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Silbermatt

Ein Stern unter Strom: Wie sich Mercedes-Benz auf die E-Mobilität trimmt

Stuttgart / Lesedauer: 7 min

In Hedelfingen baut Mercedes-Benz auch Batterien für Elektroautos – Viele Mitarbeiter sehen in der veränderten Mobilität eine Chance.
Veröffentlicht:23.07.2022, 05:00

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Silbermatt schimmert der metallene Kasten, als das Förderband ihn direkt vor Vladimir Propp zum Stehen bringt. Der gebürtige Kasache prüft die Anschlüsse, fügt eine Chipeinheit an und verdrahtet sie. In dem Kasten stecken in der Hauptsache die Metalle Nickel, Mangan und Kobalt, die unter der glänzenden Blechhülle – zu Zellen montiert – das kleinste Bauteil einer Batterie darstellen. Nur wenige Augenblicke arbeitet der 39 Jahre alte Industriemeister an dem Modul, bevor ein Industrieroboter den Kasten aufnimmt und auf ein an der Decke laufendes Förderband legt.

 Vladimir Propp beim Überprüfen der Batteriesteuergeräte.
Vladimir Propp beim Überprüfen der Batteriesteuergeräte. (Foto: David Weinert/Schwäbische.de)

In der hellen Halle wechseln sich Stationen, an denen Werker an Batterien arbeiten, mit Bereichen ab, in denen orangefarbene Roboter hinter durchsichtigem Plexiglas mit rasanten, kontrollierten Bewegungen kleben, schrauben, stanzen. 300 Meter lang ist die Produktionslinie, sie umfasst mehr als 70 Stationen – und auf ihr entstehen Batterien für zwei Autos, die ausschließlich von elektrischer Energie angetrieben werden: für den Mercedes EQE und für den Mercedes EQS, das Strom-Pendant zur S-Klasse, die wie kaum ein zweiter Wagen für Luxus steht.

Gegenwart und Zukunft in einem Werk

Das westliche Tor der Fabrik ziert hingegen ein Schriftzug, der für den klassischen Motorenbau in Baden-Württemberg steht: Getriebewerk Hedelfingen prangt in großen Buchstaben über der Pforte. Im Moment lässt der Autobauer Gegenwart und Zukunft in seinem Werk, das zum so traditionsreichen Standort Stuttgart-Untertürkheim gehört, noch parallel laufen: Wo Mercedes seit mehr als 100 Jahren Diesel- und Benzinmotoren baut, entstehen in einem Teil der Fabrik Getriebe, während in anderen Gebäuden rund 300 Arbeiter Energiesysteme montieren, die die Autos mit dem Stern in Zukunft ohne Verbrenner antreiben sollen.

An der Produktionslinie der Zukunft prüft Propp mit einem Messgerät die Elektroniken, die den elektrischen Strom der Batterien später regeln sollen. Hinter ihm legen Roboter die ankommenden Module in das Unterteil des Gehäuses. Sowohl die Blechschale als auch das Äußere der Modulkästen haben andere Roboter zuvor genau vermessen, damit die Lücken zwischen Inhalt und Gehäuse vollständig mit Wärmeleitpaste gefüllt werden kann, um die Hitze abzuleiten.

Während Propp Elektroniken für den Einbau fertig macht, beobachtet Markus Trausch , der für die Batteriefabrik Hedelfingen verantwortliche Produktionsmeister, wie die Roboter „die Gehirne der Großbatterien“ aufnehmen und montieren. „Unsere Produktion ist geprägt von einer Mischung aus Mensch und Maschine, ich bin sehr froh, dass das so ist, das sichert Arbeitsplätze im Neckartal“, sagt der 39-Jährige.

Denn klar ist: Die Autoindustrie steht vor einer mehr als grundlegenden Transformation. Der Wechsel von Verbrennungsmotoren hin zu Elektroantrieben verlangt nicht nur völlig andere Fertigkeiten bei den Werkern, sondern die Arbeit wird auch insgesamt weniger, weil ein Elektroauto aus weniger Teilen besteht, als ein Wagen mit konventionellem Antrieb.

Die alte Welt kennt Trausch gut. 1999 hat er bei dem baden-württembergischen Traditionskonzern, der damals noch Daimler-Chrysler hieß, eine klassische Metallausbildung gemacht – und fast 20 Jahre im Motorenbau gearbeitet. Von Pleuel, Zylinderkopf und Kurbelwelle ist der Stuttgarter zu Hochvoltkursen, Widerständen und Batteriezellen gewechselt. „Ich habe mich ganz bewusst auf die neue Stelle beworben, ich wollte mich einfach persönlich weiterentwickeln“, sagt Trausch. „Vielleicht kann ich, wenn ich irgendwann einmal in Rente gehe und in Untertürkheim keine Verbrenner mehr vom Band laufen, meinen Enkeln erzählen, dass ich von Anfang an dabei war, als Mercedes im Neckartal die Elektromobilität eingeführt hat“, erzählt er.

