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Bewertungsreserve

Lebensversicherte erhalten nicht mehr Geld

Berlin / Lesedauer: 4 min

Der Bundesgerichtshof hält Kürzungen bei den Bewertungsreserven für rechtmäßig
Veröffentlicht:27.06.2018, 18:44

Von:
  • Schwäbische.de
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Millionen Deutsche haben eine Lebensversicherung. Wieviel Geld am Ende genau ausgezahlt wird, hängt auch davon ab, in welchem Umfang die Kunden an den Bewertungsreserven der Versicherer beteiligt werden. Seit einer wegen der Zinsflaute vorgenommenen Gesetzesänderung dürfen die Versicherer diese Beteiligung kürzen – grundsätzlich zu Recht, wie der Bundesgerichtshof (BGH) entschied. Das Gericht erklärte die entsprechende Neuregelung für verfassungsgemäß. Die wichtigsten Fragen und Anworten.

Können Kunden mit einer Lebensversicherung auf höhere Schlusszahlungen hoffen?

Wer mit einer Kapitallebensversicherung oder einer privaten Rentenversicherung vorsorgt, muss beim Ablauf seines Vertrages weiterhin mit einer Kürzung bei der Beteiligung an den Bewertungsreserven der Versicherung rechnen. Seit 2014 ist dies gesetzlich erlaubt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hält die damalige Änderung des Rechts für verfassungsgemäß. Es bleibt also bei der aktuellen Praxis.

Wie entstehen diese Bewertungsreserven?

Angenommen, eine Versicherung hat das Geld der Kunden vor Jahren zu hohen Zinsen von fünf Prozent in lange laufenden Staatsanleihen angelegt. Danach sind die Zinsen am Kapitalmarkt gefallen. Derzeit liegen sie praktisch bei null. Bei sinkenden Zinsen steigt aber der Verkaufswert, der Kurs der Anleihe. Die Differenz zwischen dem ursprünglichen Kaufpreis und dem aktuellen Wert ist die Bewertungsreserve.

Ist dies nicht ein Gewinn, der den Anlegern zusteht?

Grundsätzlich werden die Kunden an diesem Buchgewinn beteiligt. Bis 2014 bekamen sie die Hälfte davon zugewiesen. Diese Praxis hat jedoch in Niedrigzinsphasen wie derzeit einen gewaltigen und gefährlichen Haken. Die Versicherungen müssten die lukrativen Wertpapiere womöglich verkaufen, um die Versicherten daran zu beteiligen, deren Vertrag gerade ausläuft. Für die Kunden, deren Policen später enden, blieben dann nur die geringeren Erträge aus schlechter verzinsten Anlagen übrig. Insofern werden die Probleme aus der Niedrigzinsphase auf alle Generationen von Versicherten verteilt.

Um welchen Fall ging es in Karlsruhe?

Geklagt hatte der Bund der Versicherten ( BdV ) stellvertretend für einen Kunden der Victoria Lebensversicherung, die zum Ergo-Konzern gehört. Vor der Gesetzesänderung stellte das Unternehmen dem Kunden eine Beteiligung in Höhe von 2821,35 Euro an den Bewertungsreserven in Aussicht, mit dem Hinweis auf Schwankungen bei dieser Summe. Als der Vertrag ausgezahlt wurde, war nur noch von 148,95 Euro die Rede. Dagegen klagte der Verband für ihn.

Warum hat der BGH dagegen entschieden?

Als Kläger zog der Bund der Versicherten vor Gericht. Dessen Chef Axel Kleinlein ist der Überzeugung, dass die Kürzungen einer Enteignung gleichkommen und deshalb gegen das Grundgesetz verstoßen. Dagegen hält der BGH das Verfahren für rechtmäßig, weil der Gesetzgeber einen guten Grund für die Neuregelung anführen kann. Ansonsten wäre in der Niedrigzinsphase womöglich die Auszahlung der von den Versicherungen garantierten Ablaufleistungen nicht mehr gesichert. „Im Einzelfall auftretende Härten führen nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt“, entschieden die Richter.

Ist mit dem Urteil das letzte Wort gesprochen?

„Es ist ein unentschieden“, sagte Kleinlein nach der Urteilsverkündung. Denn das Verfahren hat noch eine zweite wichtige Facette. Der BdV will mehr Transparenz beim Umgang mit den Bewertungsreserven erzwingen. Denn in der Regel können die Kunden nicht nachvollziehen, ob eine Kürzung aus Gründen der finanziellen Stabilität des Unternehmens angemessen ist. Da der BGH den auf bessere Begründungen abzielenden Teil der Klage an das Düsseldorfer Landgericht zurückverwiesen hat, sieht sich der BdV diesbezüglich chancenreich. Kleinlein will danach wieder vor den BGH und anschließend vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Erst dann würde das letzte Wort in diesem Rechtsstreit gesprochen.

Kann das Verfahren den Verbrauchern noch etwas Positives bringen?

Sollte das Düsseldorfer Landgericht den Nachweis zur Notwendigkeit einer gekürzten Bewertungsreserve nicht ausreichend finden, könnten diesbezüglich noch neue Maßstäbe in der Branche Einzug halten. Die Versicherungen wären gezwungen, ihre Berechnungsgrundlagen nachvollziehbar darzustellen. „Das hätte Signalwirkung“, glaubt Kleinlein. Eine einseitige Auslegung der gesetzlichen Regeln zugunsten des Anbieters würde erschwert. Indirekt profitiert vermutlich sogar eine große Mehrheit der Kunden vom BGH-Spruch. Denn sie werden weiterhin auch an den Erträgen besser verzinster Anlagen beteiligt, und sie haben mehr Sicherheit, dass ihre Versicherung am Ende auch ihre Zusagen halten kann.