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Systemstreit

Wien gegen Wien: Warum Österreich heftig über den Sozialstaat streitet

Politik / Lesedauer: 3 min

In Österreich will die schwarz-blaue Regierung die Sozialhilfe einschränken – dagegen regt sich heftiger Protest. Vor allem auf die Hauptstadt Wien schießt sich die Regierung Kurz ein.
Veröffentlicht:16.01.2019, 18:11

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In Österreich bahnt sich zwischen der schwarz-blauen Bundesregierung und dem rot-grün regierten Wien ein Systemstreit um den Sozialstaat an. Kanzler Sebastian Kurz muss mit wachsendem Widerstand rechnen.

Seit rund einem Jahr ist die rechtskonservative -Koalition an der Macht. Jungkanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz versprach, Österreich „neu regieren“ zu wollen. Sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache sieht sich dem alten Traum seiner rechten FPÖ , das alte rot-schwarze Proporzsystem endgültig zu begraben, näher denn je. Ziel der ÖVP ist der rotgefärbte Sozialstaat, um die Wirtschaft und den Mittelstand steuerlich zu entlasten. Die FPÖ will den Rechtsstaat durch ein autoritär-plebiszitäres System mit einem „starken Mann“ an der Spitze ersetzen – Ungarns Premier Viktor Orbán macht vor, wie das geht. Was noch fehlt, ist eine passende Stadtregierung in Wien. Doch die Bundeshauptstadt zeigt sich entschlossen, sich als „rot-grünes Gegenmodell“ dem rechtskonservativen Umbau der Republik zu widersetzen.

Der Kampf um Wien hat begonnen. Er könnte lang und zäh werden, denn die Kommunalwahl dort findet erst im Herbst 2020 statt. Jüngst hat sich der Konflikt an der Neuregelung der Sozialhilfe entzündet. Vergangene Woche hat die Bundesregierung eine Gesetzesvorlage über die Reform der staatlichen Sozialhilfe – in Österreich Mindestsicherungsgesetz genannt – vorgelegt. Bundesländer und Sozialexperten einschlägiger Organisationen hatten die Regierungspartner vor der Präsentation nicht gefragt. Fachlich unzureichend und handwerklich schlampig, lautet deren einhelliges Urteil.

Vordergründig geht es gegen Ausländer. So sollen Asylberechtigte, die nicht Deutsch lernen wollen, künftig monatlich 300 Euro weniger bekommen. Generell wird die Obergrenze der Sozialhilfe auf 863 Euro festgesetzt. Die Zuschüsse für Kinder werden künftig nach unten gestaffelt: Für das erste gibt es 216, das zweite 130 und das dritte nur noch 43 Euro.

Mehrere Länder gegen die Reform

Sozialdemokraten und Grüne verdammen die Vorlage als „Armutsförderungsgesetz“. Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig spricht von einer „herzlosen Politik“ und weiß die Caritas an seiner Seite, die der Kurz-Regierung „Empathiemangel“ vorwirft. Nicht nur im rot-grünen Wien, auch in Vorarlberg und Salzburg – beide Länder werden schwarz-grün regiert – regt sich heftiger Widerstand. Regierung und Opposition drohen jetzt einander mit Klagen vor dem Verfassungsgericht.

Kurz’ eigentliches Ziel ist der Abbau des österreichischen Sozialstaates, dessen Hochburg in seinen Augen Wien ist. Der Kanzler wörtlich: Es sei nicht gut, „wenn in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen“. Schuld daran sei eben das „Wiener Modell“, das „immer mehr Menschen in Abhängigkeit halten“ wolle, während der Bund den Zuzug in die Sozialsystem einbremsen wolle. FPÖ-Chef Strache reduziert die Wiener Sozialpolitik auf ein „Förderprogramm tschetschenischer Großfamilien“, ohne dass der Kanzler widerspricht.

Laut offizieller Statistik sind der Großteil der Soziahilfeempfänger aber Kinder sowie arbeitsunfähige Frauen und Männer, die für den Arbeitsmarkt ohnehin nicht in Frage kommen.