Geld aus Brüssel
Baden-Württemberg will deutlich mehr vom EU-„Förderkuchen“ abhaben
Stuttgart / Lesedauer: 6 min

Thomas Hagenbucher
Wenn dieser Tage ein Unternehmen kräftig investiert, geschieht das in den meisten Fällen nicht in Baden-Württemberg, sondern eher außerhalb des Bundeslandes. Auch ZF Friedrichshafen, einer der größten Autozulieferer der Welt, plant sein neues Hightech-Chipwerk zusammen mit dem US-Unternehmen Wolfspeed im Saarland und nicht am heimischen Bodensee (wir berichteten).
Der Grund für diese Entwicklung: Strukturschwache Regionen in Deutschland und insbesondere im europäischen Ausland können mit üppigen Fördergeldern aufwarten und dadurch Konzerne aus aller Welt anlocken. Baden-Württemberg darf dies nach den aktuellen EU-Beihilferegeln aber nicht, weil es wirtschaftlich als zu „stark“ gilt. Entsprechend droht der Südwesten im internationalen Standort-Wettbewerb an Boden zu verlieren – gerade bei wichtigen Zukunftsinvestitionen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist das schon seit längerer Zeit ein Dorn im Auge, weshalb er von Brüssel vehement Änderungen am Regelwerk zu den Beihilfen fordert. „Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder stärker in den Blick nehmen“, sagte Kretschmann diese Woche bei einer auswärtigen Kabinettssitzung in Brüssel.
Die baden-württembergische Landesregierung pocht auf mehr Fördergelder aus EU-Töpfen für den Südwesten. Außerdem fordert sie größere rechtliche Spielräume, um selbst Unternehmensansiedlungen finanziell unterstützen zu können. Man habe der Europäischen Kommission in Brüssel nun ein entsprechendes Positionspapier überreicht, berichtet Kretschmann.
„Wirtschaftsregionen mit ,Lokomotivfunktion’ müssen gestärkt werden“
Die sogenannten Beihilferegeln der EU müssten vereinfacht und flexibler gestaltet werden, fordert der Ministerpräsident. Das Land wolle dazu zeitnah konkrete Vorschläge unterbreiten. Im Einzelnen ist der Landesregierung wichtig, dass die EU-Förderpolitik künftig wieder stärker an den Regionen ausgerichtet ist. Auch sollten die Regionen, die besonders von der grünen und digitalen Transformation der Wirtschaft betroffen sind wie eben das „Autoland“ Baden-Württemberg, stärker berücksichtigt werden.
„Eines unserer wichtigsten Ziele muss es sein, dass Europa wirtschaftlich stark bleibt. Bisher sind Europas Innovationszentren jedoch in Brüssel zu wenig im Fokus. Dies muss sich künftig auch stärker in der EU-Förder- und Investitionspolitik und im Beihilferecht der EU widerspiegeln“, verdeutlicht Regierungssprecher Matthias Gauger gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“.
„Ohne eine Stärkung Europas führender Wirtschaftsregionen mit ,Lokomotivfunktion’ wird die Wettbewerbsfähigkeit der EU unter den aktuellen globalen Herausforderungen und damit der Standort insgesamt geschwächt werden“, sagt er.
Stehen in einem harten Wettbewerb mit anderen Standorten
Auch das Wirtschaftsministerium unterstützt die Pläne: „Baden-Württemberg hat als Standort viel zu bieten. Beim Thema Energiepreise und Steuervorteile stehen wir aber mit anderen Standorten im harten Wettbewerb“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) unserer Zeitung.
Die Ministerin begrüßt auch die Pläne von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Zukunftstechnologien im Rahmen von größeren Projekten im europäischen Interesse gezielter zu unterstützten sowie auch den Mitgliedsstaaten mehr Unterstützung für ihre Industrien zu ermöglichen.
