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Die Neuerfindung eines Dinosauriers

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Frank Mastiaux will die EnBW grüner machen – In Langenargen sprach er darüber, wie
Veröffentlicht:28.10.2016, 20:15

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Wenn sich etablierte Geschäftsmodelle in Luft auflösen, spricht man gern von Disruption. Disruption kommt aus dem Englischen und heißt so viel wie zerstören. Eine solche Zerstörung machen gerade die deutschen Energieversorger durch. In der Branche, die über Jahrzehnte als Inbegriff von Stabilität und Konstanz galt, ist nichts mehr, wie es einmal war. Festmachen lässt sich diese Zerstörung an einem einzigen Wort: Energiewende.

Von außen betrachtet ist sie ein faszinierendes Beispiel dafür, wie eine ganze Industrie durcheinander gewirbelt wird. Mittendrin in diesem perfekten Sturm: Die EnBW Energie Baden Württemberg AG, der drittgrößte der vier deutschen Versorger, und ihr Steuermann Frank Mastiaux .

Mastiaux steht seit vier Jahren an der Spitze des Karlsruher Konzerns. Seitdem versucht er, das einst stark atomlastige Unternehmen in einen Ökostromkonzern zu wandeln. Einen Einblick in den überlebensnotwendigen Transformationsprozess, bei dem kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, gab der EnBW-Chef am Donnerstag in Langenargen.

Die Einladung von Mastiaux ins mondäne Schloss Montfort kommt nicht von ungefähr: Der Bodenseekreis ist über den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke Anteilseigner von EnBW (46,55 Prozent), und Landrat Lothar Wölfle (CDU) als OEW-Chef sozusagen Dienstherr des EnBW-Vorstandschefs.

Druck von allen Seiten

Mastiaux ist keiner, der mit den Umständen hadert. Für den gebürtigen Essener ist die Energiewende Faktum, mit dem sich die Branche arrangieren muss. Dass für die Konzerne eine neue Zeitrechnung anbricht, dass alte Geschäftsmodelle nicht mehr taugen, hat er früher akzeptiert als andere. „Es gab nicht wenige in unserer Branche, die noch 2010 erneuerbare Energien als Spuk abtaten, der spätestens in vier Jahren vorüber sei“, blickt der EnBW-Chef zurück. Ein Trugschluss, wie sich heute zeigt.

„Wir mussten uns etwas einfallen lassen“, sagt Mastiaux. Der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien, Stromnetze, die für dieses Wachstum nicht ausgelegt sind, das Aus für die Kernkraft im Zuge von Fukushima, kollabierende Strompreise und ein Kraftwerkspark, in dem einzelne Anlagen nur noch 100 Stunden im Jahr laufen: „Der Druck kam von allen Seiten“, sagt Mastiaux.

Mitte 2013, ein Jahr nach seinem Amtsantritt, hat er das Ruder in Karlsruhe herumgerissen, dem Konzern einen neuen Fahrplan verschrieben. Die Annahme von damals, zu der Mastiaux heute noch steht: Bis 2020 werde das ehemalige Geschäft der EnBW, die Stromerzeugung und der Handel, auf ein Fünftel des Volumens von 2012 schrumpfen. Vor vier Jahren stand das Segment mit 1,2 Milliarden Euro noch für die Hälfte des gesamten Betriebsergebnisses. 2020, so die Prognose, werden es noch 300 Millionen sein.

Notwendiger Kulturwandel

Mastiaux’ Plan ist ehrgeizig: Denn bis 2020 will er diesen Einbruch kompensieren – mit dem Ausbau des Vertriebs, dem Ausbau der Netze, vor allem aber mit dem Ausbau erneuerbarer Energien. EnBW setzt auf Windkraft – onshore wie offshore. Baltic II, ein Ostseewindpark, wird in diesem Jahr bereits zehn Prozent des Konzernergebnisses einspielen.

Doch ein solcher Umbau geht nicht ohne Reibungsverluste ab. Vor allem dann nicht, wenn die Belegschaft mit einem über Jahrzehnte stabilen und funktionierenden Geschäftsmodell mitgewachsen ist, Sicherheit und Zuverlässigkeit als Maxime galt und Behäbigkeit eine wohlwollende Beschreibung der Unternehmenskultur ist. Nicht ganz zu unrecht wird immer wieder das Wort Dinosaurier mit Stromversorgern in Verbindung gebracht. „20000 Mitarbeitern dann klar zu machen, wir müssen ganz schnell raus aus den alten Kraftwerken, sonst sind wir ganz schnell pleite, ist nicht so einfach“, beschreibt Mastiaux die Herausforderungen, die sich nicht nur auf den plötzlichen Kulturwandel beschränken.

Die EnBW war nämlich auch ein höchst ineffizientes Gebilde. Hunderte Tochtergesellschaften, diverse Rechtsformen und Führungsstrukturen, die vor allem Bestehendes verwalteten, sind Gift für eine Energiewelt, bei der es auf Innovationskraft und Veränderungskompetenz ankommt. Kosten von 1,4 Milliarden Euro hat der Konzern in den vergangenen Jahren gespart, ein Beleg, dass die früheren Strukturen alles andere als preiswert waren. Auf dem Weg in die neue Energiewelt mit ihrer dezentralen Erzeugung, mit smarten Netzen und neuen Anwendungsfeldern, etwa im Bereich E-Mobilität oder Infrastruktur, sieht Mastiaux seine EnBW gut unterwegs.

Diesen Weg, so sagt er, gehen inzwischen auch die Mitarbeiter leidenschaftlich mit. Dass es ein holpriger sein wird, zeigen die jüngsten Meldungen. Zur Jahresmitte musste der Konzern die Notwendigkeit weiterer Kostenkürzungen eingestehen und den Rückzug aus dem defizitären Großkundengeschäft ankündigen. Eine schwierige Entscheidung, sagt Mastiaux, da es viele über Jahre loyale Kommunen, gerade im Oberschwäbischen, betreffe.

Doch kann er sich der Rückdeckung seiner Ankeraktionäre sicher sein. OEW-Chef Wölfle sprach auch vier Jahre nach der Berufung von Mastiaux als Vorstandschef noch von einem „Glücksfall für die EnBW“ – trotz versiegender Dividenden und der Haushaltslöcher, die sich in den neun OEW-Landkreisen auftun. Die frühzeitige Verlängerung des Vertrags um weitere sechs Jahre passt da ins Bild. Doch in den nächsten Jahren muss Mastiaux liefern.