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Strippenzieher

Strippenzieher Giorgio Behr wird 66

Wirtschaft / Lesedauer: 3 min

Der Aufsichtsratsvorsitzende hält ZF-Chef Sommer den Rücken frei
Veröffentlicht:17.09.2014, 14:36

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Im Handball gilt der Kempa-Trick als technisch anspruchsvoll: Der Ball wird auf einen in Richtung Tor springenden Spieler gepasst, der ihn in der Luft fängt und sofort auf das Tor wirft, bevor seine Füße wieder den Boden berühren. Die Aktion, ein Highlight für Zuschauer, erfordert hervorragende Sprungkraft. Der Kempa-Trick funktioniert nur, wenn die Spieler individuell gut und aufeinander abgestimmt sind.

Der Handball-Fan Giorgio Behr beherrscht diesen Trick als Investor und Unternehmer. Der Vater von vier Kindern hat ein Vermögen damit verdient, seit den frühen 1970er-Jahren individuelle Stärken von Schweizer Unternehmen zu erkennen, die offensichtlich niemand anders sah; diese Firmen dann entweder zu sanieren, oder Geschäftsbereiche herauszulösen.

Er hat sich mit den Gewinnen aus diesen Transaktionen bei profitablen Firmen eingekauft. Am Anfang seiner Transaktionen standen meist Rettungsaktionen oder Aktienzukäufe, die auch mal als unfreundliche Übernahmeversuche endeten. Detaillierte Bilanz-Analyse und unternehmerische Vision, gepaart mit Überraschungsmoment und Sportsgeist, werden Behr nachgesagt. Sein Handeln verschaffte ihm viele Freunde, etliche Neider und nicht wenige Kritiker. Behr ist Aufsichtsratsvorsitzender des Zulieferers ZF Friedrichshafen. Er unterstützt Konzernchef Stefan Sommer bei dessen Entscheidung, den US-Zulieferer TRW für 9,5 Milliarden Euro zu übernehmen. Einige Leute, die mit ZF bestens vertraut sind, behaupten, dass Sommer diesen Plan allein mit seinem Chefkontrolleur und dem Friedrichshafener Oberbürgermeister Andreas Brand entwickelt habe. Doch wer ist dieser Giorgio Behr, der in Friedrichshafen bisher nur diskret in Erscheinung getreten ist?

Mit einer geschätzten halben Milliarde Franken ist Behr der reichste Bürger Schaffhausens. Begonnen hat er bei Null. Begleitet hat ihn stets der Handball – zunächst dribbelnd auf dem Spielfeld, dann als Mäzen. Geprägt hat ihn der Wille, der Beste zu sein. Profitiert hat er in seiner Laufbahn von den Erfahrungen der 1980er-Jahre, als sich die Schweizer Wirtschaft von der Produktions- in die Dienstleistungsgesellschaft wandelte. Aus diesem Lebensabschnitt, als der Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer Firmen umstrukturierte und vor dem Konkurs zu retten versuchte, stammen die wichtigsten seiner geschäftlichen Kontakte – und seine Vorliebe für Zahlen.

Fragt man in der Schweiz nach einer Rechnungslegungs-Koryphäe, fällt sein Name: Er definierte für das Land offizielle Standards und handelte sie mit internationalen Partnern aus. Parallel zu seinem Engagement in der Wirtschaft teilte Behr 15 Jahre lang sein Wissen als Professor für Betriebswirtschaftslehre. „Er war an unserer Universität ein äußerst engagierter akademischer Lehrer. Seine Lehre war im Sinne unseres Leitbildes geprägt durch eine enge Verbindung von Praxis und Theorie“, sagt Thomas Bieger, Rektor der Universität St. Gallen, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Noch heute sei er der Einrichtung eng verbunden. Giorgio Behr ist Mitglied der Programmkommission von Avenir Suisse, einer Stiftung für die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklung der Schweiz. „Er ist ein scharfer analytischer Denker mit einer unglaublich schnellen Auffassungsgabe“, erläutert Gerhard Schwarz, der Direktor von Avenir Suisse. Behr wird große Offenheit nachgesagt; Umwege seien seine Sache nicht. „Wer nur etwas länger mit ihm zu tun hat, weiß, dass die Direktheit nicht Ausdruck von Schroffheit ist, sondern dass Giorgio Behr ein sowohl feinfühlender als auch enorm großzügiger Mensch ist.“

Der Schaffhauser ist über eine gemeinnützige Stiftung Hauptgeldgeber des größten Handball-Trainingszentrums der Schweiz, und Namensgeber der „BBC Arena“. Der Gebäudekomplex ist gleichzeitig Heimat der „Kadetten“, „seinem“ Handballverein, der als Rekordhalter im Schweizer Cup und im Super Cup gilt. „BBC“ steht für die „Behr Bircher Cellpack AG“. In diesem Unternehmen vereint Behr seine eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten.

Am heutigen Donnerstag wird Giorgio Behr 66 Jahre alt. Drei Tage vor seinem Geburtstag hat ZF die Übernahme von TRW verkündet. Es scheint, als plane Behr seinen nächsten Kempa-Trick.