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Laute Kritik aus der Wirtschaft am EU–Lieferkettengesetz

Brüssel / Lesedauer: 5 min

Die EU will Menschenrechte mit Lieferkettengesetz stärker schützen. Die Unternehmen befürchten zusätzliche Bürokratie. Lob kommt dagegen vom Outdoor–Ausrüster Vaude.
Veröffentlicht:02.06.2023, 14:00

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Unternehmen in der EU sollen nach dem Willen des Europaparlaments künftig strenger darauf achten, dass ihre Produkte im Einklang mit Menschenrechten und Umweltschutz hergestellt werden. 366 Abgeordnete befürworteten am Donnerstag das geplante EU–Lieferkettengesetz in Brüssel, mit dem große Firmen entlang ihrer globalen Lieferketten für den Schutz von Menschenrechten und der Umwelt in die Pflicht genommen werden sollen.

Der Richtlinienentwurf sieht unter anderem vor, dass Firmen in der EU für Kinder– oder Zwangsarbeit sowie für Umweltverschmutzung ihrer internationalen Lieferanten verantwortlich gemacht werden sollen. Geplant ist auch, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie dies nicht tun.

Bereits im Vorfeld der Abstimmung regte sich lautstarke Kritik aus den Reihen der Wirtschaft. Die Kritik wendet sich vor allem gegen die jetzt vom EU–Parlament beschlossene Verschärfung der Berichtspflichten zu den Lieferketten. Nach den Beschlüssen vom heutigen Donnerstag soll der Anwendungsbereich auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten ausgedehnt werden. Zudem drohe eine zivilrechtliche Haftung für die Unternehmen, wie der Arbeitgeberverband Südwestmetall bemängelt. Hauptgeschäftsführer Oliver Barta: „Leider gehen die Pläne noch einmal deutlich über das auch schon schädliche deutsche Gesetz hinaus. Vieles soll noch strenger und weitreichender geregelt werden.“

Laut einer Umfrage des Verbands Südwestmetall, der in Baden–Württemberg rund 680 Unternehmen vertritt, erwarten jeweils mehr als 90 Prozent der antwortenden Unternehmen durch das Gesetz mehr Bürokratie und höhere Kosten, rund drei Viertel eine beeinträchtigte Wettbewerbsfähigkeit. Und mehr als die Hälfte befürchtet, dann verstärkt zum Rückzug aus einzelnen Ländern oder Handelsregionen gezwungen sein zu können.

Die neuen Vorschriften sollen für in der EU ansässige Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einem weltweiten Umsatz von über 40 Millionen Euro gelten. Auch Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro werden dem Entwurf zufolge mit eingebunden. Je nach Größe der Firma sollen die Regelungen nach einer Übergangsfrist von drei oder vier Jahren angewandt werden.

Der Verband Deutscher Maschinen– und Anlagenbau (VDMA) hatte im Vorfeld der Abstimmung gefordert: „Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sollten den aktuellen Fassungen für ein europäisches Lieferkettengesetz nicht zustimmen. Es ist Zeit, die Notbremse zu ziehen“, so VDMA–Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Der Maschinen– und Anlagenbau in Europa setze sich bereits heute für Menschenrechte und Umweltschutz in den Lieferketten ein. „Wir unterstützen die Ziele der Europäischen Union, soziale und ökologische Standards in Geschäftsbeziehungen zu verfestigen. Die Anforderungen gehen aber vor allem für mittelständische Unternehmen deutlich zu weit und werden den Menschenrechtsschutz in der Welt nicht verbessern“, so der Verband. Mittelständische Firmen könnten nicht alle Stufen ihrer Lieferketten in fernen Ländern kontrollieren, weil sie die dafür erforderlichen Informationen angesichts fehlender Marktmacht gar nicht erhalten. Schon gar nicht könnten sie Einfluss auf ihre Kunden ausüben. Bereits das deutsche Lieferketten–Sorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist, sei laut der Südwestmetall–Umfrage für die Metall– und Elektrounternehmen „eine erhebliche Belastung“, so der Verband. „Betroffen sehen sich nicht nur die größeren Firmen, die in den unmittelbaren Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, sondern auch viele kleinere und mittlere“, sagte Hauptgeschäftsführer Barta in Stuttgart. Die Umfrageergebnisse wertet Barta daher auch als eindringliches Signal an die EU–Akteure, bei der Richtlinie eine grundlegende globale Perspektive einzunehmen. Die EU–Staaten machten schließlich lediglich sechs Prozent der Weltbevölkerung aus.

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte sich gegen eine Verschärfung des deutschen Lieferkettengesetzes auf EU–Ebene gewandt. Für kleine und mittlere Unternehmen seien die umfangreichen Berichtspflichten eine immense bürokratische und finanzielle Belastung.

Vor der Beratung des Europäischen Parlaments warnte auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) vor zusätzlicher Regulierung und einer Abwanderung von Unternehmen. „In Krisenzeiten brauchen Unternehmen Flexibilisierung und Spielräume für Innovationen und weniger Bürokratie aus Brüssel“, sagte BDA–Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Der Vorschlag des EU–Parlaments bringe keinen zusätzlichen Schutz für Menschenrechte.

Auch die Deutsche Industrie– und Handelskammer (DIHK) kritisierte, dem Gesetzesentwurf fehle es an Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit. „Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf: Von ihnen wird eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liegt“, sagte DIHK–Präsident Peter Adrian. Lieferketten bestünden oft aus mehreren Hundert, teils mehreren Tausend Firmen. In der Regel sei einem Betrieb aber nur der direkte Zulieferer bekannt.

Entwicklungsorganisationen wie Oxfam geht das Gesetz allerdings nicht weit genug. Unterdessen hat der Outdoor–Ausrüster aus Tettnang, Vaude, die Beschlüsse begrüßt. „Wir setzen uns für ambitionierte, schnell wirksame und verbindliche Standards für mehr Nachhaltigkeit auf EU–Ebene für möglichst viele Unternehmen ein“, teilte Vaude–Geschäftsführerin, Antje von Dewitz, mit: „Ich sehe vor allem die große Chance, dass nun mehr Akteure gemeinsam aktiv werden und echte Verbesserungen in den Lieferketten voranbringen.“

Nachdem sich das EU–Parlament jetzt auf eine Position geeinigt hat, können die Verhandlungen mit dem Rat über den endgültigen Wortlaut des Gesetzes beginnen.