StartseitePolitikUkraine nach angeblichem Mord an Reporter in Erklärungsnot

Mord

Ukraine nach angeblichem Mord an Reporter in Erklärungsnot

Moskau / Lesedauer: 3 min

Vermeintlich getöteter Reporter erscheint bei Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdienstes
Veröffentlicht:31.05.2018, 19:47

Artikel teilen:

Die Ukraine feiert den vorgetäuschten Mord am russischen Journalisten Arkadi Babtschenko als großen Erfolg. Doch langfristig könnte der Fall der Glaubwürdigkeit der Regierung schaden.

„Oletschka, verzeih mir bitte“, bat Arkadij Babtschenko seine Frau. Sie müsse „durch die Hölle gegangen“ sein, sagte er noch sichtlich bewegt. „Ich möchte mich für das entschuldigen, was Sie alle durchmachen mussten“, meinte der russische Oppositionelle, der am Vortag in der Kiewer Wohnung der Familie mit drei Schüssen in den Rücken niedergestreckt worden war. Seine Frau hielt sich zum Zeitpunkt des Überfalls in einem Nebenraum auf und fand ihn in einer Blutlache. Auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb der 41jährige Kriegskorrespondent – das war jedenfalls noch am Dienstagabend die Version für die Presse.

Am Mittwoch tauchte der Schriftsteller bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdienstes SBU wieder auf, putzmunter und mit einem Lächeln auf den Lippen. SBU-Chef Wassilij Grizak hatte den bis dahin im Hintergrund wartenden Mann aufgefordert, doch an der Konferenz teilzunehmen. Der Coup war gelungen, die Anwesenden trauten ihren Augen nicht. Babtschenko lebt! Spontan brach Beifall aus. Zuvor hatte der Geheimdienstchef erklärt, die Hintergründe des Mordes seien bereits gelöst.

Killer angeheuert

Was Grizak dann erzählte, klang wie ein großer Erfolg. Die Fahnder hätten einen Ukrainer identifiziert, dem der russische Geheimdienst rund 40000 Dollar für Organisation und Mord an Babtschenko gezahlt habe. Daraufhin sei ein Killer angeheuert worden, der zuvor im Kriegsgebiet in der Ostukraine gekämpft hatte. Der Organisator sei bereits am Mittwoch dingfest gemacht worden. „Wir haben einen Mordanschlag auf Babtschenko mit einem Spezialeinsatz verhindert“, so Grizak zufrieden.

Der vermeintliche Mord sei über Monate vorbereitet worden, um Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes aufzudecken. Rund 30russische Emigranten seien ins Visier der Moskauer Aufklärer geraten. Überdies sollten angeblich auch Waffen beschafft werden.

Der ukrainische Ministerpräsident Wladimir Groisman hatte unmittelbar nach dem vermeintlichen Mord Moskau für die Tat verantwortlich gemacht. Putins Sprecher Dmitri Peskow reagierte umgehend und nannte es „den Gipfel des Zynismus“.

Die Ukraine spiele mit Leben und Tod sowie dem Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und verbreite antirussische Hysterie, teilte das Außenministerium mit: „Wir sind überzeugt, dass ausländische Partner und internationale Institutionen aus dieser Situation ihre Schlüsse ziehen“.

In der Tat steht die Ukraine jetzt unter Zugzwang. Sie muss Erkenntnisse preisgeben, um Zweifel an der eigenen Darstellung des Sachverhalts zu zerstreuen. Denn die Umstände der Affäre werfen in der Tat Fragen auf. Hätte man nicht andere Wege finden können, Mord zu verhindern und Täter zu überführen? „Reporter ohne Grenzen“ sieht bereits die „Glaubwürdigkeit des Journalismus“ gefährdet. Journalisten dürften sich nicht zum Instrument von Geheimdienstoperationen machen lassen, erklärte die Organisation am Donnerstag in Berlin.

Arkadij Babtschenko verteidigt sich. Die Gefahr eines Anschlags auf ihn sei real gewesen. „Alles war genau so wie gesagt“, schreibt er auf Facebook. Wer ihm vorwerfe, die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben, solle doch Prinzipienfestigkeit und Moral beweisen und stolz erhobenen Hauptes sterben, meint der Kriegsberichterstatter ironisch. Überdies sei er nicht dazu gezwungen worden, an der Aktion teilzunehmen.

Schwierige Beweislage

Hatte Moskau die Hände diesmal mit im Spiel? Wenn ja, wäre die Beweislage wie immer schwierig. Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja 2006 ist bis heute nicht aufgeklärt, ebensowenig wie der Tod des Oppositionellen Boris Nemzow, der 2015 vor dem Kreml erschossen wurde. Wer steckte hinter dem Polonium-Anschlag auf den geflohenen FSB-Mitarbeiter Alexander Litwinenko in London 2006? Wie lässt sich die Vergiftung des Überläufers Sergej Skripal in Salisbury bewerten? Wer schickte eigentlich russische Militärs in die Ostukraine? Die letzten Beweise in jedem dieser Fälle fehlen, die Verdachtsmomente sind jedoch erdrückend.