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Woran die Menschen wegen der hohen Inflation jetzt sparen

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Woran die Menschen wegen der hohen Inflation jetzt sparen
Veröffentlicht:19.07.2022, 18:00

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Kein Wecken zu viel. So lautet derzeit bei vielen die Devise, wenn sie den Bäcker besuchen, erzählt Tobias Bär, Juniorchef der Tettnanger Bäckerei Bär. Es sei definitiv zu spüren, dass die Menschen bewusster einkaufen. Die Kunden würden genau abzählen, wie viel sie brauchen und nur das wird dann auch gekauft, mehr nicht. „Das ist ein Trend, der in den letzten Wochen aufgekommen ist“, sagt Bär. Deswegen geht er davon aus, dass das neue Einkaufsverhalten der Kunden mit der stark steigenden Inflation zusammenhängt. Stefan Körber , Geschäftsführer der Landesinnung für das Württembergische Bäckerhandwerk, bestätigt Bärs Eindruck. „Wir merken eine Kaufzurückhaltung schon seit April“, sagt er.

Laut einer Umfrage im Auftrag des Handelsverbandes Deutschland ( HDE ) hat inzwischen mehr als ein Viertel der Bevölkerung große Angst, mit dem Geld nicht mehr auszukommen. „Die steigende Inflation schmälert die Kaufkraft der Kundinnen und Kunden massiv“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Im Juni legten die Verbraucherpreise nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,6 Prozent zu. Schon seit vergangenem Sommer hat sich die Teuerung kontinuierlich verstärkt. Der Krieg in der Ukraine und die harten Coronamaßnahmen in China haben den Preisauftrieb verschärft. Dementsprechend halten sich die Menschen beim Einkaufen zurück.

Weniger Ausgaben für Möbel und Elektrogeräte

Das spüren nicht nur die Bäcker. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK hat der sogenannte Konsumklimaindex im Juni ein historisches Tief erreicht. So sparen die Deutschen beispielsweise bei größeren Anschaffungen wie Möbeln oder Elektrogeräten. Auch für andere Lebensmittel wird weniger ausgegeben. Bei Fleisch und Wurst sind die Mengen im Vergleich zum Mai 2021 um fast 26 Prozent geschrumpft. Außerdem sei zu beobachten, dass sich viele Verbraucher – nachdem sie während der Corona-Lockdowns öfters bei den teureren Supermärkten oder bei Biomärkten eingekauft haben – jetzt vermehrt nach Rabattangeboten umsehen oder auf Discounter umsteigen.

Die Friseure spüren ebenfalls eine Zurückhaltung der Kunden. Matthias Moser, Geschäftsführer des Fachverbands Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg berichtet, dass es manche Friseursalons im Südwesten gebe, die aufgrund der hohen Inflationsrate rückläufige Umsatzzahlen in ihren Büchern ausweisen. Die „stellen zum Beispiel fest, dass das Haarefärben in längeren Abständen nachgefragt wird“, sagt Moser. Oder die Kundinnen und Kunden würden zwar die Haarfarbentube im Salon kaufen, sich aber dann zuhause selbst die Haare färben, was übrigens selten zum gewünschten Erfolg führe, wie Moser sagt.

Weniger Restaurantbesuche

Auch Daniel Ohl, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes in Baden-Württemberg berichtet, dass dem Verband einige Mitglieder von bremsenden Effekten der hohen Inflation berichten. Manche verzeichneten weniger Restaurantbesuche oder eine steigende Preissensibilität bei ihren Gästen. Das seien aber Einzelfälle. Generell gebe es ein Bedürfnis nach Geselligkeit und kulinarischen Erlebnissen seit dem Wegfall der Corona-Beschränkungen.

Friedrich Werdich ist Geschäftsführer des Schuhhauses Werdich mit Sitz in Dornstadt im Alb-Donau-Kreis, das 37 Filialen von Stuttgart bis Augsburg betreibt. Der innerstädtische Fachhandel leide immer noch stark unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie, sagt Werdich. Während die Einzelhändler während der Lockdowns auf das Onlinegeschäft umsteigen konnten, wird dieses Geschäft nun gebremst. „Wir sehen, dass die hohen Umsatzzuwächse im Onlinehandel erst einmal ’gebrochen’ sind. Das Wachstum ist infolge des Ukraine Konflikts stark abgeflacht“, sagt Werdich. Mit dem Krieg habe sich leider ein weiterer Schatten auf die Verbraucherstimmung gelegt.

