StartseiteWirtschaftKopflos in den Kollaps: Regierung schreibt Energiesparen gesetzlich vor

Wohlstandverlust

Kopflos in den Kollaps: Regierung schreibt Energiesparen gesetzlich vor

Wirtschaft / Lesedauer: 6 min

Wirtschaft und Wissenschaft warnen vor den Folgen des „Energieeffizienzgesetzes". Welche Auswirkungen dieses hätte.
Veröffentlicht:26.05.2023, 05:00

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Im Windschatten des umstrittenen Gesetzes zum Heizungsaustausch verabschiedete das Bundeskabinett im April einen weiteren Maßnahmenkatalog: das sogenannte Energieeffizienzgesetz, das Ziele für die Senkung des Energieverbrauchs in Deutschland festlegt.

Bis 2030 soll die Bundesrepublik 550 Terawattstunden weniger verbrauchen als 2008, Unternehmen mit einem Jahresenergieverbrauch von mehr als 15 Gigawattstunden werden verpflichtet, Systeme zur Verbrauchsreduzierung einzuführen, in konkrete Pläne zu gießen und zu veröffentlichen.

„Wachstumskiller“ für die Bundesrepublik

Der Gesetzgeber folgt damit den europäischen Vorgaben, die sich aus der Novelle der EU–Energieeffizienzrichtlinie für 2030 für Deutschland ergeben. Anders als beim schrittweisen Verbot von Öl– und Gasheizungen fiel die öffentliche Diskussion um die Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs aber eher spärlich aus — obwohl sie für die deutsche Wirtschaft noch viel einschneidendere Folgen haben könnten.

Denn laut Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo–Instituts für Wirtschaftsforschung, ist das Gesetz ein „Wachstumskiller“ für die Bundesrepublik. Der Grund: „Anders als der Name sagt, regelt dieses Gesetz nicht, primär die Energieeffizienz. Es deckelt den gesamten Energieverbrauch des Landes“, so Fuest.

Das Gesetz wäre ein Wachstumskiller.

Clemens Fuest

Bis 2030 solle der Energieverbrauch insgesamt deutlich sinken, nämlich um 26,5 Prozent gegenüber 2008 und rund 22 Prozent gegenüber heute. „Falls die Politik den Energieverbrauch in dieser Weise eingeschränkt, wird das den Wohlstand in Deutschland erheblich schädigen“, sagte Ifo–Chef Fuest.

Die Folge wäre, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2030 nicht wächst, sondern gegenüber dem heutigen Niveau um 14 Prozent schrumpfen würde. „Im Vergleich zur bislang erwarteten Entwicklung würde die Wirtschaftsleistung sogar um 20 Prozent fallen“, so Fuest weiter. „Das Gesetz wäre ein Wachstumskiller.“

Folgen eines Wirtschaftseinbruchs wären verheerend

Die Auswirkungen eines solch dramatischen Wirtschaftseinbruches wären verheerend. Sie würden nicht nur zu einem Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland führen und die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb zurückwerfen, wodurch der Wohlstand des Landes insgesamt bedroht wäre.

Auch könnten nationale Strukturen wie das Rentensystem oder das Gesundheitswesen, die auf kontinuierlich steigende Löhne und damit steigende Beiträge angewiesen sind, ins Wanken geraten. Vor allem für energieintensive Firmen stellt sich die Frage, ob sie genug Energie einsparen können, um den Anforderungen des Gesetzes zu genügen. Ist das nicht der Fall, ist der Schritt zu einer Drosselung oder Verlagerung der Produktion ins Ausland nicht mehr weit.

Die Einsparziele könnten „relativ einfach erreicht werden, indem man einfach auf den Energieverbrauch verzichtet, weil man zum Beispiel die Produktion stilllegt“, erläuterte die Deutsche Industrie– und Handelskammer (DIHK) in zugespitzter Form. Damit werde aber keine Energieeffizienz erreicht.

„Um Effizienz zu erzielen, muss man nämlich nicht nur den Energieeinsatz betrachten, sondern auch die Leistung, also den Output, der erzielt wird.“ Da es bei dem Gesetz lediglich „um Umsetzungspflichten für Unternehmen und die Einhaltung absoluter Einsparziele für den deutschen Energieverbrauch“ gehe, sei ein „Einbruch des Bruttoinlandsprodukts nahezu vorprogrammiert“, heißt es aus der DIHK.

Alle Firmen vom Einsparzwang betroffen

Das Paradoxe dabei: Das Gesetz sieht absolute Ziele zur Verbrauchsreduzierung vor, bei denen es keine Rolle spielt, ob es sich dabei um Energie aus erneuerbaren Quellen oder aus fossilen Brennstoffen handelt.

Selbst Firmen, die vollständig auf regenerative Energien umsteigen wollen, sind von dem Gesetz betroffen. Das führt dazu, dass Unternehmen, die durch Solar– oder Windenergie den eigenen Stromverbrauch decken und überschüssigen Strom günstig an umliegende Firmen verkaufen wollen, ebenso vom Einsparzwang betroffen sind wie Industriekonglomerate, die primär auf Öl oder Gas setzen.

