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Seehofer legt im Asylstreit nach: Merkel mache „aus Mickey Maus ein Monster“

Berlin / Lesedauer: 7 min

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärt seinen Standpunkt im Asylstreit mit der CDU
Veröffentlicht:22.06.2018, 07:39

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Nach hundert Tagen als Bundesinnenminister ist Horst Seehofer (CSU) zu einer der meistbeachteten Politiker Europas geworden. Sein Streit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über Zurückweisungen von Asylbewerbern an der deutschen Grenze hat die Regierung in eine tiefe Krise gestürzt. Im Gespräch mit Andreas Herholz hat Seehofer seine Sicht auf den Asylstreit geschildert.

Herr Minister Seehofer, was passiert, wenn es auch beim EU-Gipfel Ende Juni keine europäische Lösung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik gibt? Werden Sie dann im Alleingang handeln und gegen den Willen der Kanzlerin bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze wieder zurückweisen?

Zeit meines Lebens setze ich in schwierigen Situationen auf Gelassenheit und gehe Schritt für Schritt vor. Warten wir ab, ob es in den nächsten Tagen bei den Verhandlungen in Europa zu einer Lösung kommt. Wenn es keine europäische Lösung gibt, werden wir national handeln müssen.

Horst Seehofer sagt, das Grundrecht auf Asyl stehe nicht zur Disposition. Und er glaubt, den „Spuk der AfD“ beenden zu können.

Sie stellen der Kanzlerin ein Ultimatum bis Anfang Juli. Ein Misstrauensvotum gegen die Regierungschefin – geht man so unter Schwesterparteien miteinander um?

Unsinn! Es gibt kein Ultimatum. Die Kanzlerin hat die Bundestagsfraktion der Union gebeten, ihr zwei Wochen Zeit zu geben. Der CSU-Vorstand hat beschlossen, es gehört zum guten Stil, einer solchen Bitte einer Kanzlerin zu entsprechen. Plötzlich wird eine Bitte der Kanzlerin zum Ultimatum von Horst Seehofer umgedeutet. Die Kanzlerin hat sich selbst eine Frist gesetzt. Warten wir doch mal ab, was in den nächsten acht Tagen passiert.

Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ist doch viel erreicht worden. Es kommen weitaus weniger Asylbewerber. Die Obergrenze im Koalitionsvertrag von bis zu 220 000 Asylbewerbern wird in diesem Jahr nicht erreicht. Warum dann der Druck?

Wir haben in den letzten beiden Jahren mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen EU-Staaten zusammen. In den ersten fünf Monaten des Jahres sind fast 80 000 Migranten nach Deutschland gekommen. Im Sommer werden sich erfahrungsgemäß sehr viele weitere zu uns auf den Weg machen.

Es gibt eine neue Fluchtroute über Albanien. Wir haben Informationen aus Italien, dass sich wegen der neuen Regierung dort Hunderttausende Flüchtlinge in Bewegung setzen werden. Da müssen wir präventiv handeln. Für Entwarnung besteht kein Anlass. Deshalb lege ich einen „Masterplan Migration“ mit schärferen nationalen Lösungen vor. Wir müssen wieder für Ordnung in unserem Land sorgen. Es muss gerade bei diesem Punkt klar werden, dass wir verstanden haben. Wir können nicht mehr die Politik von vor der Bundestagswahl fortsetzen.

Warum behandeln Sie Ihren Masterplan wie eine geheime Verschlusssache?

Den Plan haben nur ich und Angela Merkel . Die Bundeskanzlerin hat mit 62 1/2 von 63 Punkten kein Problem. Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus einer Micky Maus ein Monster gemacht. Ich lasse mir meinen Plan nicht zusammenstreichen. Das kommt nicht infrage.

Ziemlich beste Parteifreunde werden sie wohl nicht mehr: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich in der Flüchtlingspolitik heillos zerstritten. Foto: Kay

Kritiker werfen Ihnen vor, es gehe Ihnen nur um den Landtagswahlkampf in Bayern, Sie würden hier nur einen Machtkampf mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ausfechten. Geht es da um alte persönliche Rechnungen?

Ach, das ist doch das Niveau von Feierabend-Politikern. So etwas kommt immer, wenn die Argumente ausgehen. Es gibt umgekehrt nicht wenige in Berlin, die mich loswerden wollen. Die CSU kämpft hier um ihre Überzeugung. Das ist wichtiger als Posten. Ich höre Tag für Tag von vielen Menschen: „Bleiben Sie standhaft. Fallen Sie nicht um!“ Es geht um Glaubwürdigkeit. Das ist die Voraussetzung für das Vertrauen der Menschen. Das ist wichtiger als ein Amt.

