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Lebensmittelladen

Radio Mevan gibt den Flüchtlingen eine starke Stimme

Camp Domiz / Lesedauer: 5 min

Team von Radio Mevan vertritt die Interessen von Syrern, Christen und Jesiden im Irak
Veröffentlicht:05.12.2021, 09:00

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Lebensmittelläden, kleine Cafés, ein Schuhmacher, ein Schneider, eine Autowerkstatt: Das Flüchtlingscamp Domiz in der nordirakischen Provinz Dohuk gleicht einer orientalischen Stadt. Aktuell leben im Camp 27 000 Menschen, darunter 4000 Schulkinder, alles Flüchtlinge aus Syrien, die seit 2012 aus Furcht vor dem Diktator Baschar al-Assad und seinen Schergen in den Irak gekommen sind.

Kinder kommen von der Schule, Mütter schieben ihre Kinderwägen durch die Gassen. Vor den Zelten und Wohncontainern haben die Bewohner kleine Gärten eingerichtet. Nichts deutet auf eine Rückkehrperspektive hin: „Was sollen wir machen? Wir werden hier bleiben.“ Wie lange? „Inshallah, so lange Gott will“, sagt eine junge Frau und fügt hinzu: „Wenn Sie mehr wissen wollen, fragen Sie das Team von unserem Flüchtlingsradio, dem Radio Mevan. Die sind immer gut informiert.“

Im Studio sitzt ein achtköpfiges, junges Team aus Journalisten, Moderatoren, dem Geschäftsführer und Technikern: „Ja, wir sind die Stimme der Flüchtlinge“, sagt Dilawer Behlawe . Radio Mevan gebe den „Geschichten, Kämpfen und Erfahrungen der Menschen“ Reichweite, Raum und Zeit: In 21 Camps leben allein in der Provinz Dohuk 300.000 bis 350.000 Jesiden, weitere etwa 250.000 bis 350.000 Flüchtlinge wohnen in Rohbauten oder haben anderweitig eine Bleibe gefunden.

Der 27-jährige Behlawe, er ist selbst aus Syrien geflüchtet, koordiniert als Geschäftsführer die Arbeit im Sender: „Wir verstehen uns als Anwälte der syrischen Flüchtlinge, der im Irak vertriebenen Jesiden und Christen, der Asylbewerber und der schutzbedürftigen Menschen in der Provinz Dohuk .“

Gut gelaunt durch den Tag

Radio Mevan, gegründet 2017, sendet sieben Stunden pro Tag, live, professionell und gut gelaunt moderiert, auf arabisch und kurdisch: „Wir verstehen uns als Radio mit einem Mix aus Nachrichten, Information, Tipps fürs tägliche Leben, Sport und natürlich Musik. Viel Musik mit 100 Anrufern pro Stunde und ihren Musikwünschen“, erklärt Moderatorin Nermin Suleiman, „nur politische Kommentare und religiöse Botschaften haben in unserem Programm keinen Platz.“

Suleiman berichtet von einer Umfrage unter Hörern zu deren Interessen: „Themen wie Gesundheit, Kultur, Umwelt, Kunst und Bildung standen ganz oben.“

Zu aktuellen Fragen holt sich das Team Fachleute ins Studio – und packt auch heiße Eisen an. „Wir haben beispielsweise einen Rechtsanwalt gebeten, zum Thema ,Häusliche Gewalt’ aufzuklären“, sagt Dilawer Behlawe. Denn die verschärften Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus belasteten Familien enorm. Viele Menschen durften nicht mehr arbeiten.

Die Betreuung der Kinder fand oftmals in den eigenen vier Wänden, im Camp Domiz sind es Zeltwände, statt. Stress entlud sich in Schlägen. In einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft informiere das Radio Frauen, die sonst nur schwer zu erreichen seinen, sagt Behlawe: „Was ist Gewalt? Ab wann? Welche verschiedenen Ausprägungen gibt es? Welche Strafen stehen auf häusliche Gewalt? Wie kann ich mich schützen?“

Zukunft mit den sozialen Medien

Nachzulesen sind die Aussagen des Juristen auf der Facebook-Seite des Senders: „Die sozialen Medien werden für Radiosender in Zukunft unglaublich wichtig, da sie Teil der Marke und Identität des Radios sind“, ist sich Dilawer Behlawe sicher und vergleicht: „Die sozialen Medien sind wie Wasser für den Menschen und Teil ihres Alltags. Facebook- und Instagram-Seiten ziehen viele treue Zuhörer an, die nach Neuigkeiten, Fakten, Unterhaltung, Fotos und Feedback suchen.“

Über die sozialen Medien und YouTube will Radio Mevan künftig stärker mit seinen Hörern kommunizieren: „Indem sie Fragen stellen, andere Themen vorschlagen, an Wettbewerben teilnehmen.“

In Zeiten der Pandemie fiel dem Mevan-Team auch die Aufgabe zu, über das Virus, die Ansteckungsgefahren, Vorsichtsmaßnahmen und Impfungen zu informieren. Vor allem die Impfkampagne kommt im Irak nur langsam voran: Der Statistik-Website Our World in Data zufolge haben nur etwa zwölf Prozent der Bevölkerung zwei Impfdosen erhalten. Auf dem Sender beleuchtet das Team viele Aspekte.

Brücken in drei Richtungen

Das Team will kommunikative Brücken in drei Richtungen bauen: „Die erste Brücke verbindet die Flüchtlinge und die Menschen in Kurdistan, die sie in ihren Städten willkommen geheißen haben“ sagt Behlawe. Zur Integration gehöre auch die Kenntnis der Rechte und der Pflichten im Gastland Kurdistan. „Da informieren wir sachlich-fundiert, wir sind hier im Land zu Gast.“

Weiter sei die Verbindung zwischen den syrischen Flüchtlingen und den Binnenvertriebenen, Jesiden und Christen, zu nennen: „Um gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern.“ Denn auch in Kurdistan sei es immer wieder notwendig, sich gegenseitig über die Lage in den Heimatregionen, ob Syrer, Jesiden oder Christen zu informieren.

Für die Millionen ins Ausland geflohenen Syrer sei es gefährlich oder unmöglich, in die Heimat zurückzukehren, betont Behlawe. „Ihnen drohen nach wie vor willkürliche Festnahmen, Entführungen, Folter oder gar der Tod“, weiß der 27-Jährige. Denn der syrische Machthaber Baschar al-Assad sitzt wieder fester im Sattel, seitdem er mit Unterstützung Russlands einen Großteil des Landes wieder unter seine Kontrolle bringen konnte.

Und drittens: „Wir bauen die Brücken zwischen lokalen und internationalen Hilfsorganisationen und den Migranten.“

Für die Zukunft hat sich das Mevan-Team viel vorgenommen: „Wir richten mobile Reporterteams ein, die in den Camps unterwegs sind“, kündigt Behlawe an, „dann kommen wir näher an die Hörer heran.“