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Verheerende Explosion in Beirut: Was wir bislang darüber wissen - und was nicht

Politik / Lesedauer: 11 min

Nach der gigantischen Explosion im Hafen von Beirut steht die Stadt am Mittelmeer unter Schock. Die Zahl der Opfer steigt stündlich. Die aktuellsten Informationen.
Veröffentlicht:05.08.2020, 14:45

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Nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut steht die Stadt am Mittelmeer unter Schock. Die Zahl der Opfer steigt stündlich, die Weltgemeinschaft hat schnelle Hilfe zugesagt. Die aktuellsten Informationen im Newsblog.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut hat die Hauptstadt des Libanon erschüttert
  • Es gibt mindestens 135 Tote und rund 5.000 Verletzte
  • Ursache soll gelagertes Ammoniumnitrat sein, ein hochexplosiver Stoff, der auch als Dünger verwendet wird
  • Aktuell gibt es keine Hinweis auf einen Anschlag
  • Die Weltgemeinschaft kündigt schnelle Hilfe an, darunter auch aktueller Kriegsgegner Israel

Die aktuelle Entwicklung:

++ Was wir über die Explosion in Beirut wissen - und was nicht

WAS WIR WISSEN

  • Der Ort: Die Explosion ereignet sich auf dem Industriegelände des Hafens im Norden der Küstenstadt. Dort entstehen an Lagerhäusern und Getreidespeichern auch die größten Schäden. In der Nähe liegen der zentrale Märtyrerplatz und beliebte Ausgeh-Viertel von Beirut.
  • Die Explosion: Wenige Minuten nach 18 Uhr (Ortszeit, 17 Uhr MESZ) kommt es am Hafen zu einer gewaltigen Detonation mit einer Druckwelle, die sich blitzschnell kreisförmig nach außen ausbreitet. Am Himmel über der Küstenstadt ist eine Pilzwolke zu sehen.
  • Die Wucht: Selbst auf der rund 200 Kilometer entfernt liegenden Insel Zypern sind die Explosion und die Druckwelle zu spüren. Viele Menschen glauben dort sowie in Beirut zunächst an ein Erdbeben . Das Erdbebenzentrum EMSC misst eine Erschütterung der Stärke 3,3.
  • Die Opfer: Mindestens 100 Menschen kommen ums Leben und weitere 4000 werden verletzt, viele von ihnen durch Glassplitter von berstenden Fensterscheiben. Im Lauf der Suche nach Opfern, etwa unter Trümmern, könnte diese Zahl noch weiter steigen .
  • Die Schäden: Die Wucht der Explosion lässt Trümmerteile in Wände einschlagen, teils stürzen Hausdächer ein. Straßen im Stadtzentrum sind mit Schutt und Glasscherben übersät. Autos und auch Schiffe werden beschädigt. Die Regierung geht in einer ersten Schätzung von Schäden in Höhe von drei bis fünf Milliarden US-Dollar aus.

Satellitenbilder zeigen die Zerstörungskraft der Detonation: Vorher und nachher

WAS WIR NICHT WISSEN

  • Der Sprengstoff: Viele Hinweise deuten auf die Explosion einer großen Menge an Ammoniumnitrat hin. Von der gefährlichen Substanz, die schon mehrfach zu Explosionen mit teils Hunderten Toten führte, waren nach offiziellen Angaben seit mehreren Jahren 2750 Tonnen im Hafen gelagert . Bestätigt sind diese Hinweise aber noch nicht.
  • Der Auslöser: Möglicherweise wurde eine erste, kleinere Explosion an einem Lagerhaus für Feuerwerkskörper ausgelöst. Der Brand führte dann möglicherweise zur zweiten, gewaltigen Detonation. Auch hier gibt es aber noch keine Bestätigung. Unklar ist auch, ob es sich um einen Unfall oder eine absichtlich herbeigeführte Explosion handelt.
  • Möglicher Hintergrund: Zunächst gibt es keine Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund oder einen Anschlag . Ausgeschlossen ist dies aber noch nicht. Nur wenige Kilometer vom Ort der Explosion waren 2005 der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und 21 weitere Menschen bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden.
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AFP_1WA836 (Foto: -/AFP)

++ Opferzahl in Beirut steigt immer weiter: 135 Tote, 5000 Verletzte

Die Zahl der Opfer nach der verheerenden Explosion in Beirut steigt immer weiter. Dabei seien in der libanesischen Hauptstadt mindestens 135 Menschen getötet und weitere 5000 verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Hassan Hamad laut einem Bericht des Fernsehsenders MTV am Mittwoch. Zuvor war nach offiziellen Angaben von mindestens 113 Toten und etwa 4000 Verletzten die Rede.

