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Ansprache

Start für Populisten-Regierung in Italien

Rom / Lesedauer: 5 min

Designierter Ministerpräsident will „Verteidiger des italienischen Volkes“ sein – Start für Populisten-Regierung
Veröffentlicht:23.05.2018, 21:31

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Der designierte italienische Regierungschef Giuseppe Conte will die Interessen seines Landes in der EU verteidigen. Bei seiner ersten öffentlichen Ansprache in der Rolle des künftigen Ministerpräsidenten betonte der Jurist die „internationale und europäische Aufstellung Italiens“. Er wolle jetzt als „Verteidiger des italienischen Volkes“ die nationalen Interessen auf EU- und internationaler Ebene vertreten und die Themen „Finanz- und Einwanderungspolitik im Sinne der Nation Italien“ bearbeiten, erklärte Conte am Mittwoch in Rom. Zuvor hatte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella den parteilosen Juristen und Hochschulprofessor mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Rund 80 Tage nach den Parlamentswahlen am 4. März. Der Weg für eine rein populistische und europakritische Regierung ist damit frei.

Mittwochvormittag herrschte unter den beiden wahrscheinlichen Regierungsparteien, der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Luigi Di Maio und der fremdenfeindlichen Lega von Matteo Salvini, noch Ernüchterung und Enttäuschung vor. Mattarella hatte sich Dienstagabend, nachdem er die Delegationen der Lega und der M5S empfangen hatte, die ihm mitteilten, dass sie Conte zum Regierungschef ernennen lassen wollen, Bedenkzeit erbeten. Aus dem barocken Quirinalspalast, dem prächtigen Amtssitz Mattarellas, wurde nach diesem Treffen bekannt, dass dem Staatspräsidenten die Person Conte nicht gefalle.

Ungereimtheiten in der Biografie

Mattarella hatte Probleme mit Conte aus vor allem zwei Gründen. zum einen, weil bekannt geworden war, dass der Hochschulprofessor anscheinend seine akademische Biografie gefälscht hatte. Die „ New York Times “ hatte bei der New York University nachgefragt, ob Conte dort wirklich, wie in seinem Lebenslauf zu lesen ist, studiert hatte. Die Antwort war negativ. Eine ebenso negative Antwort kam von der Pariser Universität Sorbonne. Zum anderen hatte Mattarella Probleme mit Conte, weil er an der Niederschrift des Regierungsprogramms von Lega und M5S nicht beteiligt war. Erst als das Programm verfasst war, gingen die beiden Parteien auf die Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Regierungschefs. Mattarella hatte also allen Grund zu befürchten, dass ein auf diese Weise von den zukünftigen Regierungsparteien ausgesuchter Kandidat nicht mehr sein werde als eine, so die Tageszeitung „Il Foglio“, „Marionette zweier Parteien“. Der italienischen Verfassung nach muss aber ein Regierungschef den Parteien vorstehen, die Richtung vorgeben und die volle Verantwortung tragen.

Conte und die M5S, der der ehemalige sozialdemokratische Wähler und Jurist politisch nahesteht, erklärten nach Bekanntwerden der Informationen um den vermeintlich gefälschten Lebenslauf, dass es sich um, so Luigi Di Maio „böse Verleumdung unserer politischen Gegner handelt“. Gut informierten Kreisen um den Staatspräsidenten zufolge, habe dieser den ganzen Dienstag darauf gewartet, dass Conte und die M5S entsprechende Nachweise für die akademische Tätigkeit des Juristen in New York und Paris vorlegen. Genau das geschah aber nicht.

Bekannt wurde Dienstag auch, dass Conte als Jurist im Jahr 2003 eine Organisation unterstützt hatte, die eine Heilungsmethode propagierte, die vom Gesundheitsministerium als Scharlatanerie verworfen wurde. Conte soll dieser Organisation auch privat nahegestanden haben. Enthüllt wurde auch, dass Conte 2009 eine Hypothek auf seine römische Wohnung aufnehmen musste, weil er eine Steuerschuld von 26 000 Euro zu begleichen hatte. Diese Steuerschuld sei entstanden, so seine Verteidigung, weil der Portier des Mehrfamilienhauses eine entsprechende Zahlungsaufforderung für eine Steuer auf die Wohnung verbummelt habe. Für die meisten Italiener klingt diese Entschuldigung ziemlich unglaubwürdig.

Bis Mittwochmittag sah alles danach aus, dass sich Mattarella gegen Conte aussprechen würde. Dienstagabend setzte Matteo Salvini, Chef der Lega, ein Kurzvideo ins Netz, in dem er erklärte, dass „wenn Conte nicht Regierungschef wird, es eben Neuwahlen geben muss“. Auf diese Linie verständigten sich Lega und M5S. Mittwochmorgen erklärten sie dem Staatspräsidenten, dass ihr Kandidat Conte sei und bleibe.

Nicht nur die innenpolitische Lage hatte sich im Laufe von Dienstag und Mittwoch zugespitzt. Auch die internationale Lage wird dazu geführt haben, dass Mattarella schließlich nachgab, und Conte mit der Regierungsbildung beauftragte.

Das italienische Hin und Her um eine Regierung aus zwei populistischen Parteien irritiert zunehmend die Finanzmärkte. Die Börse in Mailand verlor mit jedem Tag mehr Prozentpunkte. Das Münchner ifo-Institut erklärte am Dienstag, dass eine Regierung aus Lega und M5S die Grundlagen der Eurozone infrage stellen könnte. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft sprach von der „Sorge um eine neue Finanzkrise für die gesamte EU“, sollte die neue Regierung Italiens die angekündigten Steuersenkungen und Geldgeschenke an die Bürger wahr machen.

Brüssel ist besorgt

Auch aus Brüssel kamen zunehmend besorgniserregende Äußerungen. Die europakritische Koalition aus Lega und M5S erklärte noch am Mittwoch, dass man weniger sparen müsse, um die ehrgeizigen Ziele des Regierungsprogramms realisieren zu können. Die Koalition erklärte auch, dass es sie nicht störe, dass Italien mit knapp 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eine der weltweit höchsten Staatsverschuldungen vorweist.

Mattarella wird alle diese Probleme abgewogen haben und schweren Herzens zu dem Ergebnis gekommen sein, dass es besser ist, unverzüglich auch mit dem umstrittenen Giuseppe Conte eine Regierung zu bilden, um drohende Neuwahlen im Sommer oder Herbst zu verhindern.

Neuwahlen hätten die politisch und auch wirtschaftlich unsichere Lage Italiens enorm verschärft. Ob allerdings eine kommende rechte, ausländerfeindliche, populistische und EU-kritische Regierung unter Conte die politische und wirtschaftliche Lage beruhigen wird, bleibt abzuwarten. Italien steht jedenfalls vor einem historischen Wandel.