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Raus aus der Werkstatt

Gelungene Integration: Wie zwei Menschen mit Behinderung arbeiten

Wirtschaft / Lesedauer: 8 min

Lukas arbeitet gerne im Hotel, auch Loredana hat ihren Platz gefunden. So geht es ihnen auf dem „ersten Arbeitsmarkt‟. Ein großer Wunsch aber bleibt.
Veröffentlicht:16.05.2023, 05:00

Von:
  • Svenja Helfers
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Für Menschen mit Behinderung ist es immer noch schwierig, einen Beruf auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Allein in Ravensburg erfüllen 73 Prozent der Arbeitgeber nicht ihre Pflicht, genügend Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Das geht aus Zahlen der Agentur für Arbeit hervor, die zwischen 2016 und 2020 erhoben wurden.

Was ist der allgemeine Arbeitsmarkt?

Zum allgemeinen Arbeitsmarkt zählen alle Erwerbstätigkeiten, die nicht in einem geschütztem Raum, etwa Werkstätten für Menschen mit Behinderung, stattfinden.

Diese sind dem Besonderen beziehungsweise zweiten Arbeitsmarkt zuzuteilen, welcher Arbeitsverhältnisse umfasst, die staatlich gefördert werden. Werkstätten für Menschen mit Behinderung stehen jedoch in der Kritik: Die Bezahlung sei unzureichend.

Einer, der es auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft hat, ist Lukas Geser. Der 31–Jährige hat Trisomie 21, auch Down–Syndrom genannt. Er arbeitet im Ravensburger Hotel Sennerbad und ist Teil eines 16–köpfigen Teams.

Egal wo es brennt, ob am Frühstück oder beim Betten machen: Lukas Geser unterstützt seine Kollegen im Hotel Sennerbad, wo er gebraucht wird und kann. (Foto: Svenja Helfers)

An fünf Tagen die Woche reinigt Lukas Geser die Hotelzimmer und unterstützt immer dort, wo es gerade brennt — am Frühstücksbuffet, in der Küche oder auch im Garten.

Hindernisse auf dem Bildungsweg

Auf seinem Weg ins Sennerbad musste er jedoch einige Hindernisse überwinden. Der 31–Jährige ging zehn Jahre zur Schule. Er startete in einer ausgelagerten Klasse, für die eine Grundschule mit einer Schule für Menschen mit geistiger Behinderung zusammenarbeitete. Während mehreren Praktika entdeckte Lukas Geser den Hotelfach–Bereich für sich, erinnert sich Mutter Britta Geser zurück.

Nach einigen Telefonaten und Probearbeiten gelangte er zu Familie Buck in das Hotel Sennerbad. Schließlich machte er eine Ausbildung an der Freiburger Akademie Himmelreich, welche Menschen mit Behinderung für die Gastronomie ausbildet. Das Hotel war währenddessen sein Ausbildungsbetrieb, in dem er bis heute angestellt ist.

Zuschüsse vom Land

Während der Ausbildung unterstützte die Akademie das Hotel und stellte Lukas Geser jemanden zur Seite, der ihn einarbeitete. Mittlerweile reinigen sie die Zimmer im Hotel stets zu dritt auf einer Etage, sodass der 31–Jährige immer einen Ansprechpartner hat.

Herausforderungen gebe es laut Hotelbetriebswirt Dominik Buck kaum. Im Gegenteil, der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden–Württemberg (KJVS) bezuschusst das Gehalt des 31–Jährigen mit 50 Prozent.

Dafür nimmt der Verband einmal jährlich Kontakt zum Hotel auf und erfragt, ob sich die Zusammenarbeit mit Lukas Geser positiv oder negativ verändert hat, erklärt Dominik Buck.

Es läuft einfach schon dadurch, weil sie wollen.

Lukas' Mutter

Den Zuschuss zahlt das Land, weil Mitarbeitende mit Behinderung nicht in der gleichen Form einsetzbar seien, wie Mitarbeitende ohne Behinderung, begründet der Hotelbetriebswirt.

Lukas Geser möchte im Hotel bleiben

Von seinem Gehalt zahlt Lukas Geser die üblichen Beiträge für die Rentenversicherung und andere Abgaben. Finanzielle Unterstützung wie die Grundsicherung fallen für ihn weg, weil er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitet. Aber das ist für Lukas Geser zweitrangig — auf die Frage, was sein Traumberuf sei, antwortet er: „Dass ich hier bleiben kann.“


Seine Mutter Britta Geser sieht das ähnlich: „Er hat Glück, dass er hier in einem Familienunternehmen ist — es läuft einfach schon dadurch, weil sie wollen, dass es läuft.“ Vor allem werde Lukas Geser im Sennerbad als vollwertige Kraft gesehen und nicht als jemand, der lediglich den Müll rausbringe, betont sie.

Allgemeiner Markt ist nicht für jeden geeignet

Doch nicht für jeden birgt der allgemeine Arbeitsmarkt das passende Berufsumfeld. Loredana Mignano und Annalena Vollmar haben sich bewusst für die Integrations–Werkstätten Oberschwaben (IWO) in Weingarten entschieden.

Ich hatte am Anfang auch Schwierigkeiten mit den Kollegen.

Loredana Mignano über ein vorheriges Arbeitsverhältnis

Beide machten eine Ausbildung im Bereich Produktdesign und arbeiteten bereits auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Loredana Mignano war im Büro eines Reha–Zentrums tätig, wo sie auf einige Herausforderungen traf.

