Handystecker
Wie Wieland aus Schrott Material für Handystecker macht
Vöhringen / Lesedauer: 8 min

Die Hitze ist noch in mehr als zwei Metern Entfernung zu spüren. Leuchtend orange-gelb fließt die dünnflüssige Masse hin und her. Am Rand, nahe der etwa 80 Zentimeter langen und 25 Zentimeter breiten Form, züngeln immer wieder weiß-gelbe Flämmchen auf.
Eine Etage höher blitzt das mehr als 1000 Grad Celsius heiße und so archaisch funkelnde Material aus tiefen Rissen zwischen einer rau-schwarzen Kruste hervor und schwappt ab und an träge an den mit Keramik ausgeschlagenen Behälter.
Aus diesem Gießofen strömt das glühende Kupfer über eine Düse in die darunter angebrachte rechteckige Gussform. Dort erstarrt das flüssige Metall zu dem, was das Ulmer Traditionsunternehmen Wieland in seiner Gießerei im bayerischen Vöhringen an diesem Tag in einem seiner 22 Schmelzöfen herstellt: ein besonderes Messing in Form von Brammen, also bis zu zehn Tonnen schweren Metallquadern.
Ein greifbares Endprodukt schaffen
„Flüssiges Metall hat eine eigene Faszination, eine ganz eigene Magie“, sagt Agnes Kempfle . Die Leiterin für Präzisionsstrangguss und Ofenmanagement blickt von der glühenden Kupfer-Zink-Mischung auf bizarr erstarrte Metallfäden, die am Ausguss entstanden sind, als die Kollegen der 26-Jährigen die Metall-Legierung aus dem Schmelzofen in den Gießofen gegossen haben.
„Man hat in der Gießerei das Gefühl, aus etwas Unförmigen, Rohem ein greifbares Endprodukt zu schaffen“, erzählt Kempfle und wischt sich ein wenig des grauen Pulvers von der Hand, das überall in der Gießerei, an Wänden und Decken, auf den Geländern, Gängen und Maschinen – und natürlich auf den Rohren und Öfen zu finden ist.

Der grau-anthrazitfarbene Staub ist Graphit, die Gießer streuen das Mineral auf die Tiegel und Pfannen, damit das glühende Metall nicht oxidiert und mit dem Sauerstoff der Umgebungsluft reagiert. Die ist glasklar und sauber. Absauganlagen reinigen die Hallen der größten Buntmetallgießerei der Welt von Metalldämpfen und Staubresten.
Das aus einer Glockengießerei in Ulm hervorgegangene Unternehmen schmilzt in dem kleinen Örtchen an der Iller Kupferschrott und neues Metall ein, um es zu zu Brammen und Bolzen zu gießen. Die bis zu einer Tonne schweren Rundbolzen presst und zieht Wieland im Presswerk nebenan zu Stangen, Rohren, Drähten und Profilen.
Und die bis zu zwölf Tonnen schweren Brammen werden im Walzwerk, das sich an die riesige Gießhalle anschließt, zu bis zu 100 Meter langen Bändern gewalzt und gewickelt. Das Herz ist aber die Gießerei. Die Öfen, die Hitze, die Tiegel, die Schmelze – und am Ende die Platten und Bolzen. „Das ist hier alles auf groß skaliert“, sagt Agnes Kempfle. „Es ist etwas Besonderes hier dabei sein, es macht einen sehr stolz.“
Agnes KempfleIch habe als Kind immer in der Werkstatt gebastelt, meine Eltern haben eine Landwirtschaft, da gab es immer etwas zu reparieren.
Wenn die aus Günzburg stammende Ingenieurin im Werk unterwegs ist, verschwinden ihre schwarzen Locken unter dem gelben Schutzhelm. Und die Perlenohrringe über dem Kragen ihrer Schutzjacke funkeln so wie die Flammen, die aus der Tür des Schmelzofen schlagen, als Kupferspäne aus einem Container in die Schmelze rutschen. „Da verbrennen Ölreste, die noch in den Metallstückchen waren“, erläutert Kempfle.
Die Bayerin hat in Ulm Maschinenbau studiert und dann bei Wieland eine klassische Metallausbildung durchlaufen. „Ich habe als Kind immer in der Werkstatt gebastelt, meine Eltern haben eine Landwirtschaft, da gab es immer etwas zu reparieren“, erzählt sie, „und später habe ich an meinem Bully geschraubt.“
Im Kreise ihrer meist männlichen Kollegen bewegt sich Agnes Kempfle unbefangen. Sie ruht in sich, und ihre quirlige Art kommt meist dann zum Vorschein, wenn sie über ihre Arbeit spricht. „Das Einzigartige ist, dass ich hier das Gefühl habe, wirklich etwas mit den Händen zu machen.“

