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Preisschild

Die Natur bekommt ein Preisschild

Berlin / Lesedauer: 5 min

Der Forscher Bernd Hansjürgens hat „enorme volkswirtschaftliche Kosten“ errechnet für den Verlust von Bienen, Auen, der Natur. Mit seinem „Naturkapital Deutschland“ liefert er neue Argumente für eine ökologische Reform der Landwirtschaft.
Veröffentlicht:02.10.2018, 15:20

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Vorbei sind die Zeiten als Bienen, Feldhamster, Eichen – der Naturschutz – nur etwas für Liebhaber waren. Verrückte Umweltschützer verhindern die wirtschaftliche Entwicklung einer Region, weil sie den Bau von Autobahnen, Fabriken, Megaställen blockieren?

Ökonomen wie Bernd Hansjürgens lassen diese Rechnung nicht mehr so stehen. Er hängt der Natur eine Art Preisschild an dafür, dass sie Essen und Baustoffe liefert, Medikamente und Luft, zudem vor Fluten schützt und Treibhausgase speichert.

Hansjürgens ist Chef des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, UFZ. „Die Zerstörung der Natur verursacht enorme volkswirtschaftliche Kosten“, sagt er. Allein Produkte im Wert von 1,1 Milliarden Euro hingen in Deutschland davon ab, dass Insekten unermüdlich Blüte um Blüte von Apfelbaum, Kürbis Stachelbeere und so fort bestäuben – und damit vom Erhalt ihrer Lebensräume. Hansjürgens hat ein Mammut-Unterfangen namens „Naturkapital Deutschland“ geleitet. Nun liegt der Endbericht vor – und wirft die Frage auf, wie die Zukunft aussehen soll. Braucht es zum Beispiel eine grundlegende Reform der Landwirtschaft? Derzeit wird in Brüssel und Berlin darüber debattiert, wie die Subventionen für die europäischen Bauern neu verteilt werden sollen.

Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium , fühlt sich bestärkt. Denn Hansjürgens liefert ein ökonomisches Argument für, so sagt sie, „eine ökologischere Ausrichtung der EU-Agrarpolitik.“ Das gelte genauso für mehr Natur in der Stadt und besseren Schutz von Insekten. Denn das, sagt die südbadische SPD-Politikerin, sei „nicht nur wichtig für Arten und Lebensräume, sondern auch für den Menschen und für die wirtschaftliche Entwicklung.“ Weltweit arbeiten Forscher daran, Bäume, Flüsse, Moore mit Preisen zu versehen – bisher aber ohne große Öffentlichkeit. Dabei begann alles schon vor gut zehn Jahren. 2007 trafen sich in Potsdam 13 Umweltminister von Industrie- und Schwellenländern wie Frankreich, USA, Brasilien oder Indien, um über den weltweiten Verlust an biologischer Vielfalt zu beraten. Sie beschlossen, die globalen wirtschaftlichen Vorteile der Biodiversität zu untersuchen und die Kosten ihres Verlusts zu beziffern.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen beauftragte daraufhin den indischen Ökonom Pavan Sukhdev , der bis dahin Karriere bei der Deutschen Bank gemacht hatte, den wirtschaftlichen Wert der Natur zu errechnen. Heraus kamen Billionen Dollar schwere Kalkulationen. Etwa diese: Jedes Jahr verliert die Menschheit bis zu 45 Billionen US-Dollar, wenn die Wälder in der Geschwindigkeit abgeholzt werden wie bisher. Oder diese: Allein die 3000 größten Unternehmen der Welt verursachen jedes Jahr Umweltschäden von 2,2 Billionen US-Dollar.

Heute ist Sukhdev Präsident des Word Wide Funde for Nature, WWF. Er erklärt mit den Worten des renommierten US-Ökonomen Edward Barbier: „Wir nutzten die Natur, weil sie für uns von Wert ist, wir schaden ihr, weil sie kostenlos ist“. Und um die biologische Vielfalt steht es schlecht: Jeden Tag sterben weltweit 130 Arten aus, rechnen Wissenschaftler vor, Umweltschützer sprechen vom größten Massensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier.

Allein in Deutschland werden jeden Tag 66 Hektar Fläche verbraucht, das meiste davon asphaltiert und betoniert. Wiesen und Wälder machen Straßen, Fabriken, Häusern Platz. Darüber hinaus werden rund 80 Prozent aller Flächen in Deutschland intensiv land- oder forstwirtschaftlich genutzt. Insekten schwinden, auch Vögel. Der Naturschutz – er zieht derzeit noch oft den Kürzeren. Hansjürgens und sein Team rechnen vor, wie teuer das für die Bundesbürger werden kann.

So beschäftigten sie sich mit den Tagen zwischen dem 26. Mai und dem 2. Juni 2013 in Deutschland. Damals fielen 22,76 Billionen Liter Wasser vom Himmel. Das ist etwa die Hälfte der Menge, die der Bodensee fasst. Elbe und Donau verschlangen darauf hin ganze Landstriche. 19 000 Soldaten waren im Einsatz, Militärkonvois rumpelten über die Straße, am Himmel kreisten Hubschrauber. Viele verloren ihre Häuser, Bauern ihre Ernte. Die Schäden beliefen sich damals auf knapp sieben Milliarden Euro. Beim Hochwasser im Jahr 2002 waren es sogar rund elf Milliarden. Ein Grund sei, erklärt Hansjürgens, dass Flüsse eingedeicht, kanalisiert und zementiert wurden, zwei Drittel der natürlichen Überschwemmungsgebiete seien verschwunden. Auen zu renaturieren sei darum ökonomisch sinnvoll. Die Kosten würden durch den Nutzen aufgewogen – sie puffern Fluten, halten Schadstoffe zurück und geben Raum für Erholung.

Zwei andere Zahlen der Wissenschaftler, die für die Natur sprechen: Oft streiten sich Bürgermeister, Bauern und andere mit Naturschützern, wenn ein Gebiet unter Schutz gestellt werden soll. Sie fürchten an Wirtschaftskraft einzubüßen. Der Nationalpark Bayerischer Wald bringt durch zusätzliche Touristen allerdings schätzungsweise 10,6 Millionen Euro pro Jahr, während die Forst- und Holzwirtschaft bis zu 6,8 Millionen Euro verliert. Insgesamt rechnet sich der Schutz der Wildnis für die Region.

Darum hält aber noch längst nicht jeder den kaufmännischen Denkansatz für vielversprechend. Barbara Unmüßig, Vorständin der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung, ist eine der schärfsten Kritikerinnen der Preisschilder für die Natur. Sie hält diese für „gefährlich, da sie den Blick auf Natur so verengen, dass nur noch die Natur gesehen wird, die ökonomisch verwertbar ist.“ Hanjürgens hält dagegen: „Die Natur hat eine bessere Chance, wenn wir in Zahlen ausdrücken, was verloren geht.“ Es gehe ihm nur um zusätzliche Argumente für den Naturschutz, die besser verstanden würden. „Ich habe nicht vor, den Naturschutz so umzukrempeln, dass die Natur als solches keinen Wert mehr hat.“