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Die Angst vor der Leere

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Dem Ulmer Einzelhandel kommen die Passanten abhanden - IHK rechnet mit Geschäftsaufgaben
Veröffentlicht:14.06.2016, 19:38

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Jens Gramer nimmt das Wort „Krise“ nicht in den Mund, wenn er über den Einzelhandel in Ulm spricht. Lieber erzählt er von „Trends“, etwa dem, dass Jugendliche heute kaum noch Zeit haben, in seinen Laden zu kommen und schon gar nicht die Zeit, Sportarten zu treiben, für die er in seinem Geschäft das Zubehör anbietet. Auch die Eltern hätten keine Zeit. Gramer betreibt in der Ulmer Innenstadt direkt hinter dem Münster das „Fifty Eight“, wo auf 700 Quadratmetern alles zu kriegen ist, was man für Board-Sportarten braucht, also Snow- und Skateboard, Surfen und Stand-up-Padling. Der Laden ist ein Markenzeichen der Stadt Ulm und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch immer weniger Kunden finden den Weg zu Gramer: „Versuchen Sie mal in Ulm einkaufen zu gehen“, schimpft der Geschäftsmann – und kommt damit zum Kern des Problems: In Ulm mangelt es an Parkplätzen. Das bestätigt auch Michael Klamser, der ein Sportfachgeschäft in der Frauenstraße betreibt und außerdem Vorsitzender des Vereins Ulmer City Marketing ist. „Seit dem Abriss der Sedelhofgarage vor drei Jahren fehlen in der Stadt gut 500 Parkplätze, die wir dringend benötigen.“

Bei der Ulmer IHK ist das längst angekommen: „Für den Ulmer Einzelhandel sind Parkplätze existenziell“, sagt Josef Röll , Handelsexperte bei der Kammer. Denn in die Donaustadt komme kaum jemand mit öffentlichen Verkehrsmitteln: „Das liegt am ländlichen Einzugsgebiet“ erklärt Röll, „wer aus Erbach oder Langenau zum Einkaufen fährt, ist aufs Auto angewiesen.“ Und Ulm braucht diese Kundschaft. Das zeigt sich an der sogenannten Zentralitätskennziffer, die belegt, wie viel Kaufkraft aus dem Umland in die Stadt strömt. Diese beträgt für Ulm 141 und bedeutet: Zur vorhandenen Kaufkraft in Ulm kommen noch mal 41 Prozent der Kaufkaft aus dem Umland dazu – und die fehlt immer öfter: „Der Kunde hat gelernt, dass er samstags ab 10 Uhr keinen Parkplatz mehr bekommt“, so Röll.

Das zweite Problem: Wer doch vom Bahnhof kommend den Charme der Ulmer Innenstadt entdecken will, braucht Zeit und guten Willen. Denn der Einstieg in die Fußgängerzone ist nicht gerade eine Visitenkarte. Baustellen versperren hier erst mal den Blick auf die Schönheiten, die Ulm ohne Zweifel zu bieten hat. Denn in den engen Gassen findet der Kunde eine große Vielfalt von Geschäften, die von Heilsteinen über römische Münzen bis zu englischer Bekleidung fast alles abdecken. Die kleinen inhabergeführten Läden sind eine Stärke des Ulmer Einzelhandels.

Innenstädte verwaisen

„Doch gerade die kommen schnell an ihre Grenzen, wenn die Kundenfrequenz zurückgeht“, so Röll. Und die geht seit Jahren bergab: So sank die Zahl der Passanten samstags zwischen 13 und 14 Uhr in der Hirschstraße seit 2012 von 8620 auf 5920. Das liege allerdings nicht allein an der Ulmer Situation, sondern sei eine bundesweite Entwicklung, betont Röll. „Der Trend, dass weniger Kunden in die Innenstädte kommen, ist bundesweit zu verzeichnen“, bestätigt ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland. Gründe dafür sieht der Verband auch im wachsenden Onlinehandel. Der demografische Wandel trage ebenfalls dazu bei: wir werden weniger und gerade ältere Menschen scheuen längere Einkaufswege.

„Erreichbarkeit ist absolut zentral“, sagt die Geschäftsführerin des Handelsverbandes in Baden-Württemberg Sabine Hagmann. Auch in der Landeshauptstadt wollen die Kunden trotz des gut ausgebauten S-Bahn-Netzes am liebsten mit dem Auto in die Stadt rollen – am besten direkt vors Geschäft. Ulm sei ein gutes Beispiel dafür: „Nach dem Abriss der Sedelhofgarage ging der Umsatz in der direkten Nachbarschaft zurück“, so Hagmann. Eine Passantenzählung in der Stuttgarter Innenstadt belegt indessen ebenfalls den Abwärtstrend: 2015 wurden 8595 Passanten gezählt, 2016 nur noch 6778.

So dürften auch in Ulm nicht alle Probleme behoben sein, wenn die geplanten drei neuen Parkhäuser fertiggestellt sind. Fest steht jedoch: Die Lage des Einzelhandels wird dadurch nicht rosiger: „Solange noch gebaut wird, dürfte es schwierig werden, Gründer zu motivieren, hierherzukommen. Gleichzeitig überlegen sich alteingessene Geschäftsleute, ob sie ihren Ruhestand vorziehen.“ Die Folge davon wären Leerstände.

Alternativen zu den städtischen Parkhäusern sind zwar vorhanden. Etwa im knapp einen Kilometer entfernten Kongresszentrum. Doch die würden nicht genutzt, beklagt City Manager Henning Krone. Der Verein, dessen Aufgabe es ist, den Einzelhandel zu stärken, sitze das Problem keineswegs aus, so Henning: „Der Aufschrei hat bereits stattgefunden“. Es werde ein „Ladenleerstands-Management“ aufgebaut, damit der Branchenmix in der Innenstadt ausgewogen bleibe. Außerdem wurde mit der Stadt ein Arbeitskreis zum Management der Baustellen eingerichtet, von denen es gleich mehrere geben wird. Schon in diesem Sommer dürften deshalb pro Woche 1400 Lkw die Donaustadt passieren. Sie sollen geschickt gelenkt werden und somit den Innenstadtverkehr nicht stören.

Der Vorsitzende des City Marketings, Klamser, ist optimistisch: „Der Einzelhandel muss sich auf seine Stärken besinnen und auf Beratungs- und Servicekompetenz setzen.“