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Kinderimpfung

Stiko-Chef zu Kinderimpfung: „Nicht vornehmlich gegen Omikron“

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Stiko-Chef Thomas Mertens zur Anwendung von Corona-Vakzinen bei Kindern
Veröffentlicht:27.06.2022, 17:00

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Millionen Kleinkindern in den USA wird seit der vergangenen Woche erstmals eine Corona-Impfung angeboten. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte den Herstellern Biontech/Pfizer und Moderna Notfallzulassungen für Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren erteilt. Kritiker stellen indes die Methodik und Aussagekraft jener Studien infrage, die Grundlage für die Zulassung in den USA waren. Der Ulmer Virologe Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) nimmt dazu Stellung.

In den Zulassungsstudien in den USA wird die Effektivität der Corona-Impfung von Biontech/ Pfizer in der Altersgruppe von sechs Monaten bis vier Jahren mit 80,4Prozent angegeben, dafür wurden aber nur zehn Fälle herangezogen. Kann eine so geringe Datengrundlage ausreichend sein?

Bei einer gut durchgeführten Klinischen Studie können auch kleine absolute Zahlen durchaus aussagekräftig sein. Ein Problem ist, dass kleine Kinder Gott sei Dank sehr selten schwer nach SARS-CoV-2-Infektion erkranken, insbesondere bei Infektion durch die Omikron-Variante. Es wurden deshalb auch noch weitere immunologische Daten herangezogen. Es zeigte sich, dass die quantitative Immunantwort in zwei Altersgruppen – sechs bis 23 Monate und zwei bis bis vier Jahre – ebenso gut war wie in den früher durchgeführten Studien bei den älter als 18-Jährigen.

Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko).

Die Verträglichkeit des Impfstoffes wurde bei 1178 sechs bis 23 Monate alten Kindern und bei 1835 zwei- bis vierjährigen Kinder geprüft. Die Verträglichkeit war mit bekannten vorübergehenden Impfreaktionen gut. Natürlich reichen diese Zahlen nicht aus, um seltene Nebenwirkungen auszuschließen. Daher werden auch nach Beginn des Einsatzes des Impfstoffes fortlaufend Sicherheitsüberwachungen durchgeführt.

Man muss auch sagen, dass dieser Impfstoff in anderen Altersgruppen weltweit bereits milliardenfach eingesetzt worden ist. Es gibt zwar Nebenwirkungen, der Impfstoff ist aber entgegen mancher „Fake News“ insgesamt gut verträglich. Nach einer ganz neuen Untersuchung hat er weltweit Millionen Menschenleben gerettet.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Zahl der schweren Verläufe nach einer Corona-Infektion sei bei geimpften Kindern tatsächlich höher gewesen als bei ungeimpften. Kann man dies tatsächlich aus den Daten herauslesen?

Nein, das ist so keinesfalls korrekt. In der verfügbaren Zwischenauswertung wurden in der Altersgruppe 6-23 Monate drei Fälle von Covid-19 beobachtet – ein Fall bei den Impflingen und zwei in der Placebogruppe. Allerdings war die Placebogruppe nur halb so groß wie die Gruppe der Geimpften. Hier errechnet sich eine Impfstoff-Effektivität von 75,6%. Bei den Zwei- bis Vierjährigen traten zwei Fälle bei den Impflingen und fünf Fälle in der Placebogruppe auf.

Auch hier war die Placebogruppe nur halb so groß wie die Gruppe der Geimpften. Die errechnete Effektivität beträgt hier 82,4 Prozent. Die oben in der Frage angegebenen Zahlen sind die Zusammenfassung der Fälle und insgesamt eine Effektivität von 80,4 Prozent. Wie gesagt, sind Covid-19-Fälle bei Kindern dieser Altersgruppe selten. Zeitgleich wurde auch der Impfstoff von Moderna, mit etwas anderer Dosierung, aber ähnlichen Ergebnissen, für kleine Kinder zugelassen.

In Deutschland empfiehlt die Stiko neuerdings eine einzelne Impfung, vorzugsweise mit dem BioNTech-Impfstoff, für alle Fünf- bis Elfjährigen. Was ist der Grund?

Die eigentlich kluge Stiko-Empfehlung zur jetzt einmaligen Impfung der Fünf- bis Elfjährigen ist leider vielfach nicht verstanden worden. Diese Impfung richtet sich nicht vornehmlich gegen die derzeit kursierende Omikron-Variante, sondern dient zur Erzeugung einer gesichert besseren und breiteren, sogenannten hybriden Immunität in der Kombination von durchgemachter, aber schlecht schützender Omikron Infektion und Impfung. Wir erreichen einen sicher besseren Immunschutz auch gegen mögliche stärker krankmachende Virusvarianten im Herbst und Winter, also eine bessere Basisimmunität. Das Myokarditis-Risiko...

... also das Risiko einer Herzmuskelentzündung ...

...ist gut untersucht und ganz minimal. Man erreicht eine noch weitere Reduktion des Myokarditis-Risikos bei größerem Impfabstand und zusätzlich einen besseren langfristigen Impfschutz durch Verlängerung des Impfintervalls – sollte im Herbst eine Zweitimpfung nötig werden.

Haben die oben genannten Daten eine Rolle bei der Entscheidung gespielt, die Impfung für noch jüngere Kinder derzeit nicht zu empfehlen?

Der Impfstoff ist für Kinder unter fünf Jahren derzeit in der EU nicht zugelassen. Die Stiko wird wie immer vorgehen, die Krankheitslast in der Gruppe der jüngeren Kinder in Deutschland genau bestimmen – diese ist bei uns geringer als in USA – und alle Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit genau prüfen. Erst danach kann gegebenenfalls eine Empfehlung gegeben werden.