++Augenzeuge berichtet, wie er die Detonation erlebt hat

André Sleiman lebt im Libanon und hat Schwäbische.de im Videointerview erzählt, wie es im ergangen ist während der Explosion und wie es nun weitergehen soll mit ihm.

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AFP_1WA78M (Foto: Patrick Baz/AFP)
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dpa_5FA20A0093E8655A (Foto: Thibault Camus)

++ UN-Tribunal verschiebt Urteilsverkündung zu Attentat im Libanon

Angesichts der verheerenden Explosion in Beirut hat das UN-Sondertribunal zum Libanon die Urteilsverkündung im Fall des ermordeten früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri verschoben . Das Urteil sollte am Freitag in Den Haag verlesen werden. Die Entscheidung „geschah aus Respekt für die unzähligen Opfer der zerstörerischen Explosion , die Beirut am 4. August erschütterte, und der dreitägigen öffentlichen Trauer im Libanon“, erklärte das Gericht am Mittwochabend in Leidschendam bei Den Haag.

Das Gericht drückte seine Solidarität mit dem libanesischen Volk in „diesen schwierigen Zeiten“ aus. Das Urteil soll nun am 18. August verlesen werden. Vier Mitglieder der militanten Hisbollah-Bewegung sind wegen des Terroranschlages von 2005 angeklagt worden. Der Prozess war in ihrer Abwesenheit geführt worden.

++ Zahl der Toten in Beirut auf mindestens 113 gestiegen

Am Tag nach den verheerenden Explosionen im Hafen von Beirut ist die Zahl der Toten nach Regierungsangaben am Mittwochnachmittag auf mindestens 113 gestiegen . Mindestens 4000 Menschen seien verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan zu Reportern. Dutzende Menschen würden noch immer vermisst , die Suche nach Überlebenden dauere an.

Unter den Verletzten sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Paris auch mindestens 21 Franzosen . Die französische Behörde kündigte am Mittwochnachmittag an, wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung eine Untersuchung zu den Explosionen einzuleiten.

Durch die zwei Explosionen am Dienstag war nach Angaben der libanesischen Behörden halb Beirut zerstört oder beschädigt worden. Nach Regierungsangaben waren 2750 Tonnen ohne geeignete Vorsichtsmaßnahmen gelagertes Ammoniumnitrat explodiert, das vor Jahren beschlagnahmt worden war. Die Substanz kann für Düngemittel oder zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden.

++ Auch norwegische Botschaft bei Explosion in Beirut beschädigt

Bei der schweren Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut ist auch die Botschaft von Norwegen beschädigt worden. Alle Botschaftsmitarbeiter seien wohlauf, sagte die norwegische Außenministerin Ine Eriksen Søreide am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Oslo. Gleichzeitig gab sie bekannt, dass Norwegen dem Libanon zunächst 25 Millionen Kronen ( 2,35 Millionen Euro ) sowie 40 Tonnen an medizinischer Ausrüstung anbiete.

++ Bundesregierung teilt Trumps Einschätzung nicht

Die Bundesregierung teilt nicht die Einschätzung von US-Präsident Donald Trump, wonach die Explosionen in Beirut auf eine Bombe zurückzuführen seien. Es scheine sich „um ein schreckliches Unglück zu handeln“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin. Die Bundesregierung habe dazu aber „keine eigenen Kenntnisse“ und wolle sich „nicht an Spekulationen beteiligen“.

