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Lösung für die Energiekrise: Industriewärme könnte Schulen heizen

Grünkraut / Lesedauer: 5 min

Durch die Nutzung industrieller Abwärme könnten zehn Prozent aller Haushalte mit Wärme versorgt werden. Ein Unternehmen aus der Region zeigt, wie es geht.
Veröffentlicht:21.01.2023, 05:00

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Auch im Winter gilt: Wer nicht will, dass die eigenen vier Wände ein Eigenleben entwickeln, muss lüften und heizen. Wer jedoch beides auf einmal macht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, wertvolle Energie zu verschwenden. Gilt das im privaten als vermeidbares Missgeschick, ist es in der Industrie bislang Alltag. Denn Abwärme entsteht bei fast jedem industriellem Prozess – und wird doch nur in den seltensten Fällen genutzt.

Der Grund: Die Nutzung galt bislang als aufwändig und unwirtschaftlich. Doch angesichts der gegenwärtigen Energiekrise hat das Thema eine neue Relevanz erhalten. Durch die Nutzung industrieller Abwärme könnte jeder zehnte private Haushalte im Land mit Raumwärme und Warmwasser versorgt werden – und Deutschland seine Energiewende voranbringen.

Dämmen ist sinnvoller als Wiederverwertung

Doch zunächst gilt: Die beste Abwärme ist die, die erst gar nicht entsteht. So betonen die Autoren einer aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts, dass die Abwärmenutzung erst in Betracht gezogen werden sollte, „nachdem die Ursachen der Abwärmeentwicklung soweit wie möglich reduziert wurden‟. Es gibt aber auch Abwärme, die nicht vermeidbar ist.

Diese entsteht vor allem in energieintensiven Branchen wie der Metall-, Automobil- oder Papierindustrie. Mit dieser Abwärme können dann Strom und Kälte erzeugt, aber auch Räume und Wasser beheizt werden. Doch für diese Nutzung sind Apparate wie Wärmetauscher, -speicher oder -pumpen erforderlich. Je nach Einsatzort und Art der Abwärme müssen Unternehmen dafür zum Teil tief in die Tasche greifen.

Blum-Novotest als Vorreiter

Doch die Investition trägt dazu bei, sowohl Betriebskosten als auch den CO2-Ausstoß zu reduzieren – und ganz nebenbei das Image des Unternehmens zu verbessern. Deswegen ist die interne Nutzung industrieller Abwärme für viele Unternehmen bereits bewährte Praxis.

Der Maschinenhersteller Blum-Novotest aus Grünkraut nutzt bereits seit 2008 verschiedene Abwärmequellen, um die eigenen Büro- und Fertigungsbereiche zu heizen. Insgesamt werden am Standort Grünkraut durch die Nutzung industrieller Abwärme bis zu 800 Kilowatt Leistung rückgewonnen. Diese wird, je nach Bedarf, flexibel eingesetzt.

Reserveinfrastruktur ist notwendig

Diese Flexibilität ist auch notwendig, denn die Menge der Abwärme ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – und variiert oftmals mehrmals pro Tag. Deshalb raten die Autoren einer aktuellen Studie des Fraunhofer Institut auch dazu, immer eine Reserveinfrastruktur bereitzuhalten.

Außerdem müssten Abhängigkeiten zwischen miteinander energetisch verknüpften Anlagen bedacht werden. So werden etwa bei Blum-Novotest die Fertigungs- und Bürogebäude durch die Abwärme der Drucklufterzeugungsmaschinen und Gebäudelüftungsgeräte beheizt. Sind diese Geräte außer Betrieb, müssen die Räume durch andere Wärmequellen beheizt werden.

Jedoch kann es auch vorkommen, dass die Abwärme, die in einem Betrieb oder Werk anfällt, so hoch ist, dass sie den eigenen Bedarf vor Ort übersteigt. In diesem Fall ist ein Anschluss an ein regionales Wärmenetz sinnvoll. So könnten beispielsweise etwa nahegelegene Schulen oder Schwimmbäder beheizt werden.

Fördert der Staat den Ausbau?

