Der Bär in all seinen Formen und Ausprägungen ist das mit Abstand meist verkaufte Tier des Spielzeugherstellers Steiff. Egal ob groß oder klein, ob Plüsch oder Webpelz. So verschieden und speziell wie die Bären sind auch die Sammler derselben, sagt jedenfalls Manon Motulsky. Die Spielzeughändlerin leitet die Steiff-Galerie im hessischen Wiesbaden und hat früher, immer wenn sie einen der limitierten Bären mit dem Knopf im Ohr verkauft hat, als nette Dreingabe ein Päckchen mit Gummibären, natürlich ebenfalls mit Steiff-Logo, mit in den Karton gegeben. Als „kleine Wegzehrung“, wie sie erzählt. Bis eines Tages ein Kunde in schroffem Ton fragte, was sie denn da mache. „Ein paar Gummibärchen als Proviant mitgeben“, lautete wie immer Motulskys Antwort. „Nehmen Sie die sofort wieder raus“, forderte der Kunde empört: „Mein Bär frisst nicht seinesgleichen!“ „Seitdem mache ich das nicht mehr“, sagt Matulsky. Es ist nicht die einzige Geschichte über leidenschaftliche Steiff-Fans, die Matulsky zu erzählen weiß. Denn sie verkauft die Stofftiere der schwäbischen Firma nicht nur, sondern ihre Galerie wird auch regelmäßig zum Treffpunkt für Sammler – wenn beispielsweise Steiff-Vertreter die Neuheiten des Jahres vorstellen.
„Der Sammlermarkt macht 25 Prozent des Umsatzes aus“, erklärt Peter Hotz. Der Ur-Ur-Großneffe der Unternehmensgründerin Margarete Steiff führt die Geschäfte der Steiff-Beteiligungsgesellschaft und ist selbst Gesellschafter des Familienunternehmens. Und bestens mit demselben vertraut: Schließlich „bin ich hier in Giengen aufgewachsen, direkt an der Firma“, wie er erzählt. Seit Freitag kann sich Hotz wieder voll auf seine Gesellschafteraufgaben konzentrieren, denn am Freitag stellte er den neuen Chef für sein Unternehmen vor: Der frühere Manager des Warburger Chemie-Unternehmens Brauns-Heitmann und der Deutschland-Gesellschaft des US-Spielekonzerns Hasbor Dirk Petermann leitet künftig die Geschicke des Giengener Plüschtierherstellers. „Mit seinen Erfahrungen aus internationalen Konzernstrukturen und dem Mittelstand, kombiniert mit seinem Know-how in der Spielwaren-, Entertainment- und Home-Deko-Branche und seiner Kompetenz im Führen von interkulturellen Teams hat Dirk Petermann eine beeindruckende Historie“, sagt Hotz, der die Steiff-Geschäftsführung nach dem Ausscheiden von Petermann-Vorgänger Daniel Barth im April kommissarisch übernommen hatte.
„Für mich ist es eine Rückkehr in die geliebte Spielzeugbranche und zu einer Topmarke mit Tradition, zu der ich seit meiner Kindheit einen engen Bezug habe“, sagte Petermann der „Schwäbischen Zeitung“. Der künftige Steiff-Chef freue sich darauf, die Transformation des Geschäfts fortzusetzen und die enormen Potenziale der Marke im In- und Ausland voll auszuschöpfen. Zur Transformation gehört unter anderem die bereits beschlossene Rückführung des Bereichs Fashion in das Unternehmen Margarete Steiff mit Sitz in Giengen , das gemeinsam mit der Steiff Schulte Webpelzmanufaktur in Duisburg und der Alligator Ventilfabrik in Giengen die Steiff-Gruppe bilden.
Seit mehr als zehn Jahren gibt es Kinder- und Babykleidung mit dem Steiff-typischen Teddy-Logo, bisher allerdings in Lizenz vergeben an die Kids Fashion Group (KFG). Das Geschäft mit Kindermode sei sehr erfolgreich, „deswegen machen wir es jetzt selber“, sagt Hotz, „heißt ab nächstem Jahr gibt es eigene Kollektionen von Steiff, die wir selbstständig designen, entwickeln, produzieren und vertreiben.“ Wie erfolgreich das Bekleidungsgeschäft ist, zeigt ein Blick in die Zahlen von KFG. Das Unternehmen, das von Josef Kanz 1949 in Neufra im Kreis Sigmaringen gegründet wurde und 2011 den Hauptsitz nach Stuttgart verlegt hat, ist nach eigenen Angaben deutscher Marktführer im Bereich der Kindermode und hat 2017 allein mit Steiff Kidswear 16,3 Millionen Euro umgesetzt, im Jahr davor waren es 15,8 Millionen Euro. Bislang macht der Bereich Fashion im Unternehmenssegment Margarete Steiff laut Hotz knapp zehn Prozent des Umsatzes aus und soll „stark wachsend sein“, wenn anstelle der Lizenzvergabe die komplette Wertschöpfung im Unternehmen angesiedelt ist. Die anderen Bereiche bei Margarete Steiff sind Produkte für Kinder mit rund 50 Prozent Anteil am Umsatz, Produkte für Babys mit rund 15 Prozent und – wie anfangs erwähnt – Produkte für Sammler mit rund 25 Prozent.
