Finanzsystem

Zehn Jahre nach der Krise: Ehemaliger Top-Banker kritisiert Finanzsystem

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Thomas Mayer vom Vermögensverwalter Flossbach von Storch über die Hinterlassenschaften der Finanzkrise
Veröffentlicht:18.09.2018, 17:48
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Die Krisenhilfen der Notenbanken als Dauereinrichtung, der globale Schuldenberg auf Rekordniveau: Thomas Mayer spart nicht mit Kritik am Finanzsystem der Gegenwart. Im Gespräch mit Andreas Knoch erklärt der ehemalige Top-Banker und heutige Chef der Denkfabrik von Deutschlands größtem unabhängigen Vermögensverwalter, was in der Finanzkrise richtig und was falsch gemacht wurde, und wo die nächsten Krisenherde lauern.

Herr Mayer, wie hat Sie die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers erreicht und was haben Sie darüber gedacht?

Ich erinnere mich noch genau. Ich war damals auf Kundenbesuch in Holland bei Großanlegern. Meine erste Reaktion auf die Nachricht: Es ist an der Zeit, dass auch einmal eine Bank Pleite gehen kann. Davor waren ja etliche Institute gerettet worden. Mein Kunde sah das etwas anders. Diese Geschichte werde uns noch erheblich beschäftigen war seine Einschätzung damals. Damit sollte er Recht behalten.

Die Turbulenzen fingen ja weit vor dem 15. September 2008 an. Wie war die Stimmung in der Deutschen Bank damals?

Ich hatte schon 2007 das Gefühl, ich bin auf der Titanic. Im zweiten Stock unseres Londoner Hauptquartiers saßen damals die Geldmarkthändler. Das fühlte sich an wie im Maschinenraum der Titanic nachdem das Schiff den Eisberg gerammt hatte. Auf den in normalen Zeiten hochliquiden Märkten war durch die Vertrauenskrise der Banken untereinander Eiszeit, da ging so gut wie nichts mehr. Im dritten Stock saßen unsere Rentenhändler – das war wie auf dem Zwischendeck der Titanic. Man nahm die Probleme weiter unten zwar wahr, war selbst aber noch nicht beeinträchtigt. Und im vierten Stock saßen die Aktienhändler, was, um im Bild zu bleiben, dem Oberdeck der Titanic entsprach. Da spielte die Kapelle noch.

War es ein Fehler der handelnden Akteure damals, Lehman Brothers fallen zu lassen?

Beabsichtigt war das ja nicht. Ich würde es als Koordinationsversagen beschreiben. Lehman Brothers sollte eigentlich an die britische Barclays Bank verkauft werden. Doch Alastair Darling, der damalige britische Schatzkanzler, verhinderte den Deal. Er wollte sich keine tickende Zeitbombe ins Haus holen und war der Meinung, die Probleme damit von der Insel fernhalten zu können. Ein Trugschluss, wie sich herausstellte, dem aber auch andere Politiker erlagen. In Europa sah man die Probleme in Amerika durchaus mit einer gewissen Schadenfreude.

Wie beurteilen Sie die anschließenden Hilfsprogramme von Zentralbanken und Staaten?

Man muss sich vor Augen halten, was passiert war: Wir hatten einen Kolbenfresser im globalen Finanzsystem. Große Teile der Finanzwelt funktionierten nicht mehr. Mit dem beherzten Eingreifen der Notenbanken, die das Finanzsystem schnell wieder mit viel Liquidität versorgten, und den enormen Hilfeleistungen der öffentlichen Hand, die Teile der ins Straucheln geraten Banken übernahmen oder Garantien in Milliardenhöhe ausstellten, wurde der Motor wieder flottgemacht. Die Hilfsmilliarden waren, wenn Sie so wollen, das dringend benötige Öl und damit als Nothilfe alternativlos.

Damit stellen Sie Politik und Notenbanken ein gutes Zeugnis aus. Wurden aus Ihrer Sicht auch Fehler gemacht?

