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Schienensanierung

Schienensanierung: Die Bahn kommt – später

Berlin / Lesedauer: 4 min

Unternehmen saniert wichtige ICE-Strecken – Stuttgart-Mannheim 2020 zeitweise gesperrt
Veröffentlicht:01.10.2018, 19:32

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Die Kette schlechter Nachrichten für Bahnreisende reißt nicht ab. Von Juni 2019 an müssen sie sich auf deutlich längere Fahrzeiten auf der Strecke zwischen Hannover und Würzburg einstellen. Von April 2020 an wird auch auf der Verbindung Mannheim-Stuttgart gebaut. Beide ICE-Strecken sind laut Bahn sanierungsbedürftig. Damit sind Sperrungen von Teilabschnitten verbunden. „Nach fast 30 Jahren auf den Hauptmagistralen werden hunderte Kilometer Schienen, Weichen und Technik runderneuert“, teilte die Bahn mit, „wir investieren und modernisieren für schnelle und verlässliche Mobilität.“ Insgesamt gibt das Unternehmen rund 825 Millionen Euro aus.

Während der Bauzeit müssen Züge umgeleitet werden. Dies wirkt sich weit über die betroffenen Trassen hinaus aus. So wird sich die Fahrt zwischen Hamburg und Frankfurt oder Berlin und Frankfurt um 30 bis 45 Minuten verlängern. Außerdem sind auf beiden Linien dann weniger Züge unterwegs. Die Waggons werden also noch voller aus üblich sein.

Los geht es am 11. Juni 2019 mit dem Teilstück Hannover-Göttingen, das im Dezember 2019 fertig sein soll. Der weitere Verlauf bis Kassel wird von April bis Juli 2021 modernisiert. In den beiden folgenden Jahren gehen die Arbeiten dann weiter bis Würzburg und Fulda. „Allein auf dieser Strecke erneuert die Bahn insgesamt 532 Kilometer Gleise und 224 Weichen,“ erläutert das Unternehmen. 800 000 Schwellen werden ausgetauscht, 500 000 Tonnen Schotter darunter verteilt. Rund 640 Millionen Euro kostet alleine dieses Vorhaben.

Das zweite Großprojekt ist die Sanierung zwischen Mannheim und Stuttgart, die 2020 beginnt. 205 Tage lang, vom 10. April bis zum 31. Oktober, wird die Trasse vollständig gesperrt. Hier steht der Austausch von 190 Kilometern Schienen und 54 Weichen an. Zusammen mit 315 000 Betonschwellen und 200 000 Tonnen Schotter kostet die Erneuerung 185 Millionen Euro.

Der Fahrgastverband Pro-Bahn ist skeptisch, ob es bei den vergleichsweise erträglichen Einschränkungen für die Fahrgäste bleibt. Denn auch der Nahverkehr wird nach Einschätzung des Vereins betroffen sein. Die Fernzüge werden demnach auch über Nahverkehrsstrecken umgeleitet. Dort könnten Verbindungen ausfallen. „Wenn ein halbes Jahr lang Schienenersatzverkehr angeboten wird, ist das für die Kunden nicht akzeptabel“, sagt Pro-Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann . Im Südharz sollen seiner Kenntnis nach zum Beispiel Züge durch Busse ersetzt werden.

Zur Skepsis des Fahrgastverbands tragen auch Erfahrungen der Vergangenheit bei. „Bei vielen Baustellen wird eher chaotisch geplant“, stellt Naumann fest. Kernpunkt seiner Kritik sind nicht die verlängerten Reisezeiten. Vielmehr stört ihn die häufig unzuverlässige Kommunikation von Fahrplanänderungen. Oft könne die Bahn Ersatzfahrpläne nicht einhalten. „Wir erwarten, dass die Bahn einen Fahrplan macht, der auch fahrbar ist“, sagt Naumann.

Am Ende der Bauzeit werden die beiden Magistralen trotz des hohen Aufwands nicht über den modernsten Stand der Technik verfügen. Denn es wird nur die Basis für die spätere Digitalisierung der Trassen gelegt. „Wir schaffen die idealen Voraussetzungen für eine Ausrüstung mit ETCS“, sagt eine Bahn-Sprecherin. Dieses automatische Zugsteuerungssystem (European Train Control System) soll die Kapazitäten auf den damit ausgestatteten Strecken um bis zu 20 Prozent erhöhen, weil die Züge in kürzeren Abständen fahren können.

Doch die gleichzeitige Digitalisierung der Strecken mit ECTS ist nicht vorgesehen. Eine Bahn-Sprecherin begründet dies mit den langen Planungsvorläufen. Auch ist die Finanzierung der Digitalstrategie der Bahn noch ungeklärt. Die Magistralen bleiben also auch nach der Sanierung zunächst noch Engpässe im Trassennetz. Zwischen Mannheim und Stuttgart sind beispielsweise täglich 185 Fernzüge und 24 Güterzüge unterwegs. Naumann sieht in der Politik die Verantwortung für den erst späteren Ausbau von ETCS. Die Bundesregierung bezahle nur die Infrastruktur an der Strecke, erläutert Naumann. Für die automatische Zugsteuerung müssen jedoch auch die Triebwagen aufgerüstet werden.

Die Bahn will Inhaber von Zeitkarten und der Bahncard 100, die zu Fahrten auf dem gesamten Netz berechtigt, finanziell entschädigen. In welchem Umfang das geschieht, steht noch nicht fest, wie der Sprecher sagte. Die längere Reisezeit solle den Kunden mit „besonderen kleinen Aufmerksamkeiten“ versüßt werden.

Auch das leidige Thema Verspätungen wird die Bahnkunden wohl weiter begleiten. Zeitgleich gibt es bei der Bahn seit Jahren bis zu 800 Baustellen. Das ist einer der Gründe für die miserable Pünktlichkeitsquote, die derzeit weit von der Zielsetzung entfernt liegt. Eigentlich sollen 82 Prozent der Züge zeitgerecht am Ziel eintreffen. Bis Ende August waren es in diesem Jahr nicht einmal 76 Prozent. Immerhin sagt die Bahn eine umfassende Information der Reisenden während der Großsanierung zu. Auch sollen noch nicht benannte Annehmlichkeiten bei den betroffenen Fahrgästen für Verständnis für die längere Reisezeit sorgen.