Die Richtlinien der Politik werden nach dem Grundgesetz noch immer von der Bundeskanzlerin und nicht vom CSU-Vorstand bestimmt, oder?

Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn? Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden.

Ein Rücktritt kommt für Sie nicht infrage?

Wer redet denn von Rücktritt? Warten wir ab, was im Juli passiert. Wir brauchen eine glaubwürdige Lösung für die Bevölkerung. Daran arbeiten wir. Europa ist in Bewegung gekommen. Das ist schon ein erster großer Erfolg.

Sie fordern eine Asylwende. Steht da auch das Grundrecht auf Asyl zur Disposition?

Nein, das Asylrecht und Artikel 16 stehen nicht zur Disposition. Wir müssen die Fluchtursachen besser bekämpfen als bisher. Deutschland und die Europäische Union müssen dafür sorgen, dass Menschen in ihrer Heimat bekommen, was sie brauchen, damit sie dort bleiben und nicht nach Europa und Deutschland flüchten. Den Transitländern wollen wir mit Polizei, Grenzsicherung und der Einrichtung von sicheren Zonen helfen. In der Türkei ist das gelungen.

Wir brauchen in Europa einheitliche Asyl-Sozialstandards und müssen die Außengrenzen besser schützen. Menschen wandern dorthin, wo die Sozialleistungen am höchsten sind. Wir müssen aber auch national handeln. Nehmen Sie nur den furchtbaren Mord an Susanna. Da haben sich Gerichtsverfahren über Monate und Jahre hingezogen. Die Familie hatte doppelte Identitäten und ist in ihr Heimatland ausgereist, in das sie zuvor nicht abgeschoben werden konnte. Da verliert manch ein Bürger den Glauben an den Rechtsstaat. Da müssen wir was ändern. Die CSU stellt den Bundesinnenminister und der muss dafür sorgen, dass wieder Recht und Ordnung herrschen. Wenn das geschieht, wird der Spuk der AfD vorbei sein. Im Bundestagswahlkampf hatten wir ein doppeltes Vertrauensproblem: Das eine war Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik, das andere, dass sich die CSU nicht durchsetzen konnte.

Sie wollen Asylbewerbern künftig nur noch Sachleistungen gewähren. Die Kommunen halten das für nicht praktikabel…

Wir wollen das und werden das umsetzen. Die Kommunen können nicht einerseits eine Erstattung der Kosten für die Asylbewerber fordern und auf der anderen Seite schnellere Verfahren und kürzere Asylverfahren ablehnen. In den Ankerzentren wird es möglich sein, anstelle von Geldleistungen nur Sachleistungen zu gewähren. Der Vorteil der Ankerzentren ist, dass Flüchtlinge erst auf die Kommunen verteilt werden, wenn klar ist, dass sie Anspruch auf Schutz haben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnt vor Deals mit EU-Staaten und teuren Angeboten, um Unterstützung in der Flüchtlingspolitik zu erhalten. Was spricht dagegen?

Ich weiß nichts von solchen Deals. So etwas wäre aber auch mit der CSU nicht zu machen. Es kann nicht sein, dass EU-Partner Geld dafür bekommen sollen, dass sie geltendes Recht einhalten. Das geht nicht. Zugleich gilt: Staaten an den Außengrenzen Europas, bei denen die Flüchtlinge ankommen und die die Hauptbelastungen tragen, müssen wir helfen.

US-Präsident Donald Trump behauptet, dass die Kriminalstatistik in Deutschland geschönt sei und es deutlich mehr Verbrechen gebe. Sind auch das Fake News?

Das ist falsch. Wir haben in Deutschland die geringste Kriminalität seit 30 Jahren. Auch bei Ausländern ist die Kriminalitätsrate zurückgegangen. Richtig ist: Wir haben ein Problem bei der Gewaltkriminalität. Da muss mehr geschehen. Daran arbeiten wir.

Sie sind auch Sportminister. Haben Sie Verständnis, dass Spieler wie Özil und Gündogan nach ihrem Treffen mit Erdogan immer noch – zum Teil auch bei der WM – ausgepfiffen werden?

Ich bin dafür, dass man mal die Sache gut sein lässt und nach vorne schaut. Die Windschutzscheibe ist wesentlich größer als der Rückspiegel.