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Warum Meinungsforscher immer wieder irren

Ravensburg / Lesedauer: 3 min

Demoskopen sind nach falschen Vorhersagen zur US-Wahl in Erklärungsnot
Veröffentlicht:13.11.2016, 18:56

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Noch kurz vor der Wahl waren sich die Demoskopen einig: Hillary Clinton wird die US-Präsidentschaftswahl gewinnen. Sie alle lagen falsch. Wie konnte es nach dem Demoskopen-Debakel in Großbritannien erneut zu so einer Fehleinschätzung kommen? Politologe Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen begründet das zum einen mit methodischen Mängeln, zum anderen mit der mutmaßlichen Neigung der Institute, voneinander „abzuschreiben“: „Sobald sich ein allgemeiner Trend herausbildet, wird dieser von vielen Meinungsforschern übernommen.“

Politologe Joachim Behnke: „Sobald sich ein allgemeiner Trend herausbildet, wird dieser von vielen Meinungsforschern übernommen.“

Erst das Schweizer Minarett-Referendum 2009, dann das Brexit-Votum in Großbritannien, jetzt Trump: Zum wiederholten Mal haben die Wähler die Demoskopen auf dem falschen Fuß erwischt. Auch in Deutschland lagen die Meinungsforscher immer wieder daneben, als es um die Wählergunst der Rechtsnationalen ging: Erst unterschätzten sie die AfD bei der Bundestagswahl 2013, dann erneut bei den Landtagswahlen im März.

Vor der Präsidentschaftswahl in den USA – ausgerechnet an der Wiege der modernen Meinungsforschung – hatten von 67 Umfragen zuletzt nur vier Trump vorne gesehen. Eine gängige These lautet nun: Die Trump-Wähler standen bei den Umfragen nicht zu ihrer Meinung.

Befragte sagen am Telefon nicht immer die Wahrheit

Dass Anhänger von populistischen Parteien und Politikern ihre wahren Präferenzen in Umfragen verbergen, ist für den Sozialforscher Joachim Behnke kein neues Phänomen. Soziologen nennen es „soziale Erwünschtheit“: Wenn Menschen glauben, dass ihr Verhalten von vielen anderen als eher negativ gesehen wird, geben jene, die sich so verhalten, das ungern zu – auch nicht in einem anonymen Telefoninterview. „Man kann das natürlich versuchen herauszurechnen, indem man die klassische Wählerklientel von Rechtspopulisten, also die eher schlechter Gebildeten, höher gewichtet“, erklärt Behnke. Viele Institute tun das auch bereits. So lagen bei den jüngsten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die AfD-Ergebnisse der Umfragen schon deutlich näher am tatsächlichen Wahlergebnis als bei jenen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Einige große Institute ergründen darüber hinaus vermehrt mit persönlichen Interviews sowie Online-Befragungen den Wählerwillen.

Nur eine Umfrage sah Trump immer vorne

Aber sind Menschen in Online-Umfragen tatsächlich ehrlicher als am Telefon? Eine bekannte Meinungsforscherin aus den USA, Celinda Lake, gibt jedenfalls zu bedenken, dass Online-Umfragen tendenziell mehr Unterstützung für Trump zeigten, als Telefonumfragen. Auch die gemeinsamen Erhebungen der „Los Angeles Times“ und der University of Southern California wurden im Internet durchgeführt – und ergaben als Einzige über Monate hinweg einen konstanten Vorsprung für Trump.

Behnke hingegen glaubt nicht, dass Online-Umfragen per se besser sind und verweist auf ein grundsätzlicheres Problem: Dass Anhänger von Anti-Establishment-Bewegungen wie der AfD Meinungsforscher inzwischen mit der politischen Elite assoziieren. Die Folge: „Gewisse Leute bekommen wir gar nicht in die Stichproben, weil sie sich schlichtweg verweigern“, berichtet Behnke, der als Experte für empirische Erhebungs- und Auswertungsmethoden selbst immer wieder Umfragen durchführt. „Womöglich hatten die Meinungsforscher von der University of Southern California eine repräsentativere Stichprobe und waren deshalb näher dran am Ergebnis.“

Institute lassen sich von Mainstream treiben

Neben den vielen methodischen Problemen sieht Behnke noch ein weiteres: Sobald sich ein gewisser Mainstream an Umfragen herausgebildet habe, lassen sich die anderen Institute davon treiben – auch wenn ihre (nicht veröffentlichten) Rohdaten vielleicht eine ganz andere Sprache sprechen. Das könne er natürlich nicht beweisen. „Aber die Daten sprechen schon dafür“, sagt Behnke.

Haben Meinungsforscher also ein Glaubwürdigkeitsproblem? Anders als für den US-amerikanischen Politik-Analysten Mike Murphy, für den am Wahlabend „Daten in der Politik gestorben“ seien, glaubt Joachim Behnke immer noch daran, dass Meinungsforschungsinstitute im Prinzip gute Arbeit leisten. „Aber sie sind noch nie so gut gewesen, wie viele geglaubt oder die Institute selbst suggeriert haben.“