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Kehrreim

Sicherheitskonferenz: Die Welt aus den Fugen

Politik / Lesedauer: 7 min

In München klang vieles nach neuem Kalten Krieg
Veröffentlicht:14.02.2016, 19:05

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Wie ein Kehrreim ziehen sich drei Begriffe durch die Vorträge und Diskussionen in München. Immer wieder tauchen sie auf, ganz gleich, ob jemand Russisch spricht, ob eine Rede auf Deutsch, Englisch oder Französisch gehalten wird. IS, Isis, Daesh geht der Refrain, den mal der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew bemüht, dann der jordanische König Abdullah II., US-Außenminister John Kerry oder sein iranischer Amtskollege Javad Zarif.

IS, Isis, Daesh - drei Bezeichnungen für die Terrororganisation Islamischer Staat. Dass sie besiegt werden wird, wurde auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, dass sie eine Bedrohung für alle zivilisierten Nationen sei. Sollte jemand, was wahrscheinlich ist, in der Propagandaabteilung des Islamischen Staates in Rakka in Syrien im Livestream den Münchner Beratungen der Mächtigen der Welt zuhören, kann er mit dem, was da am Wochenende aus dem Hotel Bayerischer Hof gesendet wurde, vollauf zufrieden sein.

Denn wo beim wichtigsten militärpolitischen Treffen überhaupt vor einem Jahr noch der Krieg in der Ostukraine analysiert, wo über die Herausforderungen nach der russischen Besetzung der Krim gestritten wurde, ging es jetzt bei den Gesprächen von 600 Präsidenten, Ministern, Strategieexperten und Militärs vor allem um den Islamischen Staat. Und um all das, was aus ihm folgt: die Rolle Russlands in Syrien, die Flüchtlingsbewegungen nach Europa und die Unfähigkeit Europas zum gemeinsamen Handeln.

Reale Bedrohung

Westeuropäische Vertreter aus Italien, Frankreich, Deutschland sind alarmiert und ringen um Luft zum Nachdenken. Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, warnte vor einem Zerfall der EU . Konsterniert wirkte er angesichts der Neigung in vielen EU-Staaten, nach nationalen Lösungen für Flüchtlingskrise und Terrorangst zu suchen, anstatt nach gesamteuropäischen. Der Chef der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte eindringlich vor Pseudo-Lösungen und forderte viel mehr EU, als es sie jetzt gibt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte, dass es keinesfalls sicher sei, dass die EU bei der nächsten Sicherheitskonferenz im Februar 2017 überhaupt noch in ihrer jetzigen Form existiere.

Wie real die Bedrohung für Europa ist, konnte man ahnen, als Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls nüchtern feststellte, dass die islamistische Bedrohung bleiben werde, ja, dass sie vielleicht für eine Generation das Leben in Europa bestimmen werde. Und Politiker mit Einblick in Geheimdienstberichte bestätigen beim Kaffee im altehrwürdigen Hotel Bayerischer Hof, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weitere Terroranschläge in Europa und speziell in Deutschland bevorstünden. Nur, welcher Politiker sagt das seinen Wählern, wenige Wochen vor wichtigen Landtagswahlen und ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl?

Terror verdrängt andere Themen

Heute sind die Konflikte in weit entfernten Regionen, in Syrien oder der Ukraine, auch für jene fassbar, die nie dort gewesen sind. Verlässt man die Bannmeile um den Bayerischen Hof, begegnen einem in den Einkaufspassagen am Marienplatz Flüchtlinge aus Syrien. Ein junger Ukrainer mit Rucksack, der um etwas Geld bettelt, sagt, er käme aus Donezk und lasse sich nun, während zu Hause gekämpft wird, durch Europa treiben.

Natürlich wurde bei den 52.Münchner Sicherheitsgesprächen, der früheren Wehrkundetagung, auch über anderes gesprochen: über Industriespionage, das Freihandelsabkommen TTIP oder über Chinas veränderte Rolle in der Welt. Doch oft schien es, als würde der Krieg in Syrien, die Flucht von Millionen und der Terror einiger weniger, all die anderen Themen beiseite schieben. Europa, besonders Westeuropa, wirkte, als sei es nach München gekommen, um sich vom Rest der Welt trösten zu lassen.

Der amerikanische Außenminister erklärte, die USA würden mit Europa fühlen in dieser Lage und man säße keinesfalls auf der anderen Seite des „great pond“, des großen Teichs, und beobachte ungerührt, was da geschehe. Aber John Kerry sagte auch, „dieser Moment ist nicht so überwältigend, wie manche Menschen glauben“. Will sagen: Stellt euch nicht so an, kriegt die Lage in den Griff.

