StartseitePolitikEindringliche Mahnung auf BBF: Pandemie-Bekämpfung gelingt nur global

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Eindringliche Mahnung auf BBF: Pandemie-Bekämpfung gelingt nur global

Friedrichshafen / Lesedauer: 4 min

Afrika hinkt bei der Verteilung von Impfstoff hinterher – In Deutschland Ende der Corona-Maßnahmen bis Sommer 2022 erwartet
Veröffentlicht:20.10.2021, 13:49

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In den Industrienationen ist inzwischen jeder zweite Bürger zweimal gegen Corona geimpft. In Afrika haben nur sechs Prozent der Menschen zumindest eine erste Impfung erhalten. Ein offenkundiges Missverhältnis.

„Es ist ärgerlich, dass wir Impfstoff eher verfallen lassen, als ihn zu exportieren“, beklagt Klaus Töpfer . Der CDU-Politiker, früherer Bundesumweltminister und Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen diskutiert auf dem Podium im Friedrichshafener Graf-Zeppelin-Haus über „Corona-Gerechtigkeit“. Allerdings, räumt Töpfer ein, gebe es objektive Probleme. Eine gesicherte Stromversorgung, die für die Kühlung der Vakzine nötig ist, sei südlich der Sahara nicht überall gesichert.

Trotzdem: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jetzt verfügbare Mittel nach Afrika gehen.“ Und eben nicht erst in den Jahren 2022 und 2023, wenn die von der Initiative Covax angekündigten drei Milliarden Impfdosen verfügbar sind, die der Moderator des Podiums Hendrik Groth, Chefredakteur der „ Schwäbischen Zeitung “ erwähnt. Nach Ansicht von Töpfer ist dies nicht nur um eine humanitäre Verpflichtung. „Wenn uns die Pandemiebekämpfung global nicht gelingt, gelingt sie auch zu Hause nicht.“

Medikament für 700 Dollar

Neben Töpfer sitzt Gerd Leipold auf dem Podium, ehemaliger Vorsitzender von Greenpeace International. Er lenkt den Blick auf das Patentrecht. Der Pharmakonzern Merck habe ein Medikament gegen Corona entwickelt, das dem Patienten auf dem amerikanischen Markt 700 US-Dollar kostet. Gleichzeitig würden aber regionale Lizenzen zur Herstellung von Generika herausgegeben, ein Medikament für einen Patienten beispielsweise in Afrika könne damit für zehn bis 20 US-Dollar bereitgestellt werden. „Ich glaube, diese Modelle muss man weiter vorantreiben“, sagt Leipold.

Töpfer ist da skeptischer: „Wenn man das Medikament für zehn Dollar in Afrika herstellt, was meinen Sie, wie schnell das mit einem Aufpreis wieder bei uns ist“, gibt er zu bedenken.

Verzahnung der Gesundheit von Mensch und Tier

Töpfer plädiert dafür, die Forschung in dem Bereich „One Health“ voranzutreiben – ein Ansatz, der den Fokus auf die enge Verzahnung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt legt. „Die Menschen in Afrika wissen über das Zusammenspiel von Mensch und Natur viel mehr“, so Töpfer. Auch Leipold ruft dazu auf, die Forschung in Afrika mehr zu unterstützen.

In Deutschland nächsten Sommer Normalität

Recht optimistisch äußerten sich die Gesprächspartner auf einem zweiten Podium beim Bodensee Business Forum, bei dem ebenfalls über die Corona-Pandemie gesprochen wurde – in diesem Fall mit Blick auf die Lage in Deutschland. „Wann herrscht wieder Normalität?“, wollte Moderator Guido Bohsem von seinen Gesprächspartnern wissen.

Nach Ansicht des Ulmer Virologen Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut, wird dies im nächsten Sommer der Fall sein. „Ich bin guter Hoffnung, dass wir Mitte kommenden Jahres weit gehend normal leben“, sagte Mertens. Mit der Zeit werde sich die pandemische Lage weiterentwickeln, Covid werde dann „ein weltweit endemischer Virus“ sein. Die Abgrenzung zwischen beiden Stadien sei nicht genau zu definieren.

Automatisch bei 2G mitmachen

Im Übrigen ist Mertens mit der Arbeitsleistung der Stiko, die zwischenzeitlich wegen zurückhaltender Impfempfehlungen insbesondere bei Jugendlichen unter politischen Druck geraten war, durchaus zufrieden. „Alle die Entscheidungen, die wir als Stiko getroffen haben, würde ich heute wieder so fällen“, betonte der Virologe.

Peter Sölkner, Geschäftsführer der Vetter Pharma Fertigung GmbH äußerte die Erwartung, nach dem Winter würden automatisch viele Menschen „bei 2G mitmachen“, also bei der Regelung, dass man vielerorts im öffentlichen Raum geimpft oder genesen sein muss. „Entweder, weil sie sich noch impfen lassen, oder weil sie sich leider infizieren“. Was die Betriebsabläufe in seinem Unternehmen angehe, habe sich schon wieder vieles normalisiert.

Andera Salama-Müller, Oberärztin im St. Elisabethen Klinikum Ravensburg, sagte, in ihrem Krankenhaus bedeute Normalität Planbarkeit. „Die haben wir jetzt“. Zu Beginn der Pandemie seien die Krankenhäuser „runtergebremst worden von 100 auf null“, durch das Ausbleiben planbarer Operationen sei den Betreibern viel Geld verloren gegangen. Inzwischen habe man sich mit der Lage arrangiert. „Wenn neue Wellen kommen, sind wir nach unserer Einschätzung vorbereitet.“

Finanzierungslücke im Gesundheitssystem

Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse, erwartet derweil harte Debatten darüber, wie sich aufkommende Finanzlücken im Gesundheitssystem schließen lassen. Während der Pandemie habe man viel Geld ins System gegeben. „Das war politisch nachvollziehbar und in Ordnung.“

Das Loch, das sich nun auftue, habe auch gar nichts mit Corona zu tun, sondern damit, dass in der vorhergehenden Phase der Hochkonjunktur viele neue Kassenleistungen eingeführt worden seien. Die neue Bundesregierung müsse beantworten, wie die Finanzierung gewährleistet werden solle: durch mehr Steuergeld, durch höhere Kassenbeiträge – oder durch Einsparungen.