Arznei

Dividenden statt Arznei

Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

Der US-Pharmariese Pfizer zieht sich aus der Alzheimerforschung zurück
Veröffentlicht:29.01.2018, 18:00

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Es ist eine Nachricht, die für Betroffene nur schwer zu verdauen ist: Der US-Pharmariese Pfizer stellt sein Programm zur Entwicklung neuer Mittel gegen Alzheimer und Parkinson ein. Wie das Unternehmen mit Sitz in New York Anfang Januar mitteilte, wolle man sich bei der Forschung neu aufstellen und Geld dort ausgeben, wo die Aussichten auf Erfolg und die Erfahrung am größten sind. Das Geld soll etwa in die Entwicklung von Krebsmedikamenten fließen. Rund 300 Wissenschaftler, die an Medikamenten gegen Alzheimer und Parkinson forschen, würden entlassen.

Die Entscheidung ist ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen die heimtückische Krankheit. Denn Pfizer ist nicht irgendwer. Pfizer ist das größte Pharmaunternehmen der Welt, ein Konzern, der jährlich rund sieben Milliarden US-Dollar in die Forschung nach neuen Arzneimitteln investiert. Alzheimerexperten kritisieren denn auch umgehend Pfizers Rückzug aus der Forschung nach neuen Wirkstoffen zur Behandlung der Krankheit. „Das ist eine höchst enttäuschende Mitteilung, denn damit verlässt eine der größten forschenden Pharmafirmen einen besonders wichtigen Bereich der Hirnforschung“, sagte die Vorsitzende der Hirnliga, Isabella Heuser .

Enttäuschende Mitteilungen musste die Alzheimerforschung in den vergangenen Jahren etliche wegstecken. Die Tests mit neuen Medikamenten waren fast ausschließlich Misserfolge. Eine 2014 veröffentlichte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten Wirkstoffe ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 Prozent. Nach Informationen des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) hat sich diese Quote in den vergangenen Jahren nicht verbessert. Zum Vergleich: Auf anderen medizinischen Gebieten kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass zumindest eins von neun Medikamenten auch zugelassen wird.

Viele Wissenschaftler fragen sich inzwischen: War die Alzheimerforschung ein Vierteljahrhundert auf einem Irrweg? Seit den Neunzigerjahren wird in den Laboren vor allem der Idee hinterhergejagt, dass die Amyloid-Ablagerungen in den Gehirnen der Kranken am Anfang einer fatalen Kaskade stehen, die letztlich zum Absterben der Nervenzellen führt – und dass man deshalb das Amyloid zum Ziel der Therapie machen muss. Und so wird bislang vor allem nach Antikörpern geforscht, die das Eiweißstückchen Amyloid vernichten. Doch eine Antwort auf die Krankheit wurde damit bislang nicht gefunden. Zuletzt scheiterte der Hoffnungsträger des US-Pharmakonzerns Eli Lilly, der Amyloid-Antikörper Solanezumab, in der letzten Phase der klinischen Forschung.

Neuen Ansätzen Chance geben

Alzheimerforscherin Heuser fordert deshalb, die Forschungsstrategien zu überdenken. Man müsse, so Heuser, innovativen Ansätzen, die abseits des gängigen Verursachungsmodells nach Lösungen suchen, eine Chance geben. Boehringer Ingelheim beispielsweise verfolgt einen symptombasierten Ansatz. „Unser Forschungsschwerpunkt ist, herauszufinden, welche Funktionen im Gehirn verantwortlich sind für die wesentlichen Symptome der Alzheimerkrankheit“, erklärt Jan Poth, Therapiegebietsleiter Zentralnervensystem (ZNS) und Immunologie bei Boehringer. Diese Medikamente sollen es Betroffenen möglich machen, Alltagsherausforderungen besser zu meistern oder die soziale Interaktion zu verbessern. Noch ist das Familienunternehmen, das jährlich über drei Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgibt und damit unter anderem den Standort Biberach unterhält, in einem relativ frühen Stadium der Entwicklung im ZNS-Bereich. Doch Poth ist zuversichtlich, wirksame Medikamente auf den Markt bringen zu können. Ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz müsse man jedoch mitbringen sagt der Therapiegebietsleiter und fügt hinzu: „Viele Firmen und Einrichtungen scheuen die finanzielle und wissenschaftliche Ausdauer, die für einen Erfolg in diesem komplexen Gebiet von Nöten ist.“

Deshalb mahnt Heuser von der Hirnliga neue Finanzierungswege an. Nach dem Ausscheiden von Pfizer sei „immer fraglicher“, ob Forschung alleine mithilfe der pharmazeutischen Industrie möglich sei, erklärte sie im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Jetzt wird deutlich mehr öffentlich finanzierte Forschung gebraucht.“ Nur so könnten weiterhin neue, bislang nicht ausreichend untersuchte therapeutische Möglichkeiten erforscht werden.

VfA-Sprecher Rolf Hömke will diese Diagnose so nicht stehenlassen. Die Alzheimerkrankheit gehöre nach wie vor zu den Top-Gebieten der Pharmaforschung. Fast ein Drittel der forschenden Pharmaunternehmen arbeite an Medikamenten dagegen. Hömke gibt jedoch zu: „Bei Alzheimer ist alles anders.“ Festzustellen, was ursächlich für den Ausbruch der Krankheit ist und was Nebeneffekte sind, ließe sich nur schwer auseinanderhalten. Immerhin, so Hömke, sei eine wichtige Erkenntnis aus den Studien der vergangenen Jahre, dass die Behandlung wohl sehr frühzeitig begonnen werden müsse, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll.

Und hier schließt die Kritik der Alzheimerexperten an Pfizers Rückzugs-Entscheidung an: Die auf den ersten Blick ernüchternde Bilanz der getesteten Alzheimermedikamente in den vergangenen Jahren hat nämlich auch eine positive Seite. Jeder Rückschlag trägt zum Erkenntnisgewinn bei.

Der muss nun ohne Pfizer gewonnen werden. Dabei kann es an der finanziellen Ausdauer des Unternehmens nicht gelegen haben. Nur wenige Tage vor der Ankündigung des Alzheimerrückzugs berichtete der für sein Potenzmittel Viagra bekannte Konzern von sprudelnden Gewinnen. Davon sollen vor allem die Aktionäre profitieren – durch eine Erhöhung der Dividende und dem Versprechen, vom Gewinn weitere zehn Milliarden US-Dollar in Aktienrückkäufe zu stecken. Überdies ist Pifzer einer der Hauptprofiteure der US-Steuerreform, durch die der Pharmariese seine geschätzt 80 Milliarden im Ausland gebunkerten US-Dollar zu einem Spottpreis in die USA zurückführen kann. Mit diesem Finanzpolster hätten sich auch etliche klinische Studien finanzieren lassen.