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Bruttoinlandsprodukt

„Deutsche Firmen sollten dabei sein“

Lindau / Lesedauer: 4 min

Regierungsberater wirbt für die Rückkehr deutscher Investoren nach Libyen
Veröffentlicht:18.05.2018, 17:36

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Vor dem Bürgerkrieg war Libyen das reichste Land in Afrika, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Der Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi löste im Land Chaos aus, ausländische Unternehmen flohen vor dem Bürgerkrieg. In Tripolis bemüht sich die international anerkannte Regierung des Landes um Stabilität und den Aufbau der Wirtschaft. Deutsche Unternehmen sollten sich schon jetzt auf eine Rückkehr in das Land vorbereiten, wenn sie am Wiederaufbau beteiligt sein wollten, sagt Hakim al-Nagah von der Nationalen Agentur für Forschung, Wissenschaft und Technologie Libyens. Ulrich Mendelin hat am Rande der Lindauer Konferenz der Industrie- und Handelskammer Schwaben zur Wirtschaft im Mittelmeerraum mit ihm gesprochen.

Warum sollten deutsche Unternehmen ausgerechnet in Libyen investieren?

Ich sage nicht, dass deutsche Firmen jetzt schon nach Libyen kommen sollten. Aber sie sollten sich vorbereiten. Unternehmen aus Großbritannien, aus China, aus der Türkei oder Italien tun das auch. Früher gab es sehr gute Beziehungen von deutschen Firmen nach Libyen. Vor dem Krieg haben wir jährlich auf höchster Ebene ein großes Wirtschaftsforum organisiert, daran nahmen damals 200 bis 400 Unternehmer teil. Durch den Krieg wurde das alles gestoppt. Nun sollten die deutschen Unternehmer den Kontakt wieder aufnehmen, und auch Bescheid geben, wenn sie Entschädigungen brauchen – für nicht eingehaltene Verträge, für verlorene Maschinen. Bald wird es Wiederaufbauprojekte geben. Da sollten deutsche Firmen dabei sein, denn die Libyer halten viel von der Qualität deutscher Produkte, und auch von Deutschlands friedensorientierten Politik gegenüber Libyen.

Wann ist es so weit?

Es gibt noch immer zwei Machtzentren im Land: zwei Regierungen, zwei Parlamente. Im Moment ist deswegen die Bildung einer Einheitsregierung das Wichtigste. Das läuft gerade. Ich hoffe, sie steht in den nächsten zwei Monaten. Anschließend müssen die unterschiedlichen Milizen ins Militär integriert werden. Dann kann bis Ende des Jahres wieder Stabilität und Normalität in Libyen einkehren. Wenn Unternehmen sich jetzt darauf vorbereiten, können sie Anfang nächsten Jahres mit ihren Geschäften und Projekten beginnen.

Wie ist denn die Sicherheitslage im Land? Die Milizen werden ja nicht alle vom einen Tag auf den anderen verschwinden.

Tripolis ist zum größten Teil sicher. Die türkische und die italienische Botschaft wurden schon wieder geöffnet, die Deutschen und die Briten bereiten sich darauf vor. Natürlich gibt es immer mal wieder Gewalttaten von Milizen, und die kommen dann in die Schlagzeilen. Das stört stark. Aber insgesamt ist Tripolis heute dank der Friedenspolitik von Präsident Fayiz as-Sarradsch viel sicherer als noch vor einem Jahr.

Die Weltbank hat die Inflationsrate in Libyen für 2017 auf 32,8 Prozent geschätzt. Warum ist sie so hoch?

Auch dafür ist die Spaltung des Landes verantwortlich. Wir haben noch immer zwei Zentralbanken. Es gibt Versuche, sie zu vereinheitlichen. Das Fehlen einer Zentralregierung hat außerdem die Korruption begünstigt. Weil das Bankensystem durcheinander gekommen ist, gibt es einen schwarzen Währungsmarkt. All das hat die Inflationsrate steigen lassen. Aber wir glauben an den berühmten deutschen Philosophen Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Die Lage verbessert sich.

Italien spielt traditionell eine wichtige Rolle in der libyschen Wirtschaft. Heute sind auch China und die Türkei stark engagiert. Wie können interessierte deutsche Unternehmen einen Fuß in die Tür bekommen?

Ich werbe für die Idee einer deutsch-libyschen „Partnerschaft Plus“. Das „Plus“ bedeutet, dass wir die deutschen Außenhandelskammern in Libyens Nachbarstaaten ins Boot holen. Libyen hat sehr gute Beziehungen mit italienischen, tunesischen, türkischen und ägyptischen Firmen. In diesen Ländern gibt es deutsche Außenhandelskammern, in denen deutsche Firmen vertreten sind. Für erste Informationen und Kontakte bräuchten deutsche Firmen nicht nach Libyen kommen – die könnten sie über ihre Partner in den entsprechenden Ländern bekommen. So könnten sie sich auf das kommende Jahr vorbereiten – und dann sollten die Deutschen nach Libyen kommen.

Einen schlechten Ruf hat der libysche Staat in der Migrationspolitik. Aus Flüchtlingslagern an der Mittelmeerküste wird von Zwangsarbeit und Misshandlung berichtet. Was tut die libysche Regierung dagegen?

Ich war im vergangenen Jahr mit dem damaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in Libyen in einem Migrationslager. Ich bin gegen jede Form von Missbrauch von Menschen. Man kann nicht verleugnen, dass es Verletzungen der Menschenrechte der Migranten gibt. Man sollte aber auch nicht die personellen und finanziellen Fähigkeiten des schwachen Staates Libyens ausblenden. In den Weltmedien war von moderner Sklaverei die Rede . Das halte ich nicht für ganz richtig. Es gibt eventuell sklavenähnlichen Handel, aber nur sehr begrenzt. Den müssen die Libyer und die EU gemeinsam gnadenlos bekämpfen. Deutschland und EU müssen dringend den von der Bundesregierung angekündigten „Marshall-Plan für Afrika“ umsetzen, damit die afrikanische Jugend in ihrer Heimat eine Perspektive auf Arbeit und menschenwürdiges Leben hat und nicht gezwungen ist zu emigrieren.