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Biogasanlage

Vom Landwirt zum Energiebauern

Wirtschaft / Lesedauer: 6 min

Für viele Bauern sind erneuerbare Energien zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden
Veröffentlicht:08.09.2016, 19:42

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Die Biogasanlage von Reinhard Gaile ist gefräßig. Mit 25 Tonnen Mais-, Getreide oder Grassilage muss der Landwirt aus Herlazhofen ( Landkreis Leutkirch ) seinen Fermenter täglich füttern, um die Protagonisten des Gärprozesses in ihrer zerstörerischen Tätigkeit bei Laune zu halten: Mikroorganismen – in der Hauptsache Bakterien – die das Substrat zersetzen und Biogas freisetzen. Biogas, das anschließend in einem Blockheizkraftwerk in Strom und Wärme umgewandelt wird.

Reinhard Gaile ist Energiebauer. Eine Spezies, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind – auch in Baden-Württemberg . Denn für viele Bauern sind die erneuerbaren Energien – vor allem Biogas und Photovoltaik – in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Die grünen Kuppeln der Gärbehälter und die in der Sonne glänzenden Solarmodule prägen inzwischen das Landschaftsbild und sind beredtes Zeugnis dieser Entwicklung. Üppige Vergütungen für die ins Stromnetz eingespeiste Energie, über zwanzig Jahre vom deutschen Staat garantiert, machten es möglich.

Während die meisten Bauern den Verkauf von Ökostrom aber als Zubrot zum landwirtschaftlichen Kerngeschäft betreiben – weil im Fall von Milchviehhaltern Gülle und Biomasse eben anfallen oder Stalldächer zur Montage von Photovoltaikanlagen vorhanden sind – hat Reinhard Gaile einen radikaleren Weg eingeschlagen: Er ist Energiebauer mit Haut und Haaren, seinen Milchviehbetrieb hat er 2004 abgewickelt. „Ich stand damals am Scheideweg“, erinnert sich Gaile, der bereits seit 2002 eine kleine Biogasanlage in Eigenregie errichtet hatte und diese im Nebenerwerb betrieb. Der Grund: Ein Neubau der Stallungen stand an.

„Richtig Geld verdienen“

„Den Ausschlag, komplett auf Biogas zu setzen, gab der damals eingeführte Nawaro-Bonus von sechs Cent“, erzählt der Landwirt. Nawaro heißt „Nachwachsende Rohstoffe“ – gemeint sind Mais oder Getreide – und ist eine Zusatzvergütung für Strom, der aus eben diesen produziert wird. Bis dahin konnten Biogasanlagen in der Regel nur mit Gülle oder kostengünstigen organischen Abfällen wirtschaftlich betrieben werden. „Doch mit der Einführung des Bonus ließ sich mit Biogas auf einmal richtig Geld verdienen“, sagt Gaile.

Die kleine 80-Kilowatt-Anlage rüstete Gaile in vier Ausbaustufen auf heute 500 Kilowatt auf. Und neben dem Strom, der ins Netz eingespeist wird, liefert er über eine drei Kilometer lange Leitung auch noch Heißwasser für ein Wärmenetz in Leutkirch. „Für Biogaser ist ein gutes Wärmekonzept inzwischen zwingend, denn mit der alleinigen Verstromung wird es immer schwieriger, rentabel zu arbeiten“, erklärt der Landwirt, der alles in allem rund 2,6 Millionen Euro investiert hat und hofft, seine Anlage so auch nach dem Ende der garantierten Einspeisevergütung in zehn Jahren wirtschaftlich betreiben zu können. Doch sicher ist das nicht.

Denn im Gegensatz zu Windmüllern und Sonnenstrom-Erntern haben Biogasbauern erhebliche Kosten für den Energieträger Biomasse. Aktuell beziffert Gaile seine „Futterkosten“ für Mais-, Getreide- oder Grassilage auf neun Cent je Kilowattstunde erzeugten Strom – doppelt so viel wie noch 2005. Zusammen mit den Abschreibungen für die Anlage muss er rund 19 Cent erlösen, um an der Gewinnschwelle zu kratzen.

„Zurzeit gelingt mir das ganz gut“, lässt Gaile durchblicken. Die tiefen Getreidepreise und die Wärmenutzung sorgen dafür, dass er aktuell ordentlich Geld verdient. Doch schlägt das Pendel um, sieht die Rechnung anders aus. Da Gaile weiß, wie das ist, versucht er so viel wie möglich selbst zu machen: Die 220 Hektar Fläche, die er benötigt, bewirtschaftet er selbst. Auch die Technik hat er im Griff. Eine Garantie, dass das reicht, sollten die Getreidepreise wie in den Jahren 2007 und 2008 wieder einmal durch die Decke schießen, ist das aber nicht.