Als Problem entpuppte sich vor allem eines: „Es musste jedes Mal jemand vom Pflege–Team der IWO kommen und mich auf Toilette begleiten — aber niemand kann auf Kommando auf Toilette“, erinnert sie sich zurück. Aufgrund einer Tetraspastik, welche Arme und Beine lähmt, sitzt sie im Elektrorollstuhl.

Probleme mit Kollegen

„Ich hatte am Anfang auch Schwierigkeiten mit den Kollegen. Sie haben einen im Büro nicht akzeptiert, weil man behindert ist“, sagt Loredana Mignano. Letzten Endes wollte das Reha–Zentrum die 35–Jährige auch nicht fest anstellen, mit der Begründung: „Wir haben ein neues Programm, dazu brauchen wir einen Mitarbeiter weniger“, sagt sie.

Loredana Mignano arbeitet heute die Integrations–Werkstätten Oberschwaben (IWO) in Weingarten. (Foto: Svenja Helfers)

Anders erlebte es Annalena Vollmar. Sie empfand den Betrieb, in dem sie arbeitete, als sehr offen ihr gegenüber. Dass sie nun doch in der IWO angestellt ist, liegt daran, dass sie dort für ihre Zukunft abgesichert ist. Annalena Vollmar hat eine fortschreitende Erkrankung des Nervensystems, genannt Friedreich–Ataxie, wegen der auch sie auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

In der IWO ist immer jemand da

„Man hat immer so einen gewissen Druck im Hinterkopf: Wie lange kann ich das überhaupt noch alleine?“, beschreibt sie ihr Gefühl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

In der IWO ist das keine Frage — wenn es nicht mehr allein geht, ist jemand da.

Annalena Vollmar

Dort sind sie und Loredana Mignano nun zwei von insgesamt 305 Menschen mit Behinderung, von denen etwa 211 im Arbeitsbereich tätig sind. 13 werden im Berufsbildungsbereich ausgebildet und 81 sind dem Förder– und Betreuungsbereich zugeordnet. Loredana Mignano betreut im Arbeitsbereich den EDV–Handel. Sie gibt unter anderem die Waren ins System ein und hält Kontakt zu den Kunden.

IWO ist auf die Bedürfnisse der Menschen ausgelegt

Annalena Vollmar wird derzeit für den EDV–Bereich qualifiziert — das dauert insgesamt 27 Monate und ist an die Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angelehnt, wie Moritz Prokein, Bereichsleiter Bildung und Arbeitsförderung, erklärt.

Teil des Teams: Loredana Mignano und ihre Kollegen der IWO. (Foto: Svenja Helfers)

Der wesentliche Vorteil der IWO ist, dass sie auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgelegt ist. Beispielsweise sind die Toiletten barrierefrei und es ist stets jemand vom Pflege–Team vor Ort, der unterstützen kann.

Gehalt sei eher ein Taschengeld

Auch das Arbeitspensum ist individuell angepasst: „Hier hast du den Druck als Mensch mit Behinderung nicht so extrem wie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Gruppenleiter weiß, was du an Leistung erbringen kannst, von deinen Fähigkeiten her“, sagt Loredana Mignano.

Darüber hinaus gibt es arbeits– und bildungsbegleitende Angebote und medizinische Anwendungen wie Physiotherapie, welche während der Arbeitszeit wahrgenommen werden können.

„Oft kommt die Debatte um Mindestlohn in Werkstätten — aber da würde so viel wegfallen, was der Staat gerade noch übernimmt.“

Moritz Prokein, Bereichsleiter bei der IWO

Das Gehalt spielt vor dem Hintergrund dieser Vorteile eine zweitrangige Rolle für Loredana Mignano und Annalena Vollmar. Letztere erhält monatlich 127 Euro Gehalt und arbeitet dafür fünfeinhalb Stunden an fünf Tagen die Woche.

Insgesamt variieren die Gehälter in der IWO zwischen 125 und 300 Euro. Das Gehalt sei als Taschengeld zu betrachten, da sie davon keine Miete oder ähnliches bezahlen müssten, erklärt Annalena Vollmar.

Werkstätten sind ein „zentraler Mittelpunkt“

Zusätzlich dazu beziehen sie und Loredana Mignano wie die anderen in der IWO ergänzende Sozialleistungen, in ihrem Fall das Bürgergeld. „Oft kommt die Debatte um Mindestlohn in Werkstätten — aber da würde so viel wegfallen, was der Staat gerade noch übernimmt“, merkt Moritz Prokein an.

Blick in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Sie sind meistens ein zentraler Mittelpunkt für die Menschen, die dort arbeiten. (Foto: Svenja Helfers)

Aktuell sei es für Werkstätten nicht möglich, den Beschäftigten ein höheres Einkommen zu zahlen, wenn sie staatlich nicht mehr unterstützt und Gesetze geändert werden.

Außerdem dürfe ihr Stellenwert nicht unterschätzt werden, macht Loredana Mignano deutlich:

Die Werkstätten sind ein zentraler Mittelpunkt für viele Menschen mit Behinderung.

Loredana Mignano

Der Wunsch: Dass Firmen sich mehr öffnen

Für die Zukunft wünscht sie sich dennoch, dass Arbeitgeber auf dem allgemeinen Markt sich „mental mehr öffnen, neue Herausforderungen anzugehen“ und nicht zurückscheuen, weil sie Angst haben, „von Behörden im Stich gelassen“ zu werden.

Ähnlich sieht es auch Mutter Britta Geser:

Es wäre wünschenswert, dass sich mehr Geschäftsleute und Firmen öffnen und die Leute erst anschauen, bevor sie sagen ‚Das geht nicht‛ — das wäre für uns, für unsere Gesellschaft ein Wunsch.

Britta Geser