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FDP-Chef Michael Theurer im Interview: „Weitere grüne Parteitaktiken wären fehl am Platz“

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Michael Theurer, Chef der Südwest-FDP und Staatssekretär im Verkehrsministerium, über Kohlezüge und die Zukunft der Atomkraft
Veröffentlicht:24.11.2022, 18:30

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Vergangenes Wochenende ist die Weltklimakonferenz in Ägypten zu Ende gegangen. Dort ging es auch um die Zukunft der Mobilität, die entsprechenden Energieträger und die Notwendigkeit der Energiewende. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ spricht Michael Theurer (55), Chef der Südwest-FDP und Staatssekretär im liberal geführten Bundesverkehrsministerium, über Kohlezüge und das nahende Ende der Atomkraft in Deutschland.

Sowohl SPD-Kanzler Olaf Scholz als auch Außenministerin Baerbock von den Grünen haben in Scharm el Scheich erneut beteuert, eine Renaissance der fossilen Energien werde es hierzulande nicht geben. Dennoch rollen aktuell pro Woche mehr als 50 Kohlezüge durch Deutschland und Europa, um entsprechende Kraftwerke zu befeuern. Sie haben sogar Vorrang vor Personenzügen. Ist das nicht paradox?

Da muss man ein bisschen differenzieren: Die russische Aggression zwingt uns aktuell dazu, kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die nicht auf den Klimaschutz einzahlen. Das heißt nicht, dass wir unsere Klimaziele langfristig aus dem Auge verlieren. Um russisches Gas allerdings gegenwärtig zu ersetzen, müssen wir Kern- und Kohlekraft nutzen.

Anders lässt sich in dieser Krisensituation Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit kaum sicherstellen. Mit der Priorisierung von Kohlezügen sind wir in der Lage, Kohlestrom nach Frankreich zu exportieren und im Gegenzug Gas zu erhalten. Das ist gelebte europäische Solidarität, die zur Versorgungssicherheit hier im Land beiträgt.

Allerdings benötigen auch diese Züge, wenn sie nicht noch von Dieselloks gezogen werden, ja ebenfalls Strom …

In der Tat, die Kohle muss transportiert werden und auch dafür benötigt man Energie – wie übrigens auch zum Herunterkühlen und Transportieren des Flüssiggases, das derzeit mit Tankern aus den USA und dem Nahen Osten zu uns kommt. Auch der Bahnstrom kommt bisher zu jeweils zweistelligen Prozentsätzen aus Kernenergie und Kohle.

Durch die Umwandlungsverluste finde ich es jedenfalls sinnvoller, dass da die eine oder andere zusätzliche Diesellok zum Einsatz kommt, als dass auf Kraftwerksschiffen vor der deutschen Küste Öl verstromt wird. Über die nächsten zehn bis 15 Jahre werden fossile Energieträger ihre Bedeutung jedoch nach und nach verlieren, schon alleine durch den Europäischen Emissionshandel. Deshalb braucht es den schnellen Ausbau von LNG-Terminals und die weitere Forschung an Zukunftstechnologien wie Wasserstoff. Wasserstoff-Brennstoffzellen können beispielsweise auch als Antrieb bei Zügen eingesetzt werden.

Aktuelle stellt sich jedoch die Frage, ob es sich die Bundesrepublik tatsächlich leisten kann, ab Mitte April kommenden Jahres auf die Kernkraftwerke zu verzichten. Erzeugt werden dort immerhin circa sechs Prozent der hierzulande eingespeisten Strommenge.

Das ist die Preisfrage. Ich habe da jedenfalls meine Bedenken – gerade was den Bahnstrom angeht. Es ist kein Zufall, dass in Neckarwestheim ein großes Bahnstromumrichterwerk steht.

Dennoch hat die Bundesregierung den Atomausstieg zuletzt bestätigt. Am 31. März sollen Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland endgültig vom Netz gehen. Täuscht der Eindruck, oder hat die FDP diesen Beschluss eher widerwillig mitgetragen?

Die FDP hat dem Beschluss des Streckbetriebs zugestimmt, weil es das ist, was jetzt notwendig ist. Allerdings muss dann auch zeitnah ein wirklich belastbares Konzept vorliegen, wie wir durch den nächsten Winter kommen. Denn dass die Probleme sich einfach in Wohlgefallen auflösen, kann ich bisher jedenfalls nicht erkennen.

Mehrere Medien hatten zuvor berichtet, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke in Sachen Laufzeitverlängerung die Empfehlungen der eigenen Fachleute ignoriert haben. Ärgert Sie die offenbar ideologisch geprägte Haltung des Koalitionspartners in dieser Frage?

Es hat sicherlich für Irritationen gesorgt, dass eine ergebnisoffene Prüfung zugesagt wurde, dann jedoch offenbar nicht alle Argumente geliefert wurden. Auch dass im zweiten Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber für diesen Winter klar der Streckbetrieb aller drei Kernkraftwerke empfohlen wurde, dann jedoch kommuniziert wurde, es sei völlig ausreichend, wenn zwei der drei Kraftwerke am Netz blieben, hatte sicherlich mehr mit Parteitaktik zu tun als mit Sachpolitik.

Als Ampelkoalition werden wir auch in Zukunft undogmatisch über Energiefragen diskutieren müssen. Weitere grüne Parteitaktiken wären in der angespannten Lage fehl am Platz.

Ihre Partei, allen voran Parteichef Christian Lindner, hatte vor dem Machtwort des Kanzlers ja andere Vorstellungen und plädierte dafür, die Meiler mindestens bis 2024 zu betreiben. Wäre es im Sinne der Versorgungssicherheit im Winter 2023/24 nicht sinnvoll, den Ausstieg nochmals zu überdenken?

Diese Frage kommt auf uns zu. Wir Freie Demokraten sind jedenfalls ohne Tabus für alles offen, was kurzfristig Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sicherstellt.

Oder ist es ohnehin schwierig, neue Brennstäbe für die Kraftwerke zu besorgen? Russland als Lieferant kommt ja nicht infrage …

Als wir diese Frage Anfang dieses Jahres erstmals erörtert haben, hat das amerikanisch-schwedische Unternehmen Westinghouse signalisiert, kurzfristig bis Ende diesen Jahres Brennstäbe liefern zu können. Die Ukraine hat übrigens schon 2014 von russischen Brennstäben auf die Fabrikate von Westinghouse umgestellt, um von Russland unabhängiger zu werden.

Häufig wird dann angeführt, dass weltweit das meiste Uran entweder aus Russland oder Kasachstan komme – das ist eine Nebelkerze, denn konkret fördert Kasachstan grob die Hälfte des weltweit geförderten Urans, Russland nur etwa fünf Prozent. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Unabhängigkeit ehemaliger Sowjetrepubliken rhetorisch zu untergraben.

Planen die Liberalen also einen neuen Anlauf für einen Weiterbetrieb der deutschen Meiler?

Klar ist, dass Appelle zum Energiesparen und Verzichtsforderungen in einem hoch entwickelten Industrieland wie Deutschland kein Ersatz für eine Energieversorgungsstrategie sind.

Definitiv ausschließen, dass die Atomkraft-Debatte im Frühjahr wieder hochkocht, können Sie aber nicht, oder?

Nein. Wir stehen als Bundesregierung gemeinsam in der Verantwortung für Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Daher werden die Freien Demokraten selbstverständlich weiterhin genau beobachten, wie sich die Aussichten für deren Gewährleistung entwickeln.