Klimawandel
Das Kohlenstoff-Budget: So viel CO2 haben wir noch auf dem Konto
Wirtschaft / Lesedauer: 8 min

Anke Kumbier
Es ist ein wissenschaftlicher Fakt: Es gibt den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen stellen die Menschheit vor eine große Herausforderung. Extremwetterereignisse werden häufiger und heftiger, der Meeresspiegel steigt und die Artenvielfalt nimmt ab.
Um den Klimawandel aufzuhalten, hat die Verringerung von Treibhausgasen oberste Priorität. Denn zwischen der Erderwärmung und der Menge an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre besteht ein direkter Zusammenhang - steigt das CO₂, steigt auch die Temperatur.
Die Bundesregierung hat diesen Sommer ihre Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen verschärft, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste Klimagesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte. Blickt man darauf, wie sich in den vergangenen Jahren der CO2-Ausstoß verringert hat, erscheinen die Pläne schon jetzt ambitioniert. Und trotzdem stellt sich die Frage, ob sie überhaupt reichen.
So viel CO₂ haben wir weltweit noch auf dem Konto
Denn es gibt eine sehr anschauliche Möglichkeit zu zeigen, wie stark wir unsere CO2-Emissionen reduzieren müssen, um die durchschnittliche Erwärmung der Erde noch auf 1,5 Grad zu begrenzen: das Kohlenstoff-Budget.
Das Kohlenstoff-Budget ist so etwas wie ein Kohlenstoffkonto, auf dem ein bestimmter Betrag liegt, den wir noch ausgeben können. Wollten wir nur wissen, wie viel uns global noch zur Verfügung steht, wäre die Antwort relativ eindeutig - nämlich insgesamt noch circa 400 Gigatonnen. Der Weltklimarat (IPCC) hat dazu 2018 Zahlen veröffentlicht und in diesem Jahr aktualisiert.
Verbrauchen wir weltweit noch mehr als diese Summe - egal bis wann -, dann ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Eigentlich sollte hier zunächst nur eine Grafik stehen, die darstellt, wie groß Deutschlands Anteil am globalen Budget ist und wie viel Deutschland demnach noch emittieren darf.
Das Problem: Es herrscht Uneinigkeit über den genauen Betrag. Die Bundesregierung hat auch im neuen Gesetz nicht explizit eine maximale Summe an Kohlenstoff genannt, die noch verbraucht werden darf. Sie ergibt sich lediglich indirekt aus den Reduktionsplänen, die beispielsweise bis 2030 eine Verringerung der Emissionen um 65 Prozent im Vergleich zum Wert von 1990 vorsehen.
Klimawissenschaftlerin Nadine MengisBei einer Aufteilung spielen ja auch Gerechtigkeitsüberlegungen und historische Emissionen eine Rolle.
Außerdem ändert sich die Menge, je nachdem welches Temperaturziel im Fokus steht. Soll die Erderwärmung nur auf 2 Grad begrenzt werden, erhöht sich das globale Budget und damit auch die nationale Summe. Weil sich aber die Länder im Pariser Klimaabkommen zum Ziel gesetzt haben, die Erderwärmung nach Möglichkeit auf 1,5 Grad zu begrenzen, werden hier die Werte betrachtet, mit denen sich ein solches Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einhalten ließe.

Welche Aufteilung ist gerecht?
Nadine Mengis, Klimawissenschaftlerin am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, weiß um die Schwierigkeiten, ein nationales Kohlenstoff-Budget zu definieren.
Sie hat im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative daran mitgearbeitet, ein solches für Deutschland zu errechnen. "Bei einer Aufteilung spielen ja auch Gerechtigkeitsüberlegungen und historische Emissionen eine Rolle", erklärt sie.
Denn wie groß darf der Anteil am Gesamtbetrag sein? So groß wie Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung? Oder hat Deutschland mit all seinen historischen Emissionen eigentlich sein Konto schon überzogen und ist jetzt im Minus?
Nadine MengisDas Problem ist, dass die Reduktionsziele der einzelnen Länder oft nicht zum globalen Budget passen und es so nicht für alle reicht.
Bei einer Aufteilung des Budgets Pro-Kopf, also entsprechend dem Bevölkerungsanteil Deutschlands an der Weltbevölkerung, dürften wir noch circa 4,4 Gigatonnen CO2 emittieren.
Denn der BevölkerungsanteilDeutschlandsan der Weltbevölkerung liegt bei ungefähr 1,1 Prozent. 1,1 Prozent von 400 Gigatonnen (dem globalen Budget) wären 4,4 Gigatonnen. Bliebe der Ausstoß Deutschlands auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2019, wären die 4,4 Gigatonnen in knapp sechs Jahren aufgebraucht.
Noch drastischer wäre es, würden die historischen Emissionen mit einberechnet werden. Dann müsste Deutschland eigentlich jetzt sofort damit aufhören, CO₂ auszustoßen.
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Ein Ansatz, der pragmatische Überlegungen miteinbezieht
Die Klima-Initiative des Helmholtz-Instituts hat einen dritten Ansatz entwickelt, den sogenannten Contraction and Convergance-Ansatz. Er vernachlässigt die historischen Emissionen und berücksichtigt, dass Deutschlands Entwicklung auf fossilen Brennstoffen basiert und der Umbau der Energiesysteme Zeit und Geld kostet.
"Ausgehend von der aktuellen Situation haben Länder wie Deutschland in unserem Ansatz Zeit, diesen Lock-In-Effekt zu überwinden", erklärt Mengis.
