StartseiteWirtschaftFür Europas Banken dauert die Finanzkrise noch immer an

Finanzkrise

Für Europas Banken dauert die Finanzkrise noch immer an

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Europäische Banken sind zehn Jahre nach der Finanzkrise ein Schatten ihrer selbst
Veröffentlicht:28.09.2018, 21:27

Von:
Artikel teilen:

Zwangsversteigerungen, Massenentlassungen, Kursverluste: Die Finanzkrise, die im September vor zehn Jahren ihren Höhepunkt erreichte, hat viele Gesichter. Vom Ausmaß der Verwerfungen überrascht, hat die Politik nach anfänglichem Zögern das Heft des Handelns damals an sich gerissen. Seitdem hat allein das deutsche Bundesfinanzministerium rund 50 Gesetze und Verordnungen mit dem Ziel erlassen, Banken und Finanzmärkte zu stabilisieren. Ein solches Drama für Wirtschaft und Verbraucher, so die Forderung, solle sich nicht wiederholen.

Zehn Jahre später steht die Frage im Raum, ob dieses Ziel erreicht wurde. Sind Banken, sind die Finanzmärkte heute tatsächlich stabiler als damals? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Trotz aller Fortschritte seit der Krise bestehen immer noch erhebliche Risiken. „Die Aufsichtsbehörden haben sicherlich viele richtige Schritte eingeleitet. Auch die Eigenkapitalausstattung als Verlustpuffer ist heute deutlich besser als damals. Doch wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen“, sagt Franz Schmid , Vorsitzender der Bezirksvereinigung der Volks- und Raiffeisenbanken Bodensee-Oberschwaben.

Einer Analyse der Beratungsgesellschaft EY zufolge haben sich die Eigenkapitalquoten der zehn größten europäischen Privatbanken – darunter die Deutsche Bank – von 2008 bis 2017 zwar auf sechs Prozent verdoppelt. Doch Kritiker sehen immer noch zu wenig Schutz, um bei einer ähnlichen Krise staatliche Rettungsmaßnahmen überflüssig zu machen.

Dass die Verpflichtung zu höheren Eigenkapitalanforderungen richtig ist, findet auch Thomas Mayer , ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Doch das allein reiche nicht aus. „Man sollte im Bankgewerbe das Haftungsprinzip wieder einführen“, fordert der Finanzexperte. Es sei ein Trugschluss zu glauben, durch schärfere Regulierung Banken sicherer machen zu können. Banker im Angestelltenverhältnis mögen zwar alle Vorschriften und Regularien einhalten. Ob einzelne Geschäfte einer Bank langfristig aber nicht doch schaden würden, ließe sich nicht sicherstellen. „Ein System, bei dem der Entscheider mithaftet, ist viel besser“, so Mayer. „Gewinne personalisieren und Verluste sozialisieren, wie wir es in der Finanzkrise erlebt haben, das darf sich nicht wiederholen.“

Damit das nicht wieder geschieht, sollten Banken, die in Schieflage geraten, künftig aus dem Markt ausscheiden und abgewickelt werden können – und nicht mit Steuergeldern in Milliardenhöhe gerettet werden müssen. Denn ein Grund, unangemessen hohe Risiken einzugehen, war die Gewissheit vieler Banker, dass sie der Steuerzahler in Krisenfällen schon raushauen wird, wenn das Institut nur groß genug, also systemrelevant ist.

Doch das „Too-big-to-fail“-Problem ist bis heute nicht gelöst. Im Gegenteil. Die Fusions- und Übernahmewelle im Zuge der Finanzkrise hat – vor allem in den USA – noch deutlich größere Geldhäuser hervorgebracht. Heute gelten weltweit 30 Banken als systemrelevant. Sie könnten bei einer Schieflage also das ganze Finanzsystem gefährden – und würden wohl in jedem Fall gerettet werden. Die drei größten kommen aus den Vereinigten Staaten.

Volksbanker Schmid sieht den Trend zur Größe kritisch: „Nur eine große Anzahl von Banken erhöht die Stabilität im System.“ Doch mache die Bankenaufsicht den Eindruck, als hätte sie daran gar kein Interesse. „Der Europäischen Zentralbank als oberstem Bankenaufseher sind wohl vier, fünf paneuropäische Großbanken lieber. Die lassen sich einfacher regulieren, die hat man besser im Griff, als weit über tausend Einzelinstitute zu beaufsichtigen“, erläutert Schmid.

