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Gemeinwohl-Orientierung bringt Unternehmen langfristig Vorteile

Wirtschaft / Lesedauer: 3 min

Initiative will ökologische und soziale Faktoren stärker bewerten - Impulse für neue Wirtschaftsordnung
Veröffentlicht:22.04.2016, 18:38

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Können Unternehmen so wirtschaften, dass sie selbst und zugleich auch das Gemeinwohl dabei profitieren? Der Outdoor-Ausrüster Vaude in Tettnang ist wohl das bekannteste der europaweit 350 Unternehmen, das diese Frage bejaht. Der Initiative, die sich für ein Umdenken in der Wirtschaft zugunsten des Gemeinwohls einsetzt, schließen sich neben immer mehr Firmen auch öffentliche Player wie die Stadt Stuttgart an. Sie erstellen Gemeinwohl-Bilanzen, die neben ökonomischen vor allem ökologische und soziale Faktoren statt ausschließlich Rendite und Umsatz bewerten.

Dass Aspekte wie ökologische Verantwortung oder soziale Gerechtigkeit in traditionellen Bilanzen ausgeblendet werden, kritisieren Unternehmer wie Vaude-Chefin Antje von Dewitz : „Die Gemeinwohl-Bilanz bewertet genau diese wichtigen ethischen Faktoren und damit die gesamte unternehmerische Verantwortung.“ Zielsetzung ist eine nachvollziehbare und ehrliche Einschätzung, wo sich ein Unternehmen im Hinblick auf das Gemeinwohl befindet.

„Ein Unternehmer, der sich mit der Idee der Gemeinwohl-Bilanz auseinandersetzen will, braucht eine halbe Stunde, um die Einstiegsfragen zu beantworten“, sagt Christian Felber , der als Entwickler des alternativen Wirtschaftssystems „Gemeinwohl-Ökonomie“ gilt. Der 43-jährige Österreicher nennt Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung sowie Transparenz als Grundpfeiler der Bilanz. Und wie kann man konkret einsteigen? Felber: „Der Unternehmer sollte sich fragen und vor allem ehrlich beantworten, ob seine Produkte sozial hergestellt werden, wie die Arbeitsbedingungen sind, ob das Einkommen seiner Mitarbeiter angemessen ist, wie sich das Produkt auf die Umwelt auswirkt, ob die Zulieferer weit entfernt oder nah angesiedelt sind und ob diese Zulieferer ihre Mitarbeiter angemessen behandeln.“ Beispielsweise wirken sich Produkte, die von Kindern hergestellt werden, negativ auf die Gemeinwohl-Bilanz aus.

Kein Vorteil in Euro und Cent

Dieter Hallerbach , Geschäftsführer der Überlinger Bodan GmbH, einem Großhandel für Naturkost mit 200 Mitarbeitern und 68 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr, hat mit der Gemeinwohl-Bilanz seit einigen Jahren Erfahrungen gesammelt, seit 2011 wird eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt: „Die Initiative bringt keinen Vorteil in Euro und Cent“, sagt er, „aber auf lange Sicht werden Verbraucher erkennen, dass wir im Sinne des Gemeinwohls unterwegs sind und dies honorieren.“ Auch im Umgang mit den bäuerlichen Betrieben, die Bodan beliefern, sei Transparenz, nach außen gelebt, wichtig.

Als für die Gemeinwohl-Bilanz im eigenen Unternehmen nach der Arbeitsplatzqualität gefragt wurde, stellte Hallerbach fest: „Von 100 möglichen Punkten erreichten wir nur 20.“ Heute freuen sich die Mitarbeiter über betrieblich gefördertes Gesundheitsmanagement, Ruheräume, Mittagstisch und andere Annehmlichkeiten: „Das geht weit über Standards im Groß- und Außenhandel hinaus“, weiß Hallerbach.

Insgesamt sind in der Gemeinwohl-Bilanz 1000 Punkte auf 17 Themenfeldern zu erreichen, berichtet Entwickler Christian Felber. Dass negative ökologische Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit minimiert werden sollen, würden wahrscheinlich 100 Prozent aller Unternehmer unterschreiben. 70 Punkte gibt es dafür. Auch der ethische Umgang mit Kunden (50 Punkte) ist konsensfähig. Doch wollen Unternehmer Verantwortung abgeben durch Wahl der Führungskräfte? Sollen Mitarbeiter bei Grundsatz- und Rahmenentscheidungen mitbestimmen? Dafür gäbe es 90 Punkte. Abzüge sind auch vorgesehen. Ein Beispiel: Firmen, die einen Betriebsrat verhindern, werden 150 Punkte abgezogen.

Die Gemeinwohl-Initiative, die seit fünf Jahren Kreise zieht, könnte teilnehmenden Unternehmen langfristig handfeste Vorteile bringen: Felber nennt „günstigere Kredite, mehr öffentliche Aufträge“. Doch dafür müsste die Wirtschaftsordnung Schritt für Schritt auf die Gemeinwohlökonomie umgestellt werden. Es geht auch schneller. Vaude-Chefin Antje von Dewitz ist sich sicher, dass ihre Kunden schon heute fragen, ob sich Unternehmen eher am Gemeinwohl oder am eigenen Vorteil orientieren: „Wir spüren, dass Konsumenten dies zunehmend wissen möchten, um selbst auch verantwortlich handeln zu können.“

Christian Felber (43) ist seit 2008 Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Gründungsmitglied der Attac-Bewegung in Österreich und Entwickler des alternativen Wirtschaftssystems „Gemeindewohl-Ökonomie“ als Alternative zur Marktwirtschaft.