Dementsprechend würden Deutschland ab diesem Jahr noch 6,9 Gigatonnen Kohlenstoff zur Verfügung stehen.
Deutschland nimmt sich mehr, als ihm zustehen würde
Doch gleicht man die im Klimaschutzgesetz geplante Reduktion der Emissionen mit dem vom Helmholtz-Institut vorgeschlagenen Kohlenstoff-Budget ab, verbraucht Deutschland immer noch mehr als ihm zusteht. Nach Berechnungen von Schwäbische.de hat Deutschland demnach bis 2035 sein Konto leergeräumt und überzieht es bis 2045 um 1,1 Gigatonnen.
Die Bundesregierung hat sich allerdings nicht auf ein Kohlenstoff-Budget geeinigt, die Zahlen zeigen also nicht, dass Deutschland seine Ziele verfehlt. Allerdings machen sie deutlich, dass sich die Bundesrepublik ein größeres Stück vom Kuchen nimmt, als ihr zustehen würde.
Nadine Mengis legt den Finger in die Wunde: "Das Problem ist, dass die Reduktionsziele der einzelnen Länder oft nicht zum globalen Budget passen und es so nicht für alle reicht."
Grundsätzlich hält die Wissenschaftlerin die ambitionierteren Ziele der Bundesregierung und den Plan, 2045 klimaneutral zu sein, für ein gutes Signal. Allerdings sieht das Klimaschutzgesetz - folgt man den Prozentangaben zur Reduktion - einen linearen Ansatz vor. Die Emissionen sollen also gleichmäßig sinken.
Mengis ist das nicht genug: "Denn eigentlich geht es darum, was wir in den nächsten zehn Jahren machen", betont sie. Die Einsparungen der nächsten Jahre fallen am meisten ins Gewicht. Hier sieht sie im Gesetz und bei den Reduktionszielen Nachbesserungsbedarf. "Wir sollten eigentlich bis 2035 85 Prozent im Vergleich zu 1990 eingespart haben." Bisher sind 77 Prozent vorgesehen.
Diskussionen um Kohlenstoff-Budget
Was bringt nun aber ein nationales Budget? Laut Mengis kann es dabei unterstützen, die Dringlichkeit der Einsparungsmaßnahmen zu unterstreichen. Es sei ein hilfreiches Kommunikationsmittel zwischen Wissenschaft und Politik.
Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung seit 1972 berät, hat sich 2019 dafür ausgesprochen, die Reduktionserfolge an einem Kohlenstoff-Budget festzumachen. Die EU will beispielsweise Ende dieses Jahres über ein Budget entscheiden.
"Die Frage, von welchem Budget wir ausgehen, ist absolut brisant", sagt Klimawissenschaftlerin Mengis. Vor diesem Hintergrund sieht sie aber bei aller Nützlichkeit auch die Gefahr, sich in einer Debatte um den richten "Betrag" zu verlieren.
Zumal es nicht darum gehen sollte, das Budget bis zum Anschlag auszureizen. "Ich sorge mich, dass eine Diskussion über das 'richtige' Budget, die Debatte darüber, was wir jetzt eigentlich tun müssen, verdrängt." Denn Kohlenstoff-Budget hin oder her: "Wir wissen, was wir tun müssen - und das so schnell wie möglich."
Hintergrund-Informationen zum Text:
Vergleich von CO2-Budget und Reduktionszielen:
Die Reduktionsziele der Bundesregierung beziehen sich immer auf die Summe an Treibhausgasen, die Deutschland im Jahr 1990 emittiert hat. Das waren laut Zahlen des Bundesumweltamts im Jahr 1990 12,5 Gigatonnen Kohlenstoff inklusive weiterer Treibhausgase. Blickt man nur auf die reinen Kohlenstoff-Emissionen, waren das 1990 10,5 Gigatonnen.
Das Kohlenstoff-Budget bezieht sich lediglich auf die Emissionen von CO₂. Die Reduktionsziele der Bundesregierung wiederum nehmen alle Treibhausgase in den Blick.
In der Graphik und bei den Berechnungen wurde lediglich der CO2-Betrag, der in den Daten des Bundesumweltamts auch gesondert angegeben wird, berücksichtigt und für die kommenden Jahre interpoliert. Dabei wurde die Annahme getroffen, dass alle Treibhausgase in gleichem Maß sinken.
Das globale Kohlenstoff-Budget:
Der Betrag von 400 Gigatonnen als globales Kohlenstoff-Budget ist relativ eindeutig. Allerdings tut sich auch hier eine Spanne auf, je nachdem, welche Annahmen zugrunde liegen und mit welcher Wahrscheinlichkeit die angenommene Entwicklung eintrifft.
Das Berliner Mercator-Institut hat beispielsweise für zwei Szenarien eine Uhr eingerichtet, die anzeigt, wie viel Kohlenstoff noch übrig ist. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) wurde 2012 von der Stiftung Mercator und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) als gemeinnütziges Unternehmen gegründet.
Bei einem gleichbleibenden Ausstoß wäre unser globales Kohlenstoffkonto bei einer Erwärmung auf 1,5 Grad in sieben Jahren und elf Monaten leer, bei einem Anstieg um 2 Grad wäre das in 25 Jahren und acht Monaten der Fall.
"Die Budgets sind so kalkuliert, dass damit das jeweilige Temperaturziel mit hoher Wahrscheinlichkeit eingehalten wird, nämlich in zwei Dritteln der untersuchten Klima-Szenarien", schreibt das Berliner Mercator Research Institute dazu in einer Mitteilung.