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NSU-Prozess: Zschäpe-Verteidiger kündigen Revision an

München / Lesedauer: 5 min

Ein historisches Urteil: Nach mehr als fünf Jahren NSU-Prozess wird Beate Zschäpe als Mörderin zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der juristische Streit dürfte damit noch nicht zu Ende sein.
Veröffentlicht:11.07.2018, 09:57

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Beate Zschäpe ist als vollwertiges Mitglied der rechtsextremen Terrorgruppe „ Nationalsozialistischer Untergrund “ zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Das Oberlandesgericht München sprach die 43-Jährige am Mittwoch unter anderem des zehnfachen Mordes schuldig und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Viele Politiker, Menschenrechtsorganisationen und Verbände begrüßten das Urteil zwar, forderten aber eine weitere Aufarbeitung des NSU-Umfelds und der Rolle der Sicherheitsbehörden.

Vor dem Gerichtssaal demonstrierten Aktivisten für eine lückenlose Aufklärung.

Fest steht schon jetzt: Das Urteil muss vom Bundesgerichtshof überprüft werden. Mehrere Verteidiger kündigten an, Revision einzulegen. Herbert Diemer von der Bundesanwaltschaft sagte hingegen: „Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats.“

Mit dem historischen Urteilsspruch im Fall Zschäpe folgte das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Es sprach sie wegen der dem NSU zur Last gelegten Taten schuldig. Allerdings ordnete es keine Sicherungsverwahrung im Anschluss an ihre Haftstrafe an. Das Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht erforderlich sei, sagte OLG-Sprecher Florian Gliwitzky.

Die Sicherungsverwahrung verhängen Gerichte anders als die Haft nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Sie soll die Bevölkerung vor Tätern schützen, die ihre Strafe verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten.

Auch Sympathisanten der rechten Szene verfolgten den Prozess im Gerichtssal.

Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als NSU-Waffenbeschaffer zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt, Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstrafe. Beim Mitangeklagten André E. blieb das Gericht mit zweieinhalb Jahren Haft weit unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte. Das Gericht verurteilte E. nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Der NSU war 2011 aufgeflogen. Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Zudem begingen sie zwei Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und mehr als ein Dutzend Raubüberfälle.

Über fünf Jahre war eine der zentralen Fragen im Prozess, ob Zschäpe als Mittäterin verurteilt werden kann, weil es keine Beweise gibt, dass sie an einem der Tatorte war. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl betonte in seiner Urteilsbegründung immer wieder, Mundlos und Böhnhardt hätten „aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe“ gehandelt. Damit endete nach fast 440 Verhandlungstagen einer der längsten und aufwendigsten Indizienprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten einen Freispruch ihrer Mandantin von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe selbst hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren. „Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe“, hatte sie in ihrem persönlichen Schlusswort ans Gericht appelliert.

Das Auffliegen des NSU im November 2011 hatte ein politisches Beben in Deutschland ausgelöst — weil eine rechtsextreme Terrorzelle jahrelang unbehelligt von den Behörden im Untergrund leben und mordend durch die Republik ziehen konnte. Jahrelang hatten die Ermittler zuvor falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen wurden engste Familiengehörige als Verdächtige behandelt und drangsaliert. In der Folge wurden Untersuchungsausschüsse des Bundestages und mehrerer Landtage eingesetzt, um teils eklatante Behördenfehler aufzuklären.

Die Kritik und die Probleme spiegeln sich auch in den Reaktionen auf das Urteil wider: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zollte den Angehörigen der NSU-Opfer Respekt: Nach dem Verlust geliebter Menschen hätten sie Jahre der Ungewissheit und zum Teil falsche Verdächtigungen durch die Strafverfolgungsbehörden ertragen müssen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte: „Die Ermittlungsbehörden haben elf Jahre lang die rassistischen Tatmotive verkannt und durch eine teilweise offen rassistische Vorgehensweise eine rasche und umfassende Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert.“

Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter beklagte, der Verfassungsschutz habe massenhaft Akten geschreddert und „in allen Untersuchungsausschüssen gemauert“. Rund 200 Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in München verlangten eine weitere Aufarbeitung der Terrorserie.

Viele bemängeln auch, dass die Ermittler von nur drei NSU-Mitgliedern ausgehen. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, sagte, die Bundesanwaltschaft habe Erkenntnisse aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und zahlreichen Recherchen der Zivilgesellschaft nicht berücksichtigt und sich auf die Theorie eines isolierten Terror-Trios versteift. Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic sagte: „Leider musste das Urteil unvollständig bleiben, weil die Anklage das hinter dem Trio stehende Terrorsystem konsequent ausgeblendet hat.“

Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, hofft nach eigenen Worten, „dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden“.