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GDL–Tarifforderungen: Die ultimative Konfrontation

Berlin / Lesedauer: 5 min

Die GDL will der Deutschen Bahn Lokführer abwerben und sie dann verleihen. Zudem fordert die Gewerkschaft 555 Euro monatlich mehr und die 35–Stunden–Woche für Schichtarbeiter.
Veröffentlicht:05.06.2023, 18:00

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Bei der Bahn zeichnet sich der nächste harte Tarifkonflikt ab. Denn nun hat auch die Lokführergewerkschaft GDL ihre Forderungen für die im Herbst anstehende Tarifrunde beschlossen. Und sie will weit mehr als ihre Konkurrenz von der Eisenbahn– und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die gerade in der entscheidende Phase ihrer Verhandlungen mit der Deutsche Bahn (DB) steckt. Die GDL verlangt zum Beispiel 555 Euro monatlich mehr für ihre Mitglieder. Die Zulagen für Schichtarbeit sollen um 25 Prozent steigen.

Außerdem will sie eine Senkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden durchsetzen. Desweiteren umfasst der Katalog eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro.„Es bedarf schnellstmöglich einer deutlichen Verbesserung der materiellen und immateriellen Arbeits– und Lebensbedingungen der Eisenbahner“, verteidigt GDL–Chef Claus Weselsky die Forderungen. Sonst könne der Bedarf an Fachkräften kaum gedeckt werden. Auf 100 offene Lokführerstellen kommen laut GDL derzeit nur 54 qualifizierte Bewerber. Und in den folgenden Jahren würde die Hälfte des Personals altersbedingt ausscheiden. Da die Tarifverhandlungen erst im Herbst anstehen, ist ein Arbeitskampf deshalb erst einmal nicht zu befürchten.

Gewerkschafter gründen Genossenschaft

Brisant ist eine zweite Nachricht, die Weselsky im Gepäck hat. „Wir sagen diesem DB–Konzern den Kampf an“, kündigte er an. Dafür haben Gewerkschafter die Genossenschaft „Fair Train“ gegründet. Sie will möglichst viele der rund 22.000 Lokführer bei der DB abwerben. Sie sollen dann als Zeitarbeiter an verschiedene Bahnunternehmen verliehen werden. Der Gewinn aus dem Dienst soll den Beschäftigten zugute kommen. Das könnte sich für die Deutsche Bahn angesichts des gravierenden Mangels an Zugführern schnell zu einem ernsten Problem entwickeln. Die Genossenschaft will später auch selbst junge Leute ausbilden. Allerdings ließ die GDL noch wichtige Fragen offen. Dazu gehört etwa die Bezahlung. Sie werde auf jeden Fall oberhalb des Branchentarifs liegen, versichert der GDL–Chef. Auf andere Berufsgruppen werde das Modell erst einmal nicht übertragen.

Natürlich sind andere Gewerkschaften für den Chef der Lokführergewerkschaft GDL kein Maßstab. „Wir machen Tarifverträge für ein spezielles Klientel“, sagt er. Dazu gehören vor allem Lokführer und zum Teil auch das Bordpersonal. Dagegen strebt die EVG Abschlüsse für eine große Zahl von Bahnbeschäftigten an. Diesmal will sie zum Beispiel besonders hohe Lohnsteigerungen für die untersten Lohngruppen herausholen. Das steckt hinter der Forderung von 650 Euro Mindestbetrag, um die die EVG mit der Deutschen Bahn ringt. Warum die Verhandlungen so zäh laufen, ist für Weselsky keine Frage. „Sie tun sich etwas schwer, vor der GDL abzuschließen“, glaubt er und wirft Arbeitgebern und EVG Zeitschinderei vor.

Unterschiedliche Interessen

Der Streit der beiden Gewerkschaften hat eine lange Geschichte. Bis 2002 bildeten die damaligen drei Bahngewerkschaften eine Tarifgemeinschaft. Doch zu unterschiedliche Interessen setzten der Gemeinsamkeit ein Ende. Fortan kooperierten nur die Beamtengewerkschaft und die damalige Transnet, beide schlossen sich zur EVG zusammen. Die GDL verhandelt seither alleine und setzte 2006 nach einem langen Streik den ersten eigenständigen Tarifvertrag für Lokführer durch.

Der Ton zwischen den Gewerkschaftern ist mitunter ziemlich rau. „Einkommens–Vernichtungsgewerkschaft“ nannte Weselsky zeitweilig die EVG. Auch warf er der Konkurrenz vor, deren Führung würde sich zusammen mit dem Konzernvorstand „die Taschen voll machen“. Der Zwist reichte zuletzt bis in die Betriebe hinein. Zwischen den Mitgliedern soll es vereinzelt auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sein.

Der Konflikt spitzt sich seit 2020 zu. Grund ist das 2015 eingeführte Tarifeinheitsgesetz (TEG). Es sieht vor, dass in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern zur Geltung kommt. Bis 2020 umging die Bahn diese Vorgabe mit einem Grundlagenvertrag mit den beiden Kontrahenten. Den wollte die GDL nicht mehr verlängern. Statt dessen kündigte sie die Ausweitung ihrer Aktivitäten auf alle direkt mit dem Bahnverkehr befassten Berufsgruppen an.

Kampf um Mitglieder

Im Vergleich zur EVG mit ihren 180.000 Mitglieder ist die GDL mit geschätzt 38.000 Mitgliedern klein. Entsprechend gering ist auch die Verbreitung ihrer Tarife. Von den 71 Bahnbetrieben, in denen sich beide Gewerkschaften gegenüberstehen, „regiert“ in 55 die EVG, nur 16 wurden der GDL zugesprochen. Mit ihrem offensiv und teils hart geführten Tarifverhandlungen will Weselsky neue Anhänger gewinnen und die Vorherrschaft der EVG nach und nach brechen.

Auch politisch verfolgen die Gewerkschaften unterschiedliche Ziele. Die GDL will den Bahnkonzern zerschlagen, die Infrastruktur vom Betrieb trennen und Auslandsaktivitäten beenden. Die EVG wiederum pocht auf einen integrierten Konzern, der Netz und Betrieb unter einem Dach vereint. Darauf laufen auch die Pläne der Ampelkoalition hinaus. Sie sehen vor, das Schienennetz und die Bahnhöfe in einer neuen Gesellschaft zusammenzuführen. Gewinne daraus sollen ausschließlich wieder in die Infrastruktur gesteckt werden. Allerdings wird die neue Einheit wiederum unter dem Dach des Konzerns geführt.

Die derzeitigen Verhandlungen zwischen der EVG und der Bahn verlaufen wieder in ruhigen Bahnen, nachdem sie in der vergangenen Woche wieder einmal ins Stocken geraten sind. Ein weiterer Streik erscheint Insidern zufolge eher unwahrscheinlich, eine Einigung in den kommenden Wochen als möglich.