Volkswirt Mayer zufolge würden Aufsichtsbehörden in ihrer Arbeit zudem überschätzt. „Man traut der Regulierung zu viel zu. Der Konzentration im Finanzsektor mit einer schärferen Aufsicht begegnen zu wollen, ist keine befriedigende Lösung. Besser wäre es gewesen, kleinere Einheiten zu schaffen, um Banken geordnet abwickeln zu können“, so Mayer.

In der Praxis steht das Größenargument allerdings auf tönernen Füßen. Dass nämlich selbst kleinere Institute im Krisenfall nicht Pleite gehen, sondern als Zombiebanken weiterexistieren, zeigt exemplarisch das Beispiel Italiens, wo Mitte des vergangenen Jahres zwei Regionalbanken vom Staat vor dem Zusammenbruch bewahrt worden waren.

Die Stabilität der Banken, vor allem in der Eurozone, bedroht heute aber noch ein anderes Phänomen: Die seit Jahren andauernde, extreme Niedrigzinsphase. Sie führt dazu, dass viele Institute im so wichtigen Zinsgeschäft kaum noch oder gar keine Gewinne mehr erwirtschaften. „Die Zinssituation drückt uns mit dem Rücken an die Wand. Die Spanne zwischen Krediten und Einlagen ist geschmolzen wie Eis in der Sonne“, sagt Peter Schneider, Sparkassenpräsident des Landes Baden-Württemberg, der den 51 Instituten im Südwesten noch eine „ordentliche Ertragslage“ bescheinigt.

In den USA steigen die Zinsen

Während sich die US-amerikanische Notenbank bereits seit geraumer Zeit im Zinserhöhungsmodus befindet, hat sich die Europäische Zentralbank zuletzt festgelegt, dass die Zinsen „bis mindestens über den Sommer 2019“ hinaus auf dem aktuellen Niveau von null Prozent bleiben werden. Auch deshalb fallen Europas führende Banken im Wettlauf mit der US-Konkurrenz immer weiter zurück. Den Bankenexperten der Wirtschaftsberatung EY zufolge, sind die Gewinne der amerikanischen Institute seit 2012 jeweils mindestens doppelt so hoch ausgefallen, wie die ihrer europäischen Konkurrenten.

Und der Abstand wächst – auch, weil die Amerikaner die Branche vor zehn Jahren rigoroser an die Kandare nahmen, als es die Europäer taten. Die zwangsweise Verordnung von Staatsgeld gilt Experten zufolge als ein Grund, warum sich die Finanzbranche jenseits des Atlantiks deutlich schneller erholte und heute stabiler dasteht – auch wenn das ordnungspolitisch ein durchaus fragwürdiges Vorgehen war. „Mit dem Abstand von Jahren und der Erfahrung von heute müssen wir eingestehen, dass wir vielleicht stärker darauf hätten beharren sollen, deutsche Finanzinstitute zu zwingen, zur eigenen Absicherung staatliche Unterstützung anzunehmen“, schrieb Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vor wenigen Tagen in einem Gastbeitrag für die „FAZ“.

Ein weiteres Risiko, das auch zehn Jahren nach der Lehman-Pleite nicht gelöst ist, und das wiederum vor allem Banken in der Eurozone betrifft, ist der schlechte Zustand der öffentlichen Finanzen in vielen Ländern der Währungsunion. So sind die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung mit Ausnahme von Deutschland und Malta in allen Euroraum-Ländern höher als vor dem Lehman-Kollaps. In Italien, Spanien und Griechenland sind sie sogar deutlich höher als 2009 vor Ausbruch der Staatsschuldenkrise.

Doch nach wie vor gelten Staatsschulden als risikolos, sie müssen von den Banken also nicht mit Eigenkapital unterlegt werden. „Als Kreditinstitut können sie griechische oder italienische Anleihen kaufen, ohne einen Euro Eigenkapital einzusetzen. Dabei zeigt das Beispiel Griechenland, dass Staatsanleihen keineswegs risikolos sind. Die Privilegierung von Staatsschulden gehört abgeschafft“, fordert Heinz Pumpmeier, Chef der Kreissparkasse Ravensburg.

Vor allem Euro-Wackelkandidat und Schuldensünder Italien könnte zu einem Risiko für die Banken werden: Mit 2,3 Billionen Euro steht der italienische Staat bei seinen Gläubigern in der Kreide. Und bei etlichen Banken übersteigen die italienischen Staatsanleihen in der Bilanz den Wert des eigenen sogenannten harten Kernkapitals – für die EZB der wichtigste Maßstab für die Stabilität eines Instituts. Die Lage bleibt fragil.