Sparen tun eher die Armen

Dennoch: Den Trend, dass sich alle Menschen beim Konsum zurückhalten, gibt es nicht. Man muss unterscheiden. Fahrradhändler etwa berichten der „Schwäbischen Zeitung“, dass sie bei den günstigen Modellen zwar weniger verkaufen, dass dafür aber die teuren Modelle weiterhin gut gefragt seien. Auch Friseure berichten Ähnliches. „Es gibt diejenigen Betriebe, die sogar trotz Preiserhöhungen sehr gut ausgelastet sind“, sagt Verbandsgeschäftsführer Moser. „Wir verzeichnen bei qualitativ hochwertigem Schuhwerk vergleichsweise sehr gute Verkäufe“, sagt auch Friedrich Werdich.

Es sind laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung also vor allem die Haushalte mit niedrigem Einkommen, die sparen. Eine Studie der Stiftung ergibt, dass sich etwa 52 Prozent der Erwerbstätigen mit einem relativ niedrigen Haushaltseinkommen von bis 2000 Euro netto im Monat genötigt sehen, wegen der gestiegenen Preise etwa ihre Nahrungsmittelkäufe einzuschränken, weil die Preise so gestiegen sind. Darunter wollen rund 18 Prozent den Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken, Tabakwaren und Ähnlichem sogar „bedeutend“ zurückfahren. 63 Prozent gaben zudem an, beim Kauf von Kleidung und Schuhen inflationsbedingt kürzer treten zu wollen.

Der akute Druck, den Konsum solcher Alltagsgüter zu reduzieren, nimmt laut der Befragung der Stiftung mit wachsendem Einkommen ab. Gleichwohl wirke er weit in die Gesellschaft hinein: Über alle Einkommensgruppen hinweg wollen 39 Prozent der Erwerbspersonen künftig weniger Nahrungs- und Genussmittel kaufen, darunter zehn Prozent „bedeutend weniger“. Bei Bekleidung und Schuhen wollen sich 53 Prozent einschränken, davon 18 Prozent „bedeutend“.

Für die Betriebe ein Teufelskreis

Für die Einzelhandel-, Friseur-, Gastronomie- oder Bäckerbetriebe ist die Lage indes ein Teufelskreis. Denn zum einen bleiben Kunden aus oder sie kaufen weniger, weil ihnen alles zu teuer wird, aber auch die Betriebe selbst leiden natürlich unter den Preissteigerungen. „Über alle Rohstoffe hinweg, die Bäcker nutzen – also Butter, Mehl, Saaten und so weiter – haben sich die Preise zuletzt um 30 Prozent erhöht“, sagt Stefan Körber von der Landesinnung für das Württembergische Bäckerhandwerk. Zusätzlich würden etwa 70 Prozent der Bäckerbetriebe in Baden-Württemberg ihre Öfen mit Gas heizen. Auch hier sind die Preise explodiert.

„Wenn wir das jetzt eins zu eins an die Kunden weitergeben, dann befeuern wir die Inflation ja nur noch mehr“, sagt Bäcker Tobias Bär. Für die Betriebe sei das eine extreme Zwickmühle. Bisher könne er nur eine leichte Preissteigerung für seine Kunden moralisch vertreten. „Eine Bretzel, die früher 75 Cent gekostet hat, kostet jetzt 80 Cent. Wenn ich meine ganzen Kosten weitergeben würde, müssten es 1,10 Euro sein“, sagt Bär. Um das auszugleichen müssten die Betriebe auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, die aber seit der Corona-Krise bei vielen auch nicht mehr sonderlich groß seien. Eigentlich bliebe für die Betriebe und auch für die Kunden nur eines übrig, sagt Stefan Körber: Zu hoffen, dass die Inflationsrate bald wieder deutlich sinkt.