„Im Rahmen der bisherigen EU-Regionalbeihilfen haben vor allem ärmere EU-Regionen Freiräume, Ansiedlungen finanziell zu unterstützen“, berichtet sie. „Wir müssen in Europa aber auch die Stärken stärken“, fordert die Balingerin. „Es kann nicht sein, dass unsere Betriebe neue Produkte und Verfahren austüfteln und für die industrielle Fertigung dann von anderen Standorten abgeworben werden.“
Wettbewerb um Investitionen und die Ansiedlung von Zukunftstechnologien wird rauer
Der Zeitpunkt der Initiative ist gut gewählt, da die EU-Kommission in Brüssel angekündigt hat, angesichts der neuen Herausforderungen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch einmal eine Überprüfung des noch bis 2027 laufenden Finanzrahmens vorzunehmen. Dieser mehrjährige Finanzrahmen (2021 bis 2027) legt die Prioritäten der EU-Förderpolitik fest.
Eines ist klar: Der internationale Wettbewerb um Investitionen und die Ansiedlung von Zukunftstechnologien wird rauer. Nachdem China schon seit vielen Jahren praktisch weltweit massiv investiert und zugleich den heimischen Markt rigoros abschottet, agieren auch die Vereinigten Staaten immer protektionistischer. Nicht umsonst war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen auf USA-Reise, um die Auswirkungen des „Inflation Reduction Act“ abzumildern (siehe Extra-Bericht).
Mit dem Subventions- und Steuererleichterungsprogramm im Umfang von rund 370 Milliarden US-Dollar werden vor allem klimaschonende Technologien in den USA gefördert. Zahlreiche Fördermittel sollen dabei jedoch Unternehmen vorbehalten bleiben, die nur oder zumindest teilweise in Nordamerika produzieren. Die EU entwickelt gerade eine Gegenreaktion, die dann noch durch die 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen werden muss.
Unternehmen fordern mehr Unterstützung von der Politik
Die Unternehmen im Südwesten fordern derweil mehr Unterstützung von der Politik: „Die globalen Rahmenbedingungen haben sich dramatisch verändert“, sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), in Anspielung auf den „Inflation Reduction Act“ der USA. Der Verband, dem unter anderem auch Südwestmetall angehört, fordert bessere Standort- und Investitionsbedingungen in Deutschland und Europa. „Da gibt es noch enorm viel Luft“, konstatiert Dick. Die EU-Förderung müsse erleichtert werden, damit baden-württembergische Firmen wettbewerbsfähig seien.
Der IG Metall geht es vor allem darum, die Beschäftigung vor Ort zu sichern. „Regionale Strukturpolitik sollte sich nicht nur an strukturschwache Regionen richten, sondern viel mehr als bislang ihren Fokus auf die vorhandenen industriellen Strukturen im Umbruch richten“, sagt Sprecherin Julia Wahl. Strukturpolitik dürfe sich dabei nicht auf eine einseitig technikzentrierte Förderung von Forschung und Entwicklung beschränken. „Dazu brauchen wir auch finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort, um Investitionen in Menschen und Strukturen zu befördern“, sagt sie.
Dies gelte auch für die EU-Förderpolitik. Aber klar sei auch, dass wirtschaftlich starke Regionen davon nicht im gleichen Maße profitieren könnten wie Regionen mit Nachholbedarf. „Hier geht es vor allem darum, dass das EU-Beihilferecht die Förderung der regionalen Transformation durch Land und Bund nicht behindert.“
Opposition warnt vor Subventionswettlauf
Mahnende Stimmen kommen von der Opposition: „Wir dürfen in Baden-Württemberg, in Deutschland und in Europa jetzt nicht in einen Subventionswettbewerb mit den USA verfallen“, sagt Nikolai Reith, Wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Fraktion im Landtag. Durch Deregulierung und Bürokratieabbau könne man auch ohne Subventionen Politik für die Wirtschaft vor Ort machen, sagt er.
Beim Ziel dürften sich Regierung und Opposition aber ebenso einig sein wie Gewerkschaft und Arbeitgeber: Es müssen wieder mehr Investitionen ins Land. Der Ball liegt nun bei der EU-Kommission sowie den 27 Staats- und Regierungschefs.