Krise am Bau spitzt sich zu
Düstere Zeiten für Bauunternehmen: Pleiten und Stellenabbau drohen
Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

Sebastian Winter
Die Bauunternehmen in Baden–Württemberg befinden sich in schwierigen Zeiten. Sollten diese anhalten, drohen Firmenpleiten und Stellenabbau. Zu diesem Ergebnis kommt die Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden–Württemberg bei der Bekanntgabe ihrer Halbjahresbilanz am Dienstag. Auch die Unternehmen in der Region merken die Krise.
Steigende Preise machen Bauen unattraktiv
„Wir haben in den letzten Monaten schwierige Zeiten erlebt und die werden vermutlich noch etwas dramatischer werden“, sagte der Präsident der Landesvereinigung, Bernhard Sänger, auf der Pressekonferenz in Stuttgart. Betroffen sei vor allem der Wohnungsbau. Dieser befinde sich seit Jahresbeginn im freien Fall. Sänger sieht einen „existenziellen Auftragseinbruch“.
Tobias MehlichFür viele ist der Traum vom Eigenheim in weite Ferne gerückt.
In Zahlen bedeutet das: Im ersten Halbjahr 2023 waren die Umsätze für Wohnungsbau-Aufträge um 31,3 Prozent geringer als im Vorjahr. 16.603 neue Baugenehmigungen für Wohnungen gab es in Baden-Württemberg zwischen Januar und Juni – das ist fast ein Viertel weniger als noch vor einem Jahr. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist die Zahl sogar fast um die Hälfte eingebrochen.
Dabei herrsche vielerorts akuter Wohnungsmangel, so die Landesvereinigung. Doch gestiegene Material– und Energiepreise, hohe Bauzinsen und fehlende staatliche Förderprogramme würden das Bauen immer unattraktiver machen.
Immer mehr Auftragsstornierungen
Das beobachtet auch die Handwerkskammer in Ulm. Betroffen seien nicht nur Unternehmen, sondern auch private Bauherren. „Für viele ist der Traum vom Eigenheim in weite Ferne gerückt“, sagt Geschäftsführer Tobias Mehlich. Für Unternehmen in der Region sei es zudem aktuell schwer, an das notwendige Baumaterial zu kommen. Eine verlässliche Angebotskalkulation sei oft nicht möglich.

Der Stillstand am Bau muss mit Prio1 behandelt werden
Das Ifo–Institut meldet einen Höchststand an Stornierungen im Wohnungsbau. Die Ampel–Koalition unterschätzt die damit verbundenen Probleme, meint Claudia Kling.
Leiden würde vor allem ein Bereich der Branche: „Der Bauhauptbereich, dazu gehören etwa Maurer und Dachdecker, verzeichnet angesichts der momentanen Marktunsicherheit einen zunehmenden Rückgang der Aufträge“, sagt Mehlich.
Doch Unternehmen fällt es nicht nur schwer, an neue Aufträge zu kommen, sie müssen auch immer öfter mit der Stornierung bestehender rechnen.
Laut einer aktuellen Umfrage des Münchner Ifo–Instituts berichtete im August bundesweit mehr als jedes fünfte Unternehmen von abgesagten Bauprojekten. Seit Erhebung der Daten 1991 sei nichts Vergleichbares beobachtet worden.
Unternehmen kämpfen um wenige Aufträge
Die Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden–Württemberg beobachtet durch den Rückgang der Aufträge ein weiteres Phänomen: Heute würden sich sogar Unternehmen aus Frankfurt bei öffentlichen Ausschreibungen dafür bewerben, in Baden–Württemberg eine Brücke für 30.000 Euro zu bauen. Vor einigen Jahren sei so etwas undenkbar gewesen. Die Konkurrenzsituation auf dem Markt für Bauunternehmen spitze sich zu.
