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Korruptionsaffäre

Industriekapitän Gerhard Cromme wird 75

München / Lesedauer: 4 min

Lange Jahre saß Gerhard Cromme an den Schaltstellen der deutschen Wirtschaft. Zu seinem 75. Geburtstag nimmt der erfahrene Firmenlenker jetzt die ganz jungen Unternehmen in den Blick.
Veröffentlicht:23.02.2018, 19:11

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Gerhard Cromme steht für die einstige „ Deutschland AG “ wie kaum ein anderer ehemaliger Top-Manager. In seiner Laufbahn hat er die Geschicke vieler großer Unternehmen mitgeprägt. Erst vor wenigen Wochen übergab der Industriekapitän das Steuer im Siemens-Aufsichtsrat und damit den letzten großen Kontrolleursposten an seinen Nachfolger, den früheren SAP-Co-Chef Jim Hagemann Snabe, ab. Es sei ein Abschied ohne Wehmut, denn er habe „noch viel vor“, sagte Cromme am Rande des Aktionärstreffens zu Journalisten. Mit seinen Erfahrungen will er jetzt einem Start-up-Unternehmen zur Seite stehen. Heute, am 25. Februar, wird Cromme 75 Jahre alt.

Zum Abschied bei Siemens bekam der hochgewachsene Ex-Manager freundliche Worte der Anleger. „Er hinterlässt ein wohlbestelltes Haus“, lobte etwa Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Cromme hatte den Aufsichtsratsvorsitz im April 2007 übernommen, auf dem Höhepunkt des milliardenschweren Schmiergeldskandals bei Siemens. Nach dem Auffliegen schwarzer Kassen und dubioser Zahlungen in vielen Ländern stand der Elektrokonzern damals nah am Abgrund – vor allem, weil der Ausschluss von Staatsaufträgen in den USA drohte.

Cromme half maßgeblich, diese Gefahren abzuwenden und wieder Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Der promovierte Jurist holte den Österreicher Peter Löscher als unbelasteten Mann von außen an die Konzernspitze und trieb mit ihm die Aufklärung voran. „Siemens hat Ihnen viel zu verdanken, Ihr Mut zu unbequemen Entscheidungen hat sich ausgezahlt und dem Unternehmen nach der Korruptionsaffäre einen Neustart ermöglicht“, sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment Cromme. Und schob hinterher: „Einen solchen Aufsichtsratsvorsitzenden hätte man VW in der Dieselaffäre gewünscht.“

Doch nicht immer gab es so viele warme Worte für Cromme. Als Löscher nach einer Serie von Misserfolgen und einem Machtkampf im Aufsichtsrat im Sommer 2013 seinen Posten räumte und später eine Millionen-Abfindung kassierte, brachte das auch dem Chefkontrolleur viel Kritik. Inzwischen ist vom damaligen Führungschaos bei Siemens keine Rede mehr, Konzernchef Joe Kaeser hat die Zügel fest in den Händen.

Lob auch von Arbeitnehmern

Für die Arbeitnehmervertreter im Siemens-Aufsichtsrat war Cromme ein „Mitbestimmungskapitän“, der stets auf Augenhöhe mit den Arbeitnehmervertretern sprach und die deutsche Mitbestimmung bei Siemens mit Leben gefüllt habe, wie der Siemens-Aufsichtsrat und IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner sagte. Jetzt erwarte man neue Impulse und eine Intensivierung des Aufsichtsratsgeschäfts bei dem Elektrokonzern.

Im Laufe seines Berufslebens lenkte Cromme die Geschicke weiterer wichtiger Unternehmen, auch aus der früheren „Deutschland AG“, einem Netzwerk von Unternehmen, die sich mit Verflechtungen etwa vor ausländischen Übernahmen schützten. So arbeitete Cromme neben dem Posten bei Siemens als Multi-Aufsichtsrat bei Allianz, Thyssenkrupp, Lufthansa sowie Eon und Hochtief. Auch war er Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die Grundsätze zur guten Unternehmensführung erarbeitete.

Vor fünf Jahren hatte sich Cromme schließlich beim Essener Industriekonzern Thyssenkrupp verabschiedet. Nach zwölf Jahren an der Aufsichtsratsspitze zog sich der Manager damals überraschend aus allen Ämtern zurück. Zuvor war ihm immer wieder vorgeworfen worden, für Fehlentwicklungen wie das Milliarden-Debakel mit Stahlwerken in Brasilien und den USA mitverantwortlich zu sein, die den Ruhrkonzern in eine existenzbedrohende Krise gestürzt hatten.

Eine Mitschuld an dieser Krise wies Cromme in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ vor einiger Zeit zurück: „Ich sehe keine persönliche Verantwortung, aber als Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp konnte ich auch nicht sagen: „Ich habe damit nichts zu tun gehabt.“ Es war also völlig richtig, dass ich dort aufgehört habe.“

Stählerne Wurzeln

Begonnen hatte seine Karriere beim damaligen Krupp-Konzern zunächst als Chef der Stahlsparte. Schon kurz nach dem Amtsantritt musste er sich 1987 mit Eierwürfen und erbitterten Arbeiterprotesten beim Widerstand gegen die Schließung des Stahlwerks Duisburg-Rheinhausen auseinandersetzen. Später galt Cromme unter anderem als einer der Strippenzieher bei der Fusion von Thyssen und Krupp.

Nach den Aufgaben in Top-Unternehmen der deutschen Wirtschaft wendet sich Cromme nun der Start-up-Szene zu – als Aufsichtsratschef beim Gebrauchtwagenspezialisten Auto1, der kürzlich eine kräftige Finanzspritze aus Japan bekam. Mit diesem Plan habe er schon „eine gewisse Verwunderung ausgelöst“, räumte Cromme im „Handelsblatt“ ein: „Irgendwo habe ich gelesen, jetzt sei ich auf meine alten Tage beim Schrotthändler gelandet.“