StartseitePolitikWie die Türkei sich mit ihrem Syrien-Feldzug isoliert

Militäreinsatz

Wie die Türkei sich mit ihrem Syrien-Feldzug isoliert

Istanbul / Lesedauer: 4 min

Westliche und arabische Staaten forden ein Ende des Einmarsches – Trump will vermitteln
Veröffentlicht:14.10.2019, 06:00

Artikel teilen:

Recep Tayyip Erdogan platzte der Kragen. „Sind wir jetzt Nato-Partner oder nicht?“ habe er die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Telefon gefragt, berichtete der türkische Präsident am Sonntag in einer Rede. „Steht ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen?“ Knapp eine Woche nach Beginn ihrer Militärintervention in Syrien wehrt sich die Türkei gegen ihre internationale Isolierung. Erdogan kritisierte die Entscheidung Berlins, Waffenexporte an die Türkei wegen des Syrien-Einmarsches weiter einzuschränken, und forderte die Solidarität westlicher Verbündeter. Beim Syrien-Einsatz gehe es um das Überleben seines Landes, sagte er.

Das sehen viele westliche und arabische Staaten und Politiker ganz anders. Merkel forderte laut einer Regierungssprecherin das sofortige Ende des Militäreinsatzes in Syrien und nannte dabei drei Gründe: Der Einmarsch vertreibe viele Menschen aus ihrer Heimat, destabilisiere Syrien noch weiter und könne den Islamischen Staat (IS) wieder stärken.

Merkels Haltung wird von vielen anderen Staats- und Regierungschefs geteilt. Die EU will bei einem Treffen ihrer Außenminister an diesem Montag über ein Waffenembargo gegen die Türkei beraten und einige Tage später bei einem Gipfel über Sanktionen gegen Ankara; auch die USA denken über Strafmaßnahmen nach. Mehrere Nato-Staaten haben ihre Waffenexporte an die Türkei gestoppt. Die Arabische Liga wirft Ankara die „Invasion“ eines arabischen Landes vor. Berichte über eine Massenflucht von Angehörigen von IS-Kämpfern aus einem Lager in Nord-Syrien verstärken den Druck auf die Türkei weiter.

Bei der am Mittwoch gestarteten Offensive wurden laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bis zum Sonntag mehr als 200 Menschen getötet, darunter mehr als 50 Zivilisten. Die UNO teilte mit, rund 130 000 Menschen seien auf der Flucht aus dem Kampfgebiet im Nordosten Syriens. Erdogan warf der syrischen Kurdenmiliz YPG vor, mehr als 650 Geschosse auf Wohngebiete auf der türkischen Seite der Grenze abgeschossen zu haben; mindestens 18 Menschen starben dabei. Die von der YPG dominierten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) sprach von 45 getöteten Zivilisten auf syrischer Seite.

Die Türkei will ihre Soldaten bis zu 35 Kilometer tief auf syrisches Gebiet schicken. Erdogan sagte, seine Armee gehe langsam voran, um Verluste zu minimieren. Aufhalten könne die YPG die türkischen Truppen und die pro-türkischen Rebellen von der Syrischen Nationalen Armee (SNA) nicht. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle konnte die YPG die syrische Grenzstadt Ras al-Ayn zurück erobern, nachdem sie an die Angreifer gefallen war.

IS-Kämpfer entkommen

Die Beobachtungsstelle berichtete, mindestens 100 Frauen und Kinder von IS-Kämpfern hätten wegen der Kämpfe aus einem Internierungslager in Ayn Issa fliehen können; auf kurdischer Seite war von fast 800 Geflohenen die Rede. Kritiker der türkischen Militäraktion befürchten, dass der Einmarsch zum Widererstarken der Dschihadisten führen könnte.

Der Vorstoß richtet sich gegen die Präsenz der YPG an der türkischen Südgrenze. Die Kurdenmiliz ist der syrische Verband der kurdischen Terrororganisation PKK und wird von der Türkei als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit bekämpft. Da die YPG aber gleichzeitig ein Partner der USA im Kampf gegen den IS ist, gibt es erhebliche Spannungen zwischen Ankara und Washington. Der Angriff soll die Grundlage für eine „Sicherheitszone“ in Nordsyrien schaffen, in die Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei umgesiedelt werden sollen. Mit dem Plan reagiert Erdogan auf den Unmut der Wähler angesichts von 3,6 Millionen syrischer Flüchtlinge im Land.

Laut US-Präsident Donald Trump könnten die USA versuchen, die Kämpfe durch Vermittlung zwischen Türkei und der SDF zu beenden. Beobachter wie der Nahost-Experte Nicholas Heras von der US-Denkfabrik CNAS vermuten, dass die US-Initiative darauf hinausläuft, den türkischen Einmarsch nach der Einnahme eines begrenzten Gebietes auf syrischem Boden zu stoppen. Das würde der Türkei einen Erfolg bescheren, gleichzeitig aber die Gewalt begrenzen. SDF-Kommandant Mazlum Kobani sagte der französischen Zeitung „Le Figaro“, die kurdische Seite akzeptiere die USA als Vermittler. Erdogan sagte dagegen, die Türkei werde sich nicht mit Terroristen an einen Tisch setzen.