Trump hatte die Explosionen in Beirut als mutmaßlichen „Angriff“ mit einer „Art von Bombe“ bezeichnet. „Es sieht wie ein furchtbarer Angriff aus“, sagte er am Dienstag. Auf Nachfrage führte der Präsident aus, seine Generäle hätten ihm gesagt, dass es sich allem Anschein nach nicht um einen Unfall, sondern um einen Angriff gehandelt habe: „Es war eine Art von Bombe, ja.“

++ Europäische Hilfsaktionen laufen an

Über das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen der EU werden mehr als 100 Katastrophenhelfer in die libanesische Hauptstadt Beirut geschickt. Die Experten von Feuerwehren kämen aus den Niederlanden , Tschechien und Griechenland und seien mit Hunden und Spezialgerät unterwegs, teilte der für das EU-Krisenmanagement zuständige Kommissar Janez Lenarcic am Mittwoch mit.

Zudem hätten auch Frankreich , Polen und Deutschland bereits Hilfe über den EU-Krisenmechanismus angeboten. Zur Beurteilung der Schäden würden Satellitenbilder des europäischen Copernicus-Dienstes bereitgestellt.

Das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen der EU war bereits am Dienstagabend in Kontakt mit den libanesischen Katastrophenschutzbehörden getreten. "In diesem schwierigen Moment bietet die Europäische Union dem libanesischen Volk seine volle Unterstützung an", kommentierte Lenarcic am Mittwoch.

Menschen laufen nach der Explosion über eine von Trümmern übersäte Straße. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa
Menschen laufen nach der Explosion über eine von Trümmern übersäte Straße. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa (Foto: Hassan Ammar/DPA)

++ Bundesregierung bereitet Hilfen für den Libanon vor

Nach den verheerenden Explosionen in der libanesischen Hauptstadt Beirut bereitet die Bundesregierung Hilfsmaßnahmen vor. Auf Bitten der libanesischen Regierung könnte noch am Mittwoch eine 47-köpfige Einsatzeinheit des Technischen Hilfswerks nach Beirut starten, um bei der Bergung von Verschütteten zu helfen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin. Zudem werde ein Botschaftsunterstützungs-Team entsandt, das zur Arbeitsfähigkeit der deutschen Vertretung vor Ort beitragen soll.

Zur genauen Zahl der verletzten Deutschen konnte die Bundesregierung weiterhin keine Angaben machen. „Wir haben Hinweise auf einzelne verletzte Deutsche und viele Hinweise auf schwere Sachschäden“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Eine „belastbare Zahl“ der Verletzten könne aber noch nicht genannt werden. „Die Lage vor Ort muss als chaotisch bezeichnet werden“, sagte er. Insgesamt gebe es „eine erhebliche Anzahl von Deutschen“, die im Libanon leben.

Die Kanzlei der Botschaft sei beschädigt worden, sagte der Sprecher. Die deutsche Vertretung habe aber auf eine andere Liegenschaft ausweichen können, so dass die Arbeitsfähigkeit gewährleistet sei. Inwieweit die alten Liegenschaften noch genutzt werden könnten, müsse zunächst statisch und brandschutztechnisch geprüft werden.

++ Zehntausende mit einem Schlag obdachlos

Die verheerende Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut hat die Wohnungen von Zehntausenden Menschen zerstört. Beiruts Gouverneur Marwan Abbud sagte am Mittwoch dem libanesischen Sender MTV, zwischen 200 000 und 250 000 Einwohner hätten ihre Unterkünfte verloren. Der Schaden liegen zwischen drei und fünf Milliarden Dollar, erklärte Abbud weiter, wie die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete.

Die Explosion hatte am Dienstag Beirut und das Umland erschüttert. Große Teile des Hafens wurden vollständig zerstört. Aufnahmen zeigten ein Bild der Verwüstung. Auch angrenzende Wohngebiete wurden stark beschädigt. Die genaue Ursache der Detonation war zunächst unklar. Das libanesische Kabinett traf sich am Mittwoch zu einer Dringlichkeitssitzung.

