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Literaturherbst

„Wir treiben die Regierung vor uns her“

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linken
Veröffentlicht:21.10.2013, 07:20

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Während in Berlin über das Für und Wider einer Großen Koalition verhandelt wird, ist Sahra Wagenknecht, erste Stellvertreterin Gregor Gysis bei den Linken, beim Tuttlinger Literaturherbst. Bevor sie auf die Bühne geht, um aus ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ zu lesen, sprach Katharina Pütz mit ihr über Goethe und die Politik, die neue Rolle als größte Oppositionspartei und Parteispenden.

Sie mögen Goethe, eines Ihrer Lieblingswerke ist „Iphigenie“. Dort spielt das Thema Humanität eine zentrale Rolle. Was bedeutet für Sie Humanität?

Vor allem ein würdevolles Leben. Das schließt ein, an sich selbst den Anspruch zu stellen, gegenüber anderen Menschen nicht intrigant zu sein. Andere nicht zu einem bloßen Mittel zu degradieren. Iphigenie hat am Ende die Möglichkeit, den ungefährlichen Weg zu gehen. Aber das wäre der Weg der Lüge. Sie wählt den Weg der Wahrheit, und das ist der bessere. Auch in der Politik.

Goethes Dr. Faust verkauft Mephisto seine Seele für ein bisschen Glück. Verkauft die SPD ihre Seele für die große Koalition?

Das kann man schon so sagen. Auf jeden Fall verkaufen sie wieder mal die Interessen ihrer Wähler. Es ist absehbar, dass von den Wahlversprechen der SPD nicht viel übrig bleiben wird. Der Mindestlohn wird durch unzählige Ausnahmen durchlöchert, viele andere Forderungen, wie die nach einer höheren Besteuerung der Oberschicht, werden ganz aufgegeben. Ich finde es traurig, wie sich die SPD verhält, denn wenn diese Partei sich immer stärker diskreditiert, wird die Wahrscheinlichkeit für eine sozialere Politik in diesem Land natürlich nicht größer.

Große Koalition bedeutet auch: Die Linke ist größte Oppositionspartei. Wie gehen Sie mit dieser neuen Rolle um?

Wir werden die Regierung vor uns hertreiben und die beteiligten Parteien immer wieder mit ihren Wahlversprechen konfrontieren. Auch die CDU hat ja im Wahlkampf manche soziale Wohltat in Aussicht gestellt. Aber ihre reale Politik macht die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft immer größer. Wir werden die gepredigte Alternativlosigkeit infrage stellen und immer wieder darauf hinweisen, wie es anders geht. Es muss wahrlich nicht sein, dass in einem reichen Land wie Deutschland Millionen Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr ordentlich leben können und Angst vor Armut im Alter haben müssen.

Zurzeit vieldiskutiertes Thema: Parteispenden. Könnte die Linke 690000 Euro auch gebrauchen?

Nicht, wenn wir als Gegenleistung unsere Politik an die Interessen der Familie Quandt und der Autolobby verkaufenmüssten. Nein, solche Großspenden sind ein Mittel der Politikbeeinflussung und sollten in einer Demokratie keinen Platz haben.

Sie sind eine harsche Kritikerin des Wirtschaftssystems. Aber: Der DAX ist auf einem Allzeithoch, von Krise ist nicht viel zu spüren und die Wähler haben die Regierung bestätigt. So falsch kann es doch nicht laufen?!

Dass der DAX in Zeiten des grenzenlosen Gelddruckens der Zentralbanken auf einem Allzeithoch ist, ist kein Wunder. Aber schauen Sie mal auf die Investitionsquote in Deutschland. Die ist so niedrig wie nie zuvor.  Für dieses Jahr werden gerade noch 0,4 Prozent Wachstum erwartet. Und: Die Mittelschicht wird schmaler. Die Reallöhne sind heute im Schnitt niedriger als zur Jahrtausendwende. Leiharbeit, Werkverträge und Endlosbefristungen haben den Wohlstand von vielen deutlich verschlechtert. Die Ungleichheit wächst.

Würden Sie ein Beispiel der Ungleichheit nennen?

Die Zahl der Millionäre nimmt zu, ihre Vermögen wachsen seit Jahren um 8 Prozent jährlich, während der Kleinsparer mit so jämmerlichen Zinsen abgespeist wird, dass die Inflation sein Vermögen aufzehrt.

In geraden Bahnen läuft es bei der Linken auch nicht: Wie wollen Sie in Ihrer Partei den Konflikt um die Doppelspitze lösen?

Ich gehe fest davon aus, dass noch in dieser Legislaturperiode die Doppelspitze kommt. Jetzt ist es so gelaufen, wie es gelaufen ist. Aber in zwei Jahren stehen in unserer Fraktion wieder Wahlen an, und da bin ich sehr zuversichtlich. Auch der Bundesausschuss, in unserer Partei immerhin das höchste Gremium nach dem Parteitag, hat eine Doppelspitze in der Fraktion jetzt noch einmal nachdrücklich gefordert.  Man kann auch nicht glaubwürdig von jedem Kreisverband verlangen, dort unsere Statuten umzusetzen, und an entscheidender Stelle werden sie einfach ignoriert.

Ist Ihre Art, Politik zu machen, Politik zu denken, einsam?

Politik ist keine Anti-Einsamkeits-Droge, eher im Gegenteil.  Privat möchte ich glücklich sein, mein Leben mit Menschen verbringen, die ich gern habe. Das kann kein Maßstab für die Politik sein. Hier will ich etwas durchsetzen und kann mir meine Mitstreiter nicht nach persönlicher Sympathie aussuchen. In der Politik ist man in gewisser Hinsicht immer ein bisschen einsam.