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Ignorierte Frauen und verpestete Luft

Wirtschaft / Lesedauer: 3 min

Ökonomie im Aufbruch: Womit sich die Wissenschaftler derzeit befassen
Veröffentlicht:16.08.2014, 10:30

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Die Wirtschaftswissenschaften sind wieder streitlustig. Seit dem Ende des Kommunismus wurde nicht mehr so leidenschaftlich diskutiert über Ziele, Methoden und Inhalte der Ökonomie. „Ich denke, es ist gut, dass wir wieder mehr Dissens haben“, sagt der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Volker Wieland. Wir dokumentieren, welche Themen Ökonomen derzeit besonders umtreiben.

Die Idee, als Ausweg aus der Schuldenkrise eine Art Insolvenzrecht für Staaten einzurichten, wurde vor einem Jahrzehnt noch verspottet und als utopisch abgetan. Nur einzelne Lehrstühle befassten sich überhaupt mit Staatspleiten, und deren Forschung galt als weltfern. Zypern und Griechenland haben uns eines Besseren belehrt. Inzwischen beschäftigen sich viele Professoren mit Themen wie Staatsbankrott und Euro-Kollaps.

Unter den Trägern des Wirtschaftsnobelpreises ist nur eine einzige Frau. Die ganze Disziplin ist eher maskulin. Wer das bestreitet, sollte sich einmal näher mit dem Bruttoinlandsprodukt beschäftigen, der am häufigsten zitierten Wirtschaftskennzahl. Eine Größe, die Frauen in gewisser Weise ignoriert. Denn wirtschaftliche Aktivitäten, die nicht auf Märkten stattfinden – Hausarbeit und Kindererziehung – bleiben unberücksichtigt. Diese Arbeiten werden vorwiegend von Frauen ausgeübt. Der wahre Wert der Arbeit, die von Frauen geleistet wird, bleibt also unberücksichtigt. Feministische Forscherinnen wie Marilyn Waring sagen: „Wir Frauen sind wertvoll und wir alle – Milliarden von Frauen – müssen diesen Wert nach außen tragen.“ Die konventionelle Art zur Berechnung des Volkseinkommens sei „angewandtes Patriarchat“ – ein Versuch, Frauen auszuschließen.

Die wirtschaftliche Entwicklung seit der industriellen Revolution im 18.und 19. Jahrhundert ist ein Ergebnis des technologischen Fortschritts, befeuert durch Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas. Dieser Wohlstand aber verursacht Kosten: weil fossile Brennstoffe die Luft verschmutzen. Ökonomen entwickeln zurzeit Modelle, um die Folgen des Klimawandels zu untersuchen. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel ein komplexes Problem ist und dass er das Zeug hat, auf lange Sicht ernste Schäden zu verursachen. Der Frankfurter Ökonom Volker Wieland sagt: „Es gilt zu überlegen, wie der Staat dafür sorgen kann, dass die Kosten der Luftverschmutzung berücksichtigt werden. Emissionszertifikate bieten eine sehr gute Lösung. Damit begrenzt man den Schadstoffausstoß insgesamt. Wo und wie er begrenzt wird, das entscheidet der Markt. Der Staat setzt nur den Rahmen.“

Das Internet ist weder Mode noch temporäre Erscheinung. Wir sind Zeugen einer digitalen Revolution, die die Wirtschaft und Gesellschaft ebenso umwälzen wird wie einst Webstuhl, Dampfmaschine und elektrischer Strom. In letzter Zeit machen sich Ökonomen Gedanken über Technologiesprünge und die Folgen für die Wirtschaft. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit riesigen Datenmengen im Internet: „Das sind zentrale Fragen, bei denen nicht nur die Wirtschaftswissenschaften, sondern auch die Politik- und Gesellschaftswissenschaften gefordert sind“, sagt Marcel Tyrell von der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

Bis in die 1980er-Jahre wurde die Wirtschaftswissenschaft von der Vorstellung des rational-ökonomischen Menschen geleitet. Doch Menschen treffen auch dumme Entscheidungen. Sie handeln unvernünftig, um anderen Menschen zu schaden. Sie scheuen Risiken oder lassen sich manipulieren. Mit solchen Phänomenen befasst sich die Verhaltensökonomie. Sie hat die moderne Wirtschaftswissenschaft realistischer gemacht. Diese Richtung der Wissenschaft versucht, Ansätze aus der Psychologie, der Soziologie oder der Politikwissenschaft in die Ökonomik zu holen.