Nicht nur deshalb schaut Gaile eher pessimistisch auf die Aussichten der Branche in Baden-Württemberg. Vor allem die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen würden es Biogasern schwerer machen. So müssen größere Anlagen künftig ausgeschrieben werden. Wer die geringste Förderung benötigt, darf sein Projekt umsetzen. „Ich habe investiert und arbeite flexibel, aber das Thema sollte auch politisch gewollt sein“, sagt Gaile und glaubt, dass Biogas „irgendwann auslaufen wird“. Wie das Allgäu dann aussieht, wenn weder Biogaser noch Milchbauern wirtschaftlich überleben könnten, lässt er offen.

Ertragsquelle Photovoltaik

Sein Kerngeschäft aufgeben und komplett auf erneuerbare Energien umsatteln – daran mag Andreas Gütler nicht denken. Noch nicht. Der Landwirt aus Bad Waldsee-Steinach hat in seinen modernen Stallanlagen 140 Milchkühe stehen. Doch mit den Erlösen aus dem Verkauf der Milch kann er seine Kosten zurzeit nicht decken. „Wir liefern den Liter für 26 Cent nach Bayern – Tendenz fallend“, sagt Gütler und blickt nach oben: „Aktuell spielt die Solaranlage die Hälfte des Betriebsergebnisses ein – Tendenz steigend.“

Über seine Entscheidung von vor sechs Jahren ist Gütler heute froh. Damals musste das Dach seines Stalls saniert werden. Im Zuge dessen entschloss er sich zur Montage einer Photovoltaikanlage. Es war die Hochzeit des Photovoltaikzubaus in Deutschland, und wie Gütler investierten Tausende Landwirte in die blaugrau glänzenden Module. Knapp sieben Milliarden Euro steckte die Agrarwirtschaft 2010 in Anlagen zur Produktion von Strom und Wäre aus grünen Quellen. „Als zweites Standbein, unabhängig von der schon immer schwankenden Einnahmequelle Milch“, nennt Gütler die Gründe von damals.

Die Einspeisevergütungen für den Sonnenstrom waren 2010 zwar schon auf dem Rückzug. Im Vergleich zu den heute gezahlten Sätzen von nicht einmal mehr zehn Cent je Kilowattstunde bei Neuanlagen aber immer noch fürstlich. Zwischen 35 und 39 Cent je Kilowattstunde schreibt ihm der Energieversorger gut – Monat für Monat, zwanzig Jahre lang. „Ich hatte die Maßgabe, dass sich die Sanierung des Stallgebäudes und die Solaranlage nach zehn Jahren amortisieren sollten. Diese Rechnung wird aufgehen“, sagt Gütler. Nach sechs Jahren Betrieb liefern die Module noch immer die gleiche Leistung wie zu Beginn. Und da Bad Waldsee einer der sonnenreichsten Standorte Deutschlands ist, kommt unter dem Strich sogar mehr raus als im Vorfeld berechnet.

Es rechnet sich nicht mehr

Heute, meint Gütler, wäre das anders. Denn neue Solaranlagen rechnen sich schon seit Längerem nicht mehr. Die Einspeisevergütungen sind eingebrochen, und die Anlagenpreise, die etliche Jahre im Gleichschritt mit nach unten marschierten, stagnieren bei rund 1000 Euro pro Kilowatt. Wer sich als Bauer neu auf den Energiemarkt begeben wolle, „muss schon mit ganz spitzen Bleistift rechnen“, heißt es beim Deutschen Bauernverband, der jahrelang die Transformation des Landwirts zum Energiebauern propagiert hatte.

Gütler findet das schade, schließlich seien erneuerbare Energien „eine gute Sache“. Noch besser seien aber auskömmliche Preise für landwirtschaftliche Produkte. Denn ganz von der Solaranlage leben will er dann doch nicht. Dafür, sagt Gütler, hängt zu viel Herzblut an seinem Beruf. Und so kommt das Gespräch zwangsläufig zurück von der Energie- zur Landwirtschaftspolitik.

Die Abschaffung der Milchquote macht Gütler mitverantwortlich für die aktuelle Misere. „Jeder produziert auf Teufel komm raus, ganz nach dem Motto: Wer am meisten liefert, überlebt am Längsten. So eine Situation hatten wir noch nie“, sagt Gütler und ist sich sicher: „Der Freie Markt funktioniert in der Landwirtschaft nicht.“

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