Ganz klar, ja. Der Kardinalfehler war, dass man die Nothilfe zur Dauereinrichtung gemacht und die Marktteilnehmer nicht zum Schuldenabbau gezwungen hat, obwohl die Pleite von Lehman Brothers ja das Resultat einer Schuldenkrise war. Stattdessen wurde die hohe Verschuldung in den Industrieländern, begünstigt durch die ultralockere Geldpolitik, nur umverteilt und tragbar gemacht. Um sich von den Turbulenzen in den Industrieländern abzukoppeln, haben sich dann die Schwellenländer massiv verschuldet, denn bei Zinsen nahe Null kann jeder Schulden tragen. Unter dem Strich hat sich die Gesamtverschuldung in der Welt seit Lehman Brothers gewaltig erhöht – und diese Verschuldung beunruhigt mich.

Ist damit die Saat für die nächste Krise gelegt? Aus welcher Ecke erwarten Sie Ungemach?

Probleme treten zwar meistens dort auf, wo man sie nicht vermutet. Doch es gibt interessante Parallelen zwischen der Lage heute und bei Ausbruch der Finanzkrise. Damals brach der Subprime-Markt, ein Teilsegment des US-amerikanischen Hypothekenmarktes, wegen der Überschuldung der Immobilienkäufer zusammen. Heute ächzen Schwellenländer unter hohen Schulden – vor allem Argentinien und die Türkei, aber auch Indien, Indonesien und Südafrika. Die Staaten haben sich massiv in Dollar verschuldet und werden jetzt durch die gestiegenen Dollar-Zinsen gekniffen. Was früher der Subprime-Markt war sind heute die Schwellenländer. Richtig kritisch wird es immer dann, wenn ein Schuldner in die Bredouille kommt, der das ganze Finanzsystem bedrohen kann. Ein solcher Schuldner ist meiner Meinung nach der italienische Staat.

Wie kommen wir langfristig aus der Schuldenfalle heraus?

Es gibt drei Auswege. Der Königsweg ist, aus den Schulden herauszuwachsen. Leider sind dafür die Wachstumsraten zu schwach. Die zweite Möglichkeit ist finanzielle Repression, also durch hohe Inflationsraten und niedrige Zinsen die Schuldner zu entlasten. Allerdings zieht die Inflation nicht stark genug an. Damit das funktioniert wären Teuerungsraten von mehr als zwei Prozent notwendig. Damit bleiben, drittens, nur unschöne Lösungen übrig.

Die da wären … ?

Eine Währungsreform. Das könnte beispielsweise ein Währungsschnitt sein – quasi ein Reset des globalen Geldsystems. Das ist so unvorstellbar nicht. Das aktuelle Kreditgeldsystem kam erst 1971 zur Welt, als die Goldanbindung des Dollars aufgegeben wurde. Wenn die Bürger das Vertrauen in das von Zentral- und Geschäftsbanken durch Kreditvergabe geschaffene Geld verlieren, werden wir diesen Reset bekommen. Die Kryptowährung Bitcoin wurde nicht von ungefähr wenige Monate nach Lehman als Antwort auf die Probleme des Kreditgeldsystems geschaffen.

Welche Rolle spielt die Finanz- und Wirtschaftskrise im Hinblick auf radikale Strömungen in den Gesellschaften?

Die Pleite von Lehman war der Urknall für den Verlust des Vertrauens in die Eliten in Wirtschaft und Politik. Die Finanzkrise hat die Populisten stark gemacht. In den USA regiert ein Populist. In Italien repräsentieren die Populisten der Lega und den Fünf Sternen rund 60 Prozent der Wählerschaft. Da sind wir in Deutschland mit der AfD noch besser dran. Was ist passiert? Man hat gesehen, dass die Banker eben keine Genies waren, sondern dass sie sich lediglich mit billigem Geld bereichert haben, das sie sich von den Zentralbanken holen konnten. Die Politik saß also als Kooperationspartner mit in diesem Boot. Allerdings haben die Populisten auch keine Lösungen für die noch immer ungelösten Probleme. Das ist heute so und das war nach dem Börsencrash von 1929 ähnlich. Während der anschließenden Weltwirtschaftskrise kam in den Vereinigten Staaten mit Roosevelt ein gemäßigter Linkspopulist an die Macht. Die Deutschen hatten mit Hitler weniger Glück.