Neben dem Ofen mit den öligen Kupferflammen liegen ordentlich geordnet metallene Platten: Zink, Blei, Eisen, Zinn, Silicium. Es sind die Zutaten, mit denen die Gießer die Legierung genau abstimmen. Fehlt der Schmelze ein Teil Zink, muss es hinzugeben – sprich eine weitere Platte vom Zinkstapel in das flüssigen Metall geworfen werden. „Im Tiegel da entsteht die Wahrheit“, sagt der Vöhringer Werksleiter Rudolf Liebsch. Er meint damit, dass erst dann klar ist, ob der Schrott wirklich nur Kupfer enthalten hat, wenn das Metall sich verflüssigt und gemischt hat.
Mit einem langen Löffel fährt Johannes Büchele in den Ofen, die dünne Kruste durchstößt er, schöpft ein wenig des orange glühenden Metalls und gießt es in eine stählerne, runde Form mit etwas mehr als zwei Zentimetern Durchmesser. Die Farbe des Metalls wird von außen nach innen dunkler, nach wenigen Sekunden ist die Probe fest, der Kollege von Agnes Kempfle ergreift mit einer Zange das Metall, das die Form eines Spülmaschinen-Tabs hat und wirft es in Wasser. Es knallt, brodelt, zischt – dann nimmt der Gießer das Stück Rohkupfer in die Hand.
Material steckt in Ladesteckern von Smartphones
Der 30-Jährige, der aus Illerrieden, einem Dorf wenige Kilometer von Vöhringen entfernt stammt, kann sich noch genau erinnern, als er das erste Mal vor der Schmelze stand. Aufgeregt sei er gewesen, neugierig, aber auch ein wenig Beklommenheit habe er gespürt.
„Die Probe geht nun ins Labor“, erläutert Büchele. Dort wird sie mit einer Röntgenspektrographie analysiert. „Nach fünf Minuten ist das Ergebnis da“, sagt Büchele, „und wir wissen, ob die Legierung stimmt.“ Oder ob noch einige Platten der neben der Ofentür sauber aufgeschichteten Metalle in die lodernde Glut wandern müssen.

Wie entscheidend die genaue Mischung für die vielen Produkte ist, in denen das Kupfer aus Vöhringen später Verwendung findet, erklärt Wieland-Chef Erwin Mayr, indem er auf das kulinarische Bild der Suppe zurückgreift: Kupfer sei die Basiszutat, die mit anderen Metallen gesalzen und gepfeffert werde. „Wir haben mehr als 100 verschiedene Legierungen und entsprechende Rezepte. Jedes Produkt braucht eine andere Mischung – je nach Leitfähigkeit, Umformbarkeit und Festigkeit“, erläutert Mayr.
Und die Produkte, in denen das rotschimmernde Metall Verwendung findet, sind vielfältig. Was Johannes Büchele und Agnes Kempfle aus Feuer schaffen, steckt später in den Ladesteckern von Smartphones, in Bezahlchips für Kreditkarten und elektrischen Widerständen. In Schaltungen von Elektroautos, Rippenrohren von Kühlgeräten und Hochleistungsdrähten stecken fein abgestimmte Kupferlegierungen genauso wie in Lüsterklemmen, Kugelschreiberspitzen und Reißverschlüssen.
„Es geht immer darum, die Leitfähigkeit des Kupfers zu erhalten und dabei mit den Legierungen die Festigkeit zu stärken“, sagt Reiner Schmutz. Der Leiter der Gießerei steht auf der dritten Etage der Bolzengießerei und beobachtet, wie ein Fahrstuhl einen riesigen Kessel mit flüssigem Metall in die Höhe befördert.

Wenn die Anlage läuft, müssen die Gießer bei der Bolzenproduktion andauernd für Nachschub sorgen: Alle 30 bis 40 Minuten müssen zwei Schmelzer an den Öfen für die beiden Gießer am Einfüllstand eine neue Pfanne fertig haben, denn das Gießen der runden Zylinder ist als Endlos-Produktion angelegt: Während in die runden Kokillen oben das Kupfer reinfließt, bildet es im unteren Teil der Form eine erste Außenhaut, erstarrt weiter und wird dann von zwei Walzen nach unten gezogen. Dies geschieht gleichzeitig bei drei Kupfersträngen, sodass an der Spitze der Bolzengießerei noch flüssiges Metall brodelt, wenn eine Säge zehn Meter weiter unten die abgekühlten Stränge abschneidet.
Die Gießerei läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche – ein Runter- und wieder Anfahren würde viel zu viel Energie kosten. 200 Mitarbeiter produzieren in vier Schichten Nachschub für das Walzwerk im Norden und das Presswerk im Süden der Gießerei, jeden Tag etwa 1500 Tonnen Kupferlegierungen als Bolzen und Brammen.
An einem orangefarbenen Plattenwagen bleibt Agnes Kempfle stehen. die fünf Brammen, die zum Abtransport bereit liegen, sind noch lauwarm und die Kupfer-Chrom-Titan-Legierung fühlt sich an der Oberfläche ein wenig rau an. „Jede Bramme wiegt zehn Tonnen“, sagt die Gießerin und legt ihre Hand auf das Metall. „Was hier liegt, ist damit schwerer als die allermeisten Lastwagen, die hier so auf der Straße unterwegs sind.“ Das ist sie wieder: die Faszination für das Urförmige, Gewaltige – für das auf groß Skalierte eben.