Mit 1800 Mitarbeitern hat die Firmengruppe Steiff 2017 einen Umsatz von 106 Millionen Euro gemacht. Der sei im Vergleich zum Vorjahr „konstant“ geblieben, sagt Hotz, der ferner zwar bejaht, dass die Gruppe Gewinn macht, aber – für den Chef eines Familienunternehmens typisch – in dieser Sache „nicht detaillierter“ wird. Wachstum – neben Kindermode – ist für Steiff fast ausschließlich im Ausland möglich, der Umsatzanteil beläuft sich derzeit auf 44 Prozent. In Deutschland habe die Marke einen Bekanntheitsgrad von 95 Prozent, so Hotz. Die Herausforderung im Heimatmarkt sei deshalb das Halten und Verteidigen des Marktanteils – beispielsweise gegen Produkte aus China. Im Zuge der Internationalisierung von Steiff soll auch der asiatische Markt weiter erschlossen werden. Der mache derzeit zehn Prozent des Umsatzes aus, „da ist Potenzial da“, ist sich Hotz sicher. Außerdem sei zum Beispiel Japan ein sehr starker Sammlermarkt – genau wie England.
Aber im Gegensatz zu Geschäften mit Kuscheltieren für Kinder beziehungsweise für die Zielgruppe junge Mütter und die sehr lukrative Zielgruppe der Schenkenden wie Eltern, Großeltern, Onkels und Tanten hat Steiff bei den Sammlern „in der Vergangenheit Fehler gemacht“, wie die Teddyhändlerin Manon Motulsky sagt. Als Steiff anfing, limitierte Bären anzubieten, „ist der Markt geradezu explodiert“, erinnert sie sich, „die Limitierungen wurden unter der Ladentheke gehandelt.“ Das sei eine sehr spannende Zeit gewesen, „ein richtiges Jagen“. Denn „die Preisanstiege waren extrem. Man wusste, egal was man kauft, es wird im Preis steigen“, erzählt Motulsky. So gut wie dieses Geschäft lief, stellte Steiff dann mehr her – sowohl mehr limitierte Stofftiere im Jahr als auch größere Stückzahlen davon. Mit dem Effekt, dass den Sammlern, wie auch Motulsky eine ist, zum einen das bisherige Budget zu knapp wurde, um alle Neuigkeiten zu erwerben, und zum anderen der Platz nicht reichte, um alle Neuerwerbungen angemessen unterzubringen. Denn bei passionierten Steiff-Sammlern „haben die Tiere ihr eigenes Zimmer“, erläutert Motulsky. Deshalb waren viele Sammler gezwungen, sich zu spezialisieren – auf Teddys, auf andere Tiere oder auf Steiff-Produkte einer bestimmten Zeit. Zudem wurden die Sammler im Schnitt immer älter, weil für eine jüngere Klientel die entsprechend attraktiven Produkte fehlten.
Margarete Steiffs Geist lebt
„Der Sammlermarkt war rückläufig“, bestätigt Hotz diese Entwicklung, aber „wir sehen jetzt wieder einen positiven Trend in unterschiedlichen Bereichen und Ländern.“ Geschafft habe Steiff die Wende durch Lizenzen und Kooperationen, erklärt Motulsky. Dadurch habe das Unternehmen wieder mehr Sammler gewonnen und auch vermehrt Aufmerksamkeit bei jüngeren Sammlern erregt – wie etwa mit Plüschversionen von Roadrunner von Zeichentrickproduzent Warner Brothers, von Demiguise und Hedwig aus Harry Potter oder von diversen Disney-Charakteren. Teddys wie der Karl-Lagerfeld-Bär für 1000 Euro verkaufte allein Motulsky so um die 40-mal, „heute bekommen sie keinen davon unter 2500 Euro – und nein, ich habe keinen behalten“, sagt sie ohne Bedauern, schließlich sei sie ja auch Händlerin. Inzwischen gebe es zudem länderspezifische Modelle, die in Deutschland gar nicht oder nur schwer zu bekommen sind – „jetzt ist es wieder ein Jagen“, sagt Motulsky.
