an den Produktionslinien finden sich Schilder mit dem japanischen Wort Hancho. „Das heißt kleiner Chef, und diese kleinen Chefs haben die Aufgabe, Arbeitsgruppen zu führen, die zwischen sechs und zwölf Mitarbeiter haben“, erklärt Gundelsweiler. „Der Hancho führt die Gruppe fachlich, springt auch mal ein und unterstützt sie bei Problemen.“ Der Hancho sei nicht der disziplinarische Vorgesetzte, sondern der fachlich Kompetenteste – und sollte sicherstellen, dass die Motoren jeweils mit der bestmöglichen Qualität an die nächste Gruppe übergeben werden. „Ziel ist es, dass Probleme nur weiter eskaliert werden, wenn die Gruppe selber nicht weiterkommt“, sagt der 4000er-Meister. Gundelsweiler hat die Montage mit zehn Hancho-Gruppen organisiert, und immer wenn ein Team nicht weiter kommt, wird das Hancho-Schild ausgeklappt und der jeweilige kleine Chef eilt zur Unterstützung seiner Kollegen herbei. „Für mich war immer die Technik das Wichtigste, hinzu kam bei den 4000ern dann noch die spannende Aufgabe, eine solche Kostenstelle zu leiten und zu verantworten“, sagt Gundelsweiler.

Bei der heutigen Technologie sind wir Marktführer.

Otto Preiss

Auch wenn Otto Preiss, im RRPS-Vorstand verantwortlich für die Produktion, wie sein Meister für die Motoren schwärmt, die in der Halle 2 am Bodensee entstehen, hat der oberste Technik-Chef aber auch die Gewinne im Blick, die der 4000er dem Unternehmen bringt. „In Summe tragen die Motoren am meisten zu unserem Umsatz und Profit bei. Wenn wir eine Serie nicht aufgeben können, dann ist es diese“, sagt Preiss im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.

RRPS-Mitarbeiter bei der Montage der Kurbelwelle: Die Vereinigung von Welle und Motorblock ist die Geburt des Motors. (Foto: Felix Kästle/Schwäbische.de)

Der Preis für einen solchen Motor ist immer sechsstellig und steigt je nach Anwendung bis auf einen einstelligen Millionenbetrag. „Unser 4000er-Motor ist der Benchmark der Branche, ich bekomme nichts Besseres im Hinblick auf die Energieeffizienz in der Größe“, erklärt Preiss mit Blick auf Wettbewerber wie die US-amerikanischen Motorenhersteller Cummins und Caterpillar oder den deutschen Konkurrenten MAN. „Bei der heutigen Technologie sind wir Marktführer, und die Technologieführerschaft müssen wir auch bei den Techniken der Zukunft beibehalten“, sagt Preiss. „Wir bauen weiter Personal auf, weil wir einen hohen Entwicklungsbedarf haben, um die Motoren für die Zukunft zu rüsten.“

Grüne Motoren als neue Herausforderung

Einfach wird das nicht, das wissen sowohl Preiss, als auch sein 4000er-Chef Gundelsweiler. Denn die Technik der Zukunft ist grün – und noch 2019 hat RRPS Motoren gebaut, die fast ausschließlich fossile Brennstoffe verbrannt haben. Bis 2030 muss sich das ändern: Ein Drittel aller Produkte soll dann mit Wasserstoff und Brennstoffzellen oder elektrisch laufen. Der Rest werden weiterhin Motoren mit Verbrennertechnik sein, die aber zur Hälfe entweder CO2-freie oder CO2-neutrale Kraftstoffe verwenden – so jedenfalls der Plan.

Dass der 4000er-Motor da weiter dazugehören wird, da ist sich Uwe Gundelsweiler sicher. „Das ist alles sehr spannend, und ich bin dabei und erlebe, wo die Reise hingeht“, sagt der Motorenbauer, bevor er auf der Linie 2 zwei Kollegen mit neuen Aufgaben betraut.