Für die Einspeisung industrieller Abwärme in ein solches regionales Wärmenetz müsse die Regierung aber „weitere Anreize zur Beschaffung von Geräten zur Nutzung und Speicherung von Abwärme schaffen‟, meint der kaufmännische Leiter von Blum-Novotest, Frank Latzko, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung‟. Außerdem solle der Aufbau einer Infrastruktur zur Speicherung und Verkauf vorhandener Energien gefördert werden.

Die IHK bezeichnet die bisherig geschaffenen Rahmenbedingungen der Landesregierung indes als „gut‟ und verweist auf Förderprogramme für Städte und Unternehmen. Das Klimaschutzgesetz in Baden-Württemberg nehme hier eine „Vorbildfunktion‟ ein, so ein Sprecher auf Anfrage.

Während der Bund durch die KfW-Bank konkrete Energieeinsparmaßnahmen subventioniert, will das Land in einem vorgelagerten Schritt Unternehmen die Scheu vor diesen Maßnahmen nehmen. Hierfür bezuschusst es die Erstberatung und Projektanbahnung von Abwärmeprojekten mit 75 Prozent.

Einige Unternehmen nutzen bereits Abwärme

Eine solche Beratung benötigt der Maschinenhersteller Voith nicht mehr, denn er nutzt bereits industrielle Abwärme. Das Heidenheimer Unternehmen strebt nach eigener Aussage die Steigerung der Energieeffizienz in allen Bereichen und Prozessen an. Hierbei spiele auch die Nutzung industrieller Abwärme eine große Rolle.

Wo diese nicht möglich sei, werde die Abwärme für eigene Prozesse genutzt. So wird beispielsweise am Hauptsitz Wärme aus Prüfständen zur Beheizung der Gebäude genutzt. Auch durch diese Maßnahme konnte Voith seit dem Geschäftsjahr 2011/12 seinen Energieverbrauch um rund 30 Prozent senken. Seit 2022 arbeitet Voith in allen seinen Standorten netto-klimaneutral.

Abwärmevermeidung spielt auch für den Automobilzulieferer ZF eine große Rolle. Energieintensive Bereiche wie etwa die Härterei hätten aber nur einen untergeordneten Anteil an an den Produktionsanlagen. Die entstehende Abwärme wird bisher nicht quantitativ erfasst. Dennoch rüste ZF seine Energietechnik sukzessive um, um so mit Abwärme Gebäude heizen zu können, teilt ein Unternehmenssprecher mit.


So könnten Rechenzentren zur Dekarbonisierung beitragen

Abwärme in beträchtlichen Mengen produzieren auch Deutschlands Rechenzentren. Zwar befinden sich sieben der zehn größten im Raum Frankfurt, doch auch im Südwesten Deutschlands rücken große Rechenzentren wie die von Telemaxx in Karlsruhe in den Fokus.
Rechenzentrumsabwärme könnte 350.000 Wohnungen beheizen
Denn nach Berechnungen des IT-Branchenverbands Bitkom könnten mit der landesweiten Nutzung von Rechenzentrumsabwärme jährlich rund 350.000 Wohnungen versorgt werden.

Ohnehin will die Bundesregierung, dass neue Rechenzentren ab 2027 klimaneutral arbeiten. Doch das sorgt für Kritik unter den Betreibern.
Es mangele nicht an der Bereitschaft, Abwärme abzugeben, sondern an fehlenden politischen Rahmenbedingungen, einen Markt der Abnehmer zu etablieren, sagt etwa Alexander Rabe, Geschäftsführer des Branchenverbands Eco der Fachzeitschrift IT-Business. Er fordert, dass zuerst beispielsweise städtische Energieversorgungsunternehmen zu einer Abnahme verpflichtet werden.

Vorbild Schweden

Die stärkere Eingliederung von Rechenzentren an Nahwärmenetz ist auch in Baden-Württemberg ein Ziel der Landesregierung. Bisher gab es allerdings noch keine Erhebungen zu den Abwärmepotentialen. Deswegen prüft aktuell ein Forschungskonsortium potentielle Standorte für Rechenzentren.

Deutlich weiter ist da Schweden. Schon jetzt werden in Stockholm Wohnungen durch die Abwärme der ortsansässigen Rechenzentren beheizt. Bis 2035 sollen mit dieser Abwärme 10 Prozent der Haushalte geheizt werden.