Das Energieeffizienzgesetz verlangt aber eine Kürzung des Verbrauchs um 22 Prozent, also etwa das Neunfache.

Clemens Fuest

Nun lautet die große Frage: Kann die Energieeffizienz in Deutschland ausreichend stark gesteigert werden, um mit weniger Energie dasselbe Wachstum zu erreichen? Nach Berechnungen des Ifo–Instituts ist das extrem unwahrscheinlich. Zwischen 2008 und 2021 sei das BIP in Deutschland um 13 Prozent gestiegen. Zwar bedeute mehr Wirtschaftswachstum einen höheren Energieverbrauch, doch stehe dem eine steigende Energieeffizienz entgegen.

Tatsächlich sei der Energieverbrauch im gleichen Zeitraum um fünf Prozent gesunken. Daraus lässt sich eine faktische Energieeffizienz–Steigerung von 1,4 Prozent pro Jahr errechnen. „Wenn man annimmt, dass die Energieeffizienz in den kommenden Jahren mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher zunimmt, würde der Energieverbrauch bis 2030 um 2,5 Prozent fallen“, erläutert Ifo–Präsident Clemens Fuest.

„Das Energieeffizienzgesetz verlangt aber eine Kürzung des Verbrauchs um 22 Prozent, also etwa das Neunfache.“ Eine solche Steigerung sei „gewaltig“, zudem würden Einsparungen mit wachsender Energieeffizienz immer schwerer. „Die niedrig hängenden Früchte auf diesem Gebiet sind bereits geerntet“, so Fuest abschließend.

DIW hält Ziele für „erreichbar“

Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht man die Lage anders. „Ich halte die gesetzten Ziele für erreichbar“, sagte DIW–Präsident Marcel Fratzscher der „Schwäbischen Zeitung“. „Im Verkehrssektor und im Gebäudesektor liegen riesige Potenziale für Energieeinsparungen, die schon jetzt mit bestehenden Technologien gehoben werden können.“

Allerdings erforderten diese „deutliche öffentliche und private Investitionen“, zusätzliche seien „hohe Energiekosten, eine klare Regulierung und punktuell finanzielle Anreize und Unterstützung für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger“ notwendig, um diese Einsparungen zu realisieren. Die Investitionen wiederum „könnten das Wachstum erhöhen, viele neue Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig zum Klimaschutz beitragen“. Allerdings müsse die Politik die Reformen wirtschaftlich klug und sozial ausgewogen gestalten. „Ansonsten werden sie scheitern“, so Fratzscher.

Die DIHK wiederum hat eigene Analysen angestellt und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie das Ifo–Institut. In vier möglichen Szenarien hat die Kammer durchgerechnet hat, wie sich das Gesetz auf das deutsche BIP auswirkt. Die Szenarien unterscheiden sich in der Steigerung der Energieeffizienz, die zwischen dem Status Quo von jährlich 1,4 Prozent und dem Bestfall von jährlich 3,2 Prozent variabel gehalten wird.

DIHK befürchtet Wohlstandsverluste

Die DIHK kommt zu dem Schluss, dass das absolute Energiesparziel bis 2030 immer zu einem Wohlstandsverlust führt: In den ersten drei Szenarien würde sich das Bruttoinlandsprodukt faktisch verringern und im bestmöglichen Szenario würde das BIP unterhalb des Aufwärtstrends der Jahre 1990 bis 2021 wachsen.

Aufgrund der steigenden Zahl energieverbrauchender Prozesse und Technologien, die auch auf „gesetzlich intendierte Vorhaben wie etwa mechanische Zwangsbelüftungen von Gebäuden“ zurückgingen, sei es aber sehr unwahrscheinlich, dass eine drastische Steigerung der Energieeffizienz erreicht werden könne. „Insgesamt erscheinen aus derzeitiger Sicht die absoluten Endenergieeinsparziele des geplanten Energieeffizienzgesetzes als eine ernste Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.“

All dies wirkt, als hätte die Energiepolitik die Orientierung verloren.

Clemens Fuest

Ifo–Chef Clemens Fuest geht noch einen Schritt weiter und wirft der gesamten deutschen Energiepolitik Kopflosigkeit vor: Der Energieverbrauch per se schädige die Umwelt nicht, sondern die Nutzung fossiler Energie.

Daher sei es unverständlich, warum auch klimafreundliche Energie eingespart werden solle, anstatt wirtschaftliche Chancen in diesem Bereich entstehen zu lassen. Gleichzeitig wolle man einen subventionierten Industriestrompreis einführen, der energieintensive Industrien im Land halten solle — damit aber auch den heimischen Energieverbrauch erhöhen würde. „All dies wirkt, als hätte die Energiepolitik die Orientierung verloren“, so Fuest.