Ein älterer Herr sitzt nach der Explosion im Hafen von Beirut mit einem Verband auf dem Kopf auf der Straße. Foto: Marwan Naamani/dpa
Ein älterer Herr sitzt nach der Explosion im Hafen von Beirut mit einem Verband auf dem Kopf auf der Straße. Foto: Marwan Naamani/dpa (Foto: Marwan Naamani/DPA)

Experten warnten vor den Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, die seit Monaten ohnehin unter einer der schwersten Krisen in der Geschichte des Libanons leidet. "Diese Explosion ist der Sargnagel für die Wirtschaft des Libanons und für das Land im Allgemeinen", sagte der libanesische Analyst Makram Rabah der Deutschen Presse-Agentur. Die Menschen könnten ihre Häuser nicht wieder aufbauen, weil ihnen das Geld fehle. Der Hafen in Beirut sei zudem die Lebensader des Landes. Da dort unter anderem Getreidesilos zerstört worden sei, müsste das Land jetzt mit Hunger und Engpässen bei Brot rechnen.

++ Mit zahlreichen weiteren Opfern wird gerechnet

Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 100, wie das libanesische Rote Kreuz am Mittwoch erklärte. Demnach wurden etwa 4000 Menschen verletzt . Rettungshelfer suchten in den Trümmern nach weiteren Opfern. Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, George Kattanah, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Zahl der Opfer werde wahrscheinlich weiter steigen.

Aus Sicherheitskreisen hieß es, es würden noch mindestens 100 Menschen vermisst. "Es liegen noch immer viele Menschen unter den Trümmern", sagte ein Offizieller, der ungenannt bleiben wollte.

Die Ermittler suchen zudem weiter nach der Ursache für die gewaltige Detonation in der Hauptstadt des Landes am Mittelmeer. Möglicherweise wurde sie durch eine sehr große Menge Ammoniumnitrat ausgelöst, die im Hafen gelagert worden war. Regierungschef Hassan Diab erklärte den Mittwoch zum Tag der landesweiten Trauer in Gedenken an die Opfer.

++ Ammoniumnitrat: Hochexplosives Düngemittel

Ammoniumnitrat, das auch zur Herstellung von Sprengsätzen dient, kann bei höheren Temperaturen detonieren. Die Substanz dient zum Raketenantrieb und vor allem zur Herstellung von Düngemittel .

Von der Wucht der Explosion sind Autos umgekippt worden. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa
Von der Wucht der Explosion sind Autos umgekippt worden. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa (Foto: Hassan Ammar/DPA)

Die farblosen Kristalle befanden sich auch in dem Gefahrgutlager der chinesischen Hafenstadt Tianjin, wo 2015 nach einer Serie von Explosionen 173 Menschen getötet wurden. In Deutschland fällt die Handhabung von Ammoniumnitrat unter das Sprengstoffgesetz .

Der Stoff könnte von einem Frachtschiff stammen, dem libanesische Behörden laut Berichten im Jahr 2013 wegen verschiedener Mängel die Weiterfahrt untersagt hatten. Das Schiff war demnach von Georgien aus ins südafrikanische Mosambik unterwegs. Der Besatzung gingen dann Treibstoff und Proviant aus, der Inhaber gab das Schiff offenbar auf.

Der Crew wurde nach einem juristischen Streit schließlich die Ausreise genehmigt. Das Schiff blieb zurück mit der gefährlichen Ladung, die in einem Lagerhaus untergebracht wurde.

++ Viele Länder bieten Hilfe an - so auch Israel

Regierungen anderer Länder zeigten sich betroffen und stellten rasche Unterstützung in Aussicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich „erschüttert“, wie die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer die Kanzlerin zitierte.

Deutschland stehe dem Libanon in der „schweren Stunde zur Seite“, twitterte Außenminister Heiko Maas. Auch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft seien unter den Verletzten.

Auch die Europäische Union und Frankreich - frühere Mandatsmacht des Libanon - stellten Hilfen in Aussicht. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte bestürzt und drückte den Familien der Opfer sein „tiefstes Beileid“ aus.

Selbst Israel, das mit dem benachbarten Libanon keine diplomatischen Beziehungen pflegt, bot über ausländische Kanäle „medizinische humanitäre Hilfe“ an. Offiziell befinden sich beide Länder noch im Krieg. Spekulationen, dass Israel hinter der Explosion stecken könnte, räumte Außenminister Gabi Aschkenasi aus.