Der Brückenbau gehört zum Kerngeschäft des Bauunternehmens Matthäus Schmid in Baltringen (Landkreis Biberach). Geschäftsführer Fridolin Schmid beobachtet ebenfalls einen umkämpfteren Markt. Aktuell sei sein Unternehmen zwar noch ausreichend mit Aufträgen versorgt, doch: „Öffentliche Ausschreibungen werden immer weniger. Dabei gibt es in Baden–Württemberg so viele marode Brücken, der Bedarf ist eigentlich da“, sagt Schmid. Es sei ihm ein Rätsel.
Wenn Bauunternehmen um immer weniger Aufträge kämpfen, unterbieten sie sich endlos gegenseitig, erklärt Schmid. „Viele sagen dann: Hauptsache, ich bekomme noch Arbeit und kann meine Mitarbeiter noch irgendwie beschäftigen“, erläutert der Chef.
Erste Firmen schicken Mitarbeiter in Kurzarbeit
Laut Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden–Württemberg hat sich die Zahl der Beschäftigten im Baugewerbe zwar nominell leicht erhöht, gleichzeitig gebe es aber mehr Arbeitslose und weniger offene Stellen in der Branche. Angesichts der dünnen Auftragslage würden schon jetzt erste Unternehmen damit beginnen, ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Es treffe vor allem diejenigen, die nicht als Fachkräfte gelten. „Das wird auch zu Entlassungen führen“, sagt Sänger, Präsident der Landesvereinigung.
Bauunternehmer Fridolin SchmidÖffentliche Ausschreibungen werden immer weniger. Dabei gibt es in Baden–Württemberg so viele marode Brücken, der Bedarf ist eigentlich da.
Mit Kurzarbeit würden die Unternehmen etwas Zeit gewinnen. Auf Dauer würden aber die Rücklagen, die viele Unternehmen während den jahrelangen Niedrigzinsphasen gebildet hätten, vielerorts nicht ausreichen. Es gingen auch Firmen insolvent, bei denen es vor kurzem noch niemand erwartet hätte. Laut Ifo–Institut befinden sich aktuell bundesweit 11,9 Prozent der Unternehmen im Wohnungsbau in Finanzierungsschwierigkeiten. Es sei der höchste Wert seit mehr als 30 Jahren.
Ausbaubetriebe noch weniger betroffen
Andere Bereiche der Baubranche sind derzeit noch verhältnismäßig weniger betroffen. „In den Bau– und Ausbaugewerken — dazu gehören zum Beispiel Schreiner, Zimmerer und Fliesenleger — ist die Lage und Auslastung derzeit noch recht gut“, sagt der Geschäftsführer der Handwerkskammer Ulm.
Das deckt sich mit den Ergebnissen der Landesvereinigung Bauwirtschaft. Bei den Ausbaubetrieben, die hauptsächlich im Gebäudebestand arbeiten, gab es im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatzzuwachs von 43 Prozent. Dennoch gebe es auch hier aktuell einen signifikanten Nachfragerückgang, da viele Menschen aufgrund der langen Diskussion um das neue Heizungsgesetz mit Sanierungsarbeiten zögerten.
Bauwirtschaft fordert zehn Milliarden
Trotzdem erwirtschaftete die Branche über alle Bausparten hinweg nach Angaben der Vereinigung im ersten Halbjahr immer noch Umsätze in Höhe von knapp 7,2 Milliarden Euro. Das seien 8,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, preisbereinigt aber ein Minus von 3,2 Prozent. Die Auftragseingänge seien insgesamt um 9,4 Prozent zurückgegangen. Die Vereinigung rechnet bis zum Jahresende mit einer weiter sinkenden Nachfrage und einem Rückgang des Umsatzes von zwei bis drei Prozent.
Hoffnungen steckt die Landesvereinigung in den Wohnungsgipfel am 25. September im Bundeskanzleramt. Sie fordert unter anderem zehn Milliarden Euro für die Wohnraumförderung im Neubaubereich.