Die Faszination Manon Motulskys für die Tiere mit dem Knopf im Ohr rührt von der Gründerin her. Margarete Steiff habe für sie als Frau eine große Vorbildfunktion. „Was sie geschafft hat, trotz ihrer Kinderlähmung und trotz des nicht vorhandenen Stellenwerts von Frauen zu der Zeit, das finde ich unglaublich“, sagt Motulsky. Vor allem aber begeistert die Händlerin, dass das schwäbische Unternehmen bis heute vom Geist der Margarete Steiff beseelt ist.
Margarete Steiff – Mutter des nach einem US-Präsidenten benannten Bären
Margarete Appolonia Steiff wird am 24. Juli 1847 als drittes von vier Kindern im schwäbischen Giengen geboren. Im Alter von eineinhalb Jahren erkrankt sie an Kinderlähmung und sitzt fortan im Rollstuhl. Sie erkämpft sich ihren Platz im Leben, setzt sich bei den Eltern durch und darf eine Nähschule besuchen. Die rechte Hand schmerzt bei der Arbeit, weshalb sie die Nähmaschine umdreht und Stoff umständlich, aber erfolgreich von der Rückseite bearbeitet. Mit 17 Jahren ist sie ausgebildete Schneiderin und arbeitet zunächst in der Damenschneiderei ihrer beiden älteren Schwestern, dann, als die beiden Giengen verlassen, macht sie alleine weiter – im Elternhaus, das ihr Vater für sie umgebaut hat. Neben selbst genähten Kleidungsstücken verkauft sie Nadelkissen. Zufällig findet sie ein Schnittmuster für einen Elefanten in einer Modezeitschrift und näht 1880 aus Spaß einen kleinen Stoffelefanten. Das Nadelkissen erfreut sich wachsender Beliebtheit bei Kindern als Spielzeug.
Ihr jüngerer Bruder Fritz verkauft die Elefanten zunächst auf dem Markt. 1885 verlassen 600 Elefanten die kleine Werkstatt, ein Jahr später sind es schon mehr als 5000. Die Steiff Manufaktur wächst und erweitert ihr Angebot an Filztieren. 1890 baut Fritz seiner Schwester 1890 ein eigenes Wohn- und Geschäftshaus: die Filz-Spielwaren-Fabrik. Margarete Steiff ist nun zwar eine unabhängige und erfolgreiche Unternehmerin, aber kinderlos. Ihre Zuneigung gilt den fünf Kindern ihres Bruders, ihren Neffen Richard, Paul, Franz, Hugo und Otto Steiff, die sie nach und nach alle einstellt, weil die Firma stetig wächst.
Besonders gut versteht sie sich mit ihrem Neffen Richard und bildet ihn in allen Bereichen aus: Nähen, Entwerfen, Zuschnitt Zeichnen und Büroarbeit. Er besucht die Kunstgewerbeschule in Stuttgart und studiert in England. Damit wird Richard Steiff zum kreativen Vordenker der Manufaktur. Nach einem Besuch in einem Stuttgarter Tiergarten 1902 kommt er auf die Idee, einen neuartigen Bären zu produzieren. Margarete Steiff war zwar nicht begeistert, lässt Richard den Bären aber auf der Leipziger Spielwarenmesse präsentieren. Wenig romantisch heißt er „Bär 55 PB“ – bedeutet 55 Zentimeter groß, Plüsch und beweglich. Doch der weltweit erste Plüschbär mit beweglichen Gliedmaßen – so geht eine Version der Geschichte – interessiert niemanden auf der Messe. Bis zum letzten Tag, als ein amerikanischer Kaufmann 3000 Exemplare bestellt. Der Bär findet in den USA reißenden Absatz und erhält dort 1906 auch seinen Namen: Teddybär.
Der US-Präsident Theodore „Teddy“ Roosevelt war ein paar Jahre zuvor auf Bärenjagd. Weil ihm keiner vor die Flinte kam, fingen seine Begleiter ein Jungtier und banden es an einen Baum, damit Roosevelt ihn erschießen sollte. Doch der weigerte sich, ein wehrloses Tier zu töten. Daraufhin berichtete die Zeitung „Washington Post“ über die erfolglose Bärenjagd samt einer Karikatur von Clifford Berryman, die zeigte, wie Roosevelt den Bären verschonte, und ihm den Spitznamen Teddy einbrachte, der sich weiter auf Spielwarenbären überträgt.
Am 9. Mai 1909 stirbt Margarete Steiff an den Folgen einer Lungenentzündung. Ihre Neffen übernehmen das Unternehmen, das zwei Weltkriege überstehen muss. Nach dem Ersten Weltkrieg sind es Stoffhunde, die die Geschäfte wieder ankurbeln, nach dem Zweiten Weltkrieg ist es der Igel „Mecki“, der in den 1950er-Jahren als Maskottchen der Fernsehzeitschrift „Hörzu“ bekannt wird. Heute produziert Steiff im Jahr mehr als 1,5 Millionen Plüschtiere und bringt 300 neue Modelle und Modellvarianten weltweit auf den Markt.