Von wegen giftiges Früchtchen

Panik-Mache um Pestizide in Erdbeeren? Warn-Meldung wirft Fragen auf

Wirtschaft / Lesedauer: 6 min

Eine Analyse des BUND macht Verbrauchern Erdbeeren madig. Die Warnungen der Umweltschützer waren landesweit in den Medien. Doch die Sache hat einen ziemlich großen Haken.
Veröffentlicht:06.06.2023, 18:00

Von:
  • Andreas Knoch
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Die Erdbeere gehört zum beliebtesten Frühsommerobst der Deutschen. Der jährliche Pro–Kopf–Verbrauch liegt hierzulande bei 3,7 Kilogramm. Vor allem Kinder können sich für die süßen roten Früchte begeistern.

Umso besorgter dürften viele Eltern auf einen aktuellen Erdbeertest des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) reagieren. Anfang der Woche titelte die Umwelt– und Naturschutzorganisation: „Giftige Verlockung im Körbchen“ — und warnt vor einer hohen Belastung von konventionellen Erdbeeren durch Pestizide.

in Proben seien acht Fungizide entdeckt worden

Bei Proben von Früchten unterschiedlicher Händler seien in 15 von 19 Fällen Rückstände von insgesamt acht Fungiziden festgestellt worden, erklärt BUND–Pestizidexpertin Corinna Hölzel.

Für die Untersuchung hatte der BUND im Mai 2023 vor allem Früchte aus Deutschland, aber auch aus Spanien, Italien und den Niederlanden eingekauft. Die Erdbeerproben kamen aus Supermärkten wie Rewe, Edeka, Kaufland und Marktkauf, aber auch von Discountern wie Lidl, Aldi, Penny und Netto. Auch von Galeria Markthalle und einem mobilen Erdbeerstand wurden Proben genommen.

„Kollateralschaden für das Ökosystem“

Gut die Hälfte der Proben wies demnach zwei oder mehr Wirkstoffe gegen Pilze auf. In drei Fällen seien sogar vier unterschiedliche Fungizide festgestellt worden. Gerade diese Mehrfachbelastung sei besorgniserregend, erklärte Hölzel vom BUND.

Zwei der vom BUND nachgewiesenen Stoffe könnten das Hormonsystem beeinflussen. Solche Gifte wirkten laut Hölzel auch schon in sehr geringen Konzentrationen. Und das in vier Proben nachgewiesene Trifloxystrobin werde als fortpflanzungsschädlich eingestuft. Hoch giftig seien die nachgewiesenen Wirkstoffe aber vor allem für Wasserorganismen und für Vögel. Einmal im Grundwasser müssten sie dann zu hohen Kosten wieder rausgefiltert werden. „Der Kollateralschaden für das Ökosystem ist immens“, schlußfolgert Hölzel.

Und nun? Auf den Verzehr von frischen Erdeeren mit Schlagsahne oder Erdbeertorte verzichten? Aus Angst vor den unkalkulierbaren Nebenwirkungen eines Pestizid–Cocktails — wie es der BUND–Test suggeriert?

Werte sind meilenweit unter den Grenzwerten

„Nein“, widerspricht Simon Schumacher vehement. „Erdbeeren sind sichere und gesunde Lebensmittel“, sagt der Geschäftsführer des Verbands Süddeutscher Spargel– und Erdbeeranbauer (VSSE) der „Schwäbischen Zeitung“ und kritisiert den BUND–Test aufs Schärfste. „Reine Schaumschlägerei“, so sein Fazit, denn die vom BUND in den Proben gefundenen Wirkstoffmengen lägen meilenweit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten.

Beispiel Azoxystrobin, ein im Erdbeeranbau eingesetzter Wirkstoff zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten wie Mehltau: Der in einer BUND–Probe festgestellte Rückstand lag bei 0,2 Milligramm pro Kilo; der gesetzliche Grenzwert liegt laut Schumacher bei zehn Milligramm pro Kilo. „Damit hat die Probe den Grenzwert um 98 Prozent unterschritten.“

Verfolgt der Test auch politische Ambitionen?

Angaben zu Grenzwerten vermisst man in den Analysen des BUND. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Test nicht nur das Verbraucherwohl im Fokus hat, sondern auch politische Ambitionen verfolgt — umso mehr, als die BUND–Ergebnisse mit einer Petition an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gegen Pestizide gekoppelt war.

Darin fordert die Umwelt– und Naturschutzorganisation von der Bundesregierung „mindestens eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 sowie ein Verbot besonders gefährlicher Pestizide“.

Dazu muss man wissen, dass auf EU–Ebene gerade mit harten Bandagen um ein solches Gesetzespaket gerungen wird. Das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ sieht vor, den Einsatz und die Risiken von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 zu halbieren, und ist vor allem für Landwirte ein rotes Tuch. Denn viele Bauern fürchten, dass ihnen ohne Pflanzenschutzmittel die Existenzgrundlage genommen wird.

Lebensmittelchemiker geben Entwarnung

Aus Verbrauchersicht Entwarnung geben auch Leonie Moser und Marc Wieland vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart. Die Lebensmittelchemiker untersuchen regelmäßig Obst und Gemüse auf Rückstände aller Art, darunter auch Erdbeeren.

Ihr Fazit: „Die gefundenen Wirkstoffrückstände liegen allesamt unter den von der EU vorgegebenen Grenzwerten, und alle gefundenen Wirkstoffe haben auch eine Zulassung für Deutschland und die EU. Bei Erdbeeren haben wir nur ganz selten etwas zu beanstanden.“

Die CVUA–Lebensmittelchemiker hatten Ende März dieses Jahres einen Bericht über die Pestizidbelastung von frischem Obst aus konventionellem Anbau veröffentlicht. Darin wurden ingesamt 61 Erdbeerproben mehrheitlich aus Deutschland, aber auch aus Spanien untersucht. Fast alle Erdbeeren wiesen Rückstände auf. In einer einheimischen Erdbeerprobe wurden sogar zwölf verschiedene Wirkstoffe gefunden. Aber nur bei einer Probe aus Spanien wurde ein Grenzwert überschritten.

Pestizideinsatz im Erdbeeranbau geht zurück

Erdbeeren sind zwar anfällig für Pilzerkrankungen. Wer ein Körbchen in der Sommersonne einen Tag stehen lässt, wird das bestätigen können. Im Anbau hierzulande geht der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln aber zurück. Das hat mehrere Gründe.

Zum einen werden immer mehr Erdbeeren unter Folie angebaut — nach Zahlen des VSSE waren es in Baden–Württemberg im vergangenen Jahr 457 Hektar, was einem Anteil von 27 Prozent an der Gesamtanbaufläche entsprach. „Grundsätzlich sind im Tunnel weniger Behandlungen erforderlich als im Freiland“, sagt Verbandspräsident Schumacher.

Zum anderen, und darauf weisen Moser und Wieland vom CVUA hin, würden die klimatischen Veränderungen dafür sorgen, dass der Pilzbefall bei Erdbeerkulturen in Deutschland nicht mehr so hoch ist wie noch vor einigen Jahren.

Wenn Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, dann in der Regel weit vor der Ernte, etwa bei feuchter Witterung, um die Blüte und Pflanze vor dem Befall mit Schadpilzen, Blattläusen oder Spinnmilben zu schützen. „Damit kommen wir auf ein bis fünf Anwendungen pro Kultur“, sagt Schumacher — wegen des zeitlichen Vorlaufs bis zur Ernte „unbedenklich für den Verzehr“.

Bio–Erdbeeren als Alternative?

Wahr ist aber auch, dass es bis dato keine wissenschaftlich belastbaren Studien darüber gibt, welche Wirkungen die Kombination verschiedener Pestizidrückstände in Lebensmitteln im menschlichen Körper auslöst. Einzelsubstanzen sind in ihrer Wirkung gut erforscht. Bei mehreren Wirkstoffen ist die Sachlage komplexer, sie könnten in Wechselwirkung treten und die Giftigkeit erhöhen.

Wer dieses Risiko ausschließen möchte, sollte auf Bio–Erdbeeren zurückgreifen. Die weisen nach den Erfahrungen der CVUA–Experten Moser und Wieland „so gut wie keine Rückstände auf“. Das rät im übrigen auch der BUND. Das Problem dabei ist: Nur wenige Ökolandwirte bauen überhaupt Erdbeeren an. Der Anteil von heimischen Biofrüchten an der Gesamternte liegt nur zwischen einem und zwei Prozent.