Bei den ersten Planungen dabei

Trausch hat die Batteriefabrik in Hedelfingen mit aufgebaut, er gehörte zu den Mitarbeitern, die bei den ersten Planungen dabei waren. Auch wenn die Hallen noch zu 90 Prozent von der Getriebeproduktion besetzt sind, ist das Werk wegen der neuen Technologien für Mercedes ein wichtiger Innovationsträger. Hedelfingen gehört neben den deutschen Standorten Kamenz und Brühl und den ausländischen Standorten Bangkok (Thailand), Peking (China), Jawor (Polen) und Tuscaloosa (USA) zu einem Netzwerk von sieben Fabriken, in denen der Autobauer Zellen zu Batterien montiert.

„Die lokale Fertigung von hocheffizienten Batteriesystemen spielt eine zentrale Rolle in der Mercedes-Benz-Strategie“, sagt der für die Lieferkette verantwortliche Mercedes-Vorstand Jörg Burzer der „Schwäbischen Zeitung“. „Mit Blick auf die stetig steigende Nachfrage und entsprechend unserer Produktionsplanung stellen wir den globalen Batterie-Produktionsverbund weltweit flexibel auf. Wir produzieren in unseren Fabriken auf drei Kontinenten Batteriesysteme und sind damit sehr gut für unsere Transformation zu ,electric only’ aufgestellt.“

Noch ist Mercedes bei der Batterieproduktion auf Zulieferer angewiesen, denn die Zellen stellt der Autobauer nicht selbst her, sondern er muss sie vor allem in Asien einkaufen. Das Unternehmen plant nach eigenen Angaben aber den Aufbau von acht Gigafabriken zur Zellproduktion. Insgesamt will Mercedes bis 2030 rund 40 Milliarden in die Elektromobilität investieren, bis 2025 soll die Hälfte aller verkauften Neufahrzeug elektrisch fahren. Die zwei Modelle EQS und EQE, für die in Hedelfingen die Batterien entstehen, sind die ersten Autos, die auf einer ausschließlich für Elektrowagen entwickelten Plattform gebaut werden.

Fahrerlose Transportsysteme tragen die bis zu 800 Kilogramm schweren Batterien hin und her

Zwischen den Produktionslinien in Hedelfingen markieren schwarze Linien auf dem Fußboden die Fahrbahnen für die sogenannten fahrerlosen Transportsysteme. Diese rechnergesteuerten und von einem Magnetband geleiteten Wagen bringen die am Ende bis zu 800 Kilogramm schweren Batterien von einer Arbeitsstation zur anderen – vollautomatisch und fast lautlos.

Vladimir Propp ist für die Qualitätssicherung zuständig, er prüft, ob an allen Stationen die Schrauben sitzen, die Abstände stimmen und die Messwerte zu den Anforderungen passen. Propp kommt wie sein Chef Trausch aus dem klassischen Motorenbau, auch da war er in der Montage für die Qualitätskontrolle zuständig. „Eigentlich ist es das Gleiche, nur dass wir keine Motoren bauen, sondern Batterien“, sagt der 39-Jährige. 2019 hat er sich aus dem Motorenbau auf die neue Stelle im Werk Hedelfingen beworben – und wenn er auf die vergangenen drei Jahre blickt, hat er das Gefühl, noch einmal eine ganz neue Ausbildung gemacht zu haben. Kurse für Hochvolttechnik, andere Sicherheitsanforderungen, neue Werkzeuge.

Transformation als Chance?

„Natürlich mag nicht jeder Umstellungen, nicht jeder hat sich beworben“, sagt Propp, der im Alter von acht Jahren nach Baden-Württemberg kam und in Renningen aufgewachsen ist. Er selbst verstehe die Transformation in der Automobilindustrie aber als Chance. „Manchmal kann man das Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich wollte nicht wie ein Blatt im Wind sein und zusehen, wo es mich hintreibt“, erzählt Propp weiter, um im nächsten Satz sogar ein wenig pathetisch zu werden. „Ich bin jeden Tag stolz, dass ich dabei bin“, sagt Propp.

Doch Propps Stolz gründet sich nicht in erster Linie auf die Tatsache, dass er an vorderster Front die elektromobile Wende mitgestaltet, sein Stolz beruht auf der Geschichte, auf dem Ruf seines Arbeitgebers. Vladimir Propp arbeitet schließlich nicht irgendwo, er arbeitet „beim Daimler “, auch wenn der Autobauer schon seit einigen Monaten nicht mehr so heißt. „Der Daimler ist für mich nicht nur ein Auto, sondern der Daimler bedeutet Sicherheit, sichere Arbeitsplätze und Wohlstand in der Region.“

Nach der Schule hatte Propp, der immer schon in seiner Werkstatt an Autos geschraubt hatte, mehrere Angebote für eine Lehre – was er aber wollte, war klar: Ein Arbeitshemd, auf dem neben seinem Namen der berühmte Stern prangt, eben genau so eines, wie er es nun in der Batteriefabrik Hedelfingen trägt.

Ganz am Ende der Produktionslinie bekommen auch die von Propp und seinen Kollegen gebauten Batterien einen Stern – in Form eines Aufklebers: Das Siegel steht am Ende einer allerletzten Kontrolle, die sicherstellen soll, dass die in Hedelfingen hergestellten Energiespeicher die elektrische S-Klasse von Mercedes wirklich bis zu 780 Kilometer weit bringen.