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Schwänzen auf Französisch

Paris / Lesedauer: 3 min

Ultrakonservative Eltern lassen Kinder nicht an Gleichstellungsunterricht teilnehmen
Veröffentlicht:31.01.2014, 06:55

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Ein Gerücht hat in Frankreich die Klassenzimmer geleert und die politische Debatte angeheizt: In manchen Einrichtungen im Pariser Großraum machten in den vergangenen Tagen gar bis zu 60 Prozent der Schüler blau. Hintergrund: Ein Boykott-Aufruf, der sich gegen die an den staatlichen Bildungseinrichtungen angeblich gelehrte „Gender-Theorie“ richtet und sich in Windeseile über SMS, Twitter und Facebook verbreitet hatte.

„Achtung mein Sohn, morgen wirst Du eine Frau sein!“ und: „Das staatliche Bildungssystem lehrt die Kinder, dass sie nicht als Mädchen oder Junge geboren wurden, wie Gott es wollte, sondern ihr Geschlecht wählen können!“ Mit diesen und ähnlich lautenden Botschaften wurden Frankreichs Eltern dazu animiert, ihre Kinder bis zum Sommer mindestens ein Mal im Monat zu Hause zu lassen. Es gelte, gegen den Bildungsplan zu protestieren und die Zukunft der Kinder zu verteidigen, hieß es.

Hinter dem Boykott-Aufruf steht die Bewegung „Schulstreiktag“ – eine Vereinigung mit Verbindungen zu Rechtsextremen und katholisch-fundamentalistischen Kreisen. Sie wendet sich gegen ein Bildungsexperiment, das seit September in 600 Grundschulklassen durchgeführt wird: Das „ABCD der Gleichheit“ – ein Programm, das sich gegen bestimmte Frau-Mann-Stereotypen wendet, um vom Kleinkindalter an gezielt gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung vorzugehen. Dabei wird beispielsweise den Mädchen erklärt, dass sie eines Tages ebenso gut den Beruf des Feuerwehrmanns annehmen können, ebenso wie die Jungen Krankenschwester werden können.

Die Organisatoren werfen dem Bildungsministerium vor, unter dem Deckmantel des Programms heimlich die natürlichen Geschlechterrollen unterdrücken zu wollen und die aus den USA kommende „Gender-Theorie“ zu verbreiten. Danach wird das Geschlecht von Jungen und Mädchen vor allem kulturell und nicht biologisch festgelegt. Außerdem erhielten bereits die Kleinsten Sexualkunde-Unterricht mitsamt Masturbationsanleitungen, hieß es in einigen der verbreiteten SMS und E-Mails.

Bildungsminister wehrt sich

Der Protest des Bildungsministers ließ nicht lange auf sich warten: Als „vollkommen verlogenes Gerücht“ wies Vincent Peillon die Behauptungen zurück. Zu sagen, die Schule lehre den Jungs, kleine Mädchen zu werden, sei Unsinn. Die Eltern der betroffenen Schüler bestellte er zu einem Gespräch ein. „Es gibt eine Reihe Extremisten, die beschlossen haben, Lügen zu verbreiten und den Eltern Angst zu machen“, sagte Peillon. Er wolle die Väter und Mütter beruhigen und ihnen versichern, dass an den staatlichen Schulen vor allem die Werte der Republik und der Respekt zwischen Frauen und Männern gelehrt werde. „Wenn die Eltern wollen, dass ihre Kinder lesen und schreiben lernen, müssen sie sie in die Schule schicken.“

Dem Boykott-Aufruf waren überraschend viele Eltern gefolgt. Dem Bildungsministerium zufolge war in landesweit rund hundert Schulen der Unterricht seit Freitag gestört. Besonders betroffen waren offenbar viele Problembezirke mit einem hohen Anteil muslimischer Einwohner. Das könnte auch an der Hauptfigur der Kampagne liegen: Farida Belghoul. Die algerisch-stämmige Autorin und Filmemacherin zählte Anfang der 1980er-Jahre zu den Teilnehmern der marche des beurs – ein von Immigrantenkindern organisierter Marsch gegen Rassismus und für mehr Gleichheit.

Neues Ziel der Ultrakonservativen

Stand Belghoul damals den Kommunisten nahe, hat sich die 55-Jährige inzwischen Alain Soral zugewandt – einem Essayisten, den Beobachter der extremen Rechten zurechnen. Beide hatten am vergangenen Sonntag auch am „Tag des Zorns“ teilgenommen, einer Großdemonstration gegen Präsident François Hollande. Zu den Unterstützern gehörten unter anderem die ultrakonservative Katholiken-Gruppe Civitas und rechtsradikale Bewegungen wie der Printemps français, die im vergangenen Jahr bereits – vergeblich – gegen die Homo-Ehe mobil gemacht hatten. Da die gleichgeschlechtliche Ehe Gesetz geworden ist, haben Frankreichs Ultrakonservative nun offenbar ein neues Ziel für ihren Protest gefunden: Die Bildung ihrer Kinder.