Abneigung gegen Europa

Aber Europa ist uneins. Und aus Uneinigkeit zu handeln, ist in einem Interessenzusammenschluss, in dem Einigkeit gefragt ist, fast unmöglich. Das machte gerade der neue polnische Präsident Andrzej Duda sehr deutlich, der eine Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland geradezu herbeiredete und vor allem ein größeres Engagement der Nato forderte. Dabei erinnerte der Staatschef mit seiner Mahnung, man möge Polen bitte ernst nehmen, an den russischen Präsidenten Putin. Erst auf Nachfrage erklärte der wenig überzeugende Duda, dass die EU auch da sei und Probleme habe. Aber wie soll man Europa zusammenhalten, wenn schon der ranghöchste Mann des wichtigsten osteuropäischen EU-Staates aus seiner Abneigung gegen Europa und gegen Deutschland keinen Hehl macht?

„Schengen-Zone faktisch zerfallen“

Russlands Ministerpräsident Medwedew bot sich mit einer aggressiven Rede als Opfer und Retter zugleich an. Es vergehe doch kaum ein Tag, klagte der Mann mit dunklen Ringen unter den Augen, in denen Russland nicht zur größten Bedrohung überhaupt erklärt werde. Sein Präsident, Wladimir Putin, habe schon 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Westen der Doppelmoral bezichtigt, niemand habe auf ihn gehört und heute sei alles noch viel schlimmer. Und im Übrigen, sagte er an die EU-Vertreter gewandt, sei doch die Schengen-Zone „faktisch zerfallen“.

Der Russe appellierte an Europa, sich gemeinsam gegen den großen Feind, den islamistischen Terror zu stellen. Eine Parlamentsabgeordnete aus der Ukraine hielt ihm entgegen, Russland habe in Georgien getötet, dann in der Ukraine und jetzt in Syrien. Medwedew machte sich eifrig Notizen. „Die Russen haben eine andere Dialektik“, stellte der Aalener CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter fest.

Medwedew traf auch noch den bayerischen Ministerpräsidenten, nachdem dieser wenige Tage zuvor schon bei Putin in Moskau gewesen war. Dem festlichen Abendessen in Seehofers Residenz blieben daraufhin fast alle geladenen US-Senatoren fern.

Nukleare Abschreckung

Putin will Europa zersetzen und Europa wehrt sich kaum. Lediglich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hielt den Russen entgegen, sie destabilisierten die europäische Ordnung. Der Norweger wies drohend darauf hin, dass es im westlichen Verteidigungsbündnis eine nukleare Komponente der Abschreckung gebe. Der amerikanische Außenminister hatte den Europäern gesagt, er wisse sehr wohl, wie schwierig es sei, immer seine eigenen Werte zu leben. Nach dem Vortrag von Medwedew mochte sich mancher Beobachter fragen, ob die Russen und der Westen überhaupt gemeinsame Werte haben.

Während man sich in Europa auf der Sicherheitskonferenz um sich selber dreht, braut sich weitgehend unbeachtet im Maghreb Unheilvolles zusammen. Der Islamische Staat weitet seine Macht in Libyen aus, nur 300Kilometer von Europa entfernt. Das relativ stabile Tunesien stöhnt unter der Last der vielen libyschen Flüchtlinge, und die tunesische Friedensnobelpreisträgerin Wided Bouchamaoui fordert dringend militärischen Beistand für ihr Land (siehe Interview unten). Die Welt ist aus den Fugen, sagten die einen in München, andere sprachen lediglich von stürmischen Zeiten. „Macht keine dummen Sachen“, titelte die Sonderausgabe der amerikanischen „Atlantic Times“ zur Sicherheitstagung.

Lob für Angela Merkel

Wege aus der Resignation zeigten in München zwei Muslime: Der iranische Außenminister beschwor die Notwendigkeit zum Perspektivenwechsel. Erst als sowohl Iran als auch der Westen erkannt hätten, dass festgefahrene Atomverhandlungen niemandem nützten, sei Bewegung in die Gespräche über das iranische Nuklearprogramm gekommen. König Abdullah II. von Jordanien machte den Deutschen klar, dass Angela Merkel draußen in der Welt vielen wegen ihrer Flüchtlingspolitik als Heldin gilt. „Ich bewundere ihre Weisheit und Weitsicht“, sagte Abdullah.