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Teezeit

Vorpommersche Teezeit

Politik / Lesedauer: 4 min

Beim TV-Duell plaudern Merkel und Schulz über Dieselskandal und Flüchtlingsprobleme
Veröffentlicht:03.09.2017, 22:30

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„Viel Glück und viel Segen“, Unionsfraktionschef Volker Kauder bekommt zum Einzug ins Studio Berlin ein Geburtstagsständchen. Berlins CDU-Chefin Monika Grütters streichelt ihm zum 68. Geburtstag liebevoll die Nackenhaare; Rheinland-Pfalz Vorsitzende Julia Klöckner meint, er sähe aus wie 20, und Volker Kauder selbst hat an seinem Geburtstagsabend in Berlin vor allem einen Wunsch: dass das Duell spannend wird.

SPD-Chef Martin Schulz und CDU-Kanzlerin Angela Merkel sind in der Zwischenzeit im Studio eingetroffen. Angela Merkel im königsblauen Blazer, Schulz im dunkelblauen Anzug. Sie sitzen in einem Meter Entfernung im türkisblauen Studio B, ihre Pulte sind mehr zueinander gedreht als in der Vergangenheit. Neben-an, auf 2500 Quadratmeter Fläche, warten rund 700 Journalisten mit Politikern und Beratern. Mecklenburg-Vorpommerns neue SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier holt sich schnell noch eine Portion Linguine aus dem Gorganzola-Laib. Der grüne Europachef Reinhard Bütikofer hofft, anders als Kauder, auf ein möglichst blutleeres Duell. Denn das könne seiner Partei Auftrieb bescheren. An Bars und Theken gibt es Salate vom Flying Buffet, und für die, die es hochprozentiger wollen, Jägermeister „Würselenes Jungenspiel“ oder die „Vorpommersche Teezeit“.

Um 19.15 Uhr kommt Martin Schulz an, eine Viertelstunde später Angela Merkel. Da haben sich draußen vor dem Studio B Jusos und Junge Union schon eingesungen. „Zeig’s ihr, Martin“, skandieren die Jusos. Die Junge Union hält dagegen: „Möge die Bessere gewinnen.“

Peinliche Panne

„Das TV-Duell wird die Wende bringen“, hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im Vorfeld gesagt. Und die SPD war sich – übrigens genau wie die CDU, natürlich schon im Vorfeld sicher, dass ihr Kandidat gewinnt. So sicher, dass sie schon eine Anzeige geschaltet hatte „Merkel verliert klar gegen Martin Schulz“ wurde irrtümlicher Weise schon in der Nacht vor dem Duell bei Google freigeschaltet. Eine peinliche Panne.

Die Kanzlerin ist schwer angreifbar. Mit ihren langen Sätzen hat sie schon in der Vergangenheit ihre Gegner oft zur Verzweiflung gebracht. Sie verweigere sich inhaltlichen Debatten derart, dass das fast einem „Anschlag auf die Demokratie“ gleichkomme, hat Schulz im Juni auf dem SPD-Parteitag geschimpft, sehr zum Ärger der Christdemokraten. Im Duell gibt er zu, zu hart gewesen zu sein. Aber mehr Diskussion sei nötig.

Gleich am Anfang gerät Merkel ins Stottern. Sie verteidigt noch einmal ihren Beschluss, vor zwei Jahren die Flüchtlinge ins Land zu lassen. „Zu sagen, sie würde alles noch einmal so machen wie 2015, da würde ich nicht zu raten“, wirft ihr Schulz dagegen vor. Sie hätte die europäischen Nachbarn früher einbeziehen müssen. Merkel verteidigt ihren Kurs. Und sie hält das EU-Türkei-Abkommen „für nach wie vor richtig“.

Schulz spricht in der Türkei-Frage eine sehr klare Sprache. „Wenn ich Kanzler bin, werde ich die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen.“ Merkel warnt davor diese Frage in den Wahlkampf zur bringen, um zu zeigen, wer härter ist. Sie will den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen nur im europäischen Kontext machen. Schulz hält dagegen: „Die Sprache, die Herr Erdogan versteht, ist die Sprache, die ich spreche.“ Deshalb müsse Deutschland klare Kante zeigen als deutsche Position in der EU.

Bei seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten hatte Martin Schulz seine Sorge um mehr Gerechtigkeit in Deutschland in den Mittelpunkt gestellt. Auf immer noch über zwei Millionen Arbeitslose, auf prekäre und befristete Arbeitsverhältnisse weist Schulz hin.

Merkel nimmt das Thema soziale Gerechtigkeit auf, und bevor Schulz etwas sagen kann, weist sie darauf hin, dass in der Union keinesfalls die Rente mit 70 geplant sei. „Finde ich toll, Frau Merkel“, lobt Schulz postwendend. Schließlich habe der CDU-Wirtschaftsrat das ja gefordert.

Nach der Maut kommt es zum umstrittenen Thema Diesel. Kurz vor dem neuen Dieselgipfel im Kanzleramt spricht Merkel von einem Vertrauensbruch, sie sorge dafür, dass die Unternehmen die Software nachrüsten. Aber die 800 000 Menschen in der Autoindustrie dürften darunter nicht leiden. Eine finanzielle Entschädigung aber wie in den USA sei nicht drin.

Schulz fordert ein Gesetz zu Musterfeststellungsklagen. Die Menschen könnten nicht schlechter gestellt werden als in den Vereinigten Staaten. Merkel betont, sie sei „stocksauer“.

In Zeiten des Umbruchs Mut zum Aufbruch, so Schulz. Er wünscht sich zum Abschluss mehr Gerechtigkeit. Angela Merkel hat das letzte Wort. „Sie kennen mich“, hat sie beim letzten Mal gesagt. Dieses Mal übernimmt sie gleich die Regie. Sie dankt für das Duell und wünscht